12. Kapitel

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Der Tag ging schleichend vorüber. Flo und ich unterhielten uns zwar, aber mit der Zeit wurde das für uns beide recht langweilig. Auch wenn wir uns gut verstanden, waren wird doch sehr unterschiedlich. Er war erst 10 Jahre alt, spielte Fußball und unterstützte Manchester United. Ich verstand kein bisschen von Fußball und kannte auch keine Spieler von seiner Lieblingsmannschaft. Stattdessen konnte ich bei jedem der 500 Lieder auf meinem MP3-Player nach zwei Sekunden Titel, Sänger/Band, Album und Jahr nennen. Des Weiteren las ich viel, vor allem Fantasy, was der Kleine nicht ausstehen konnte. Dass ich noch dazu auch viel auch Englisch las, konnte er erst recht nicht verstehen.

Da Florians Familie eine Weile bei uns im Zimmer war, lernte ich auch Sophie besser kennen. Der erste Eindruck von ihr war ja eher nicht so toll gewesen. Auf mich hatte sie ein bisschen wie eines der Mädchen gewirkt, die bis ich zwölf war meine besten Freundinnen gewesen waren. Aber so, wenn sie nicht unter Stress stand und nicht auf ihren Bruder aufpassen musste, war sie eigentlich ganz nett. Wie wir bemerkten, war sie auch ein Swifie und beinahe am durchdrehen, als Flo ihr verriet, dass ich Taylor Swift kannte. Erst musste ich lachen, aber dann wurden meine Gedanken automatisch auf Austin gelenkt und meine gute Laune war wie weggeblasen. Schnell drehte ich meinen Kopf auf die andere Seite, sodass die anderen meinen Stimmungswechsel nicht mitbekamen.

„Hanna, was ist los?", fragten die beiden Geschwister gleichzeitig. Verdammt, das mit dem Verbergen hatte wohl nicht so ganz geklappt!

„Bin nur müde ...", murmelte ich und hoffte, dass sich die anderen damit zufriedengeben würden. Zum Glück reichte ihnen diese Ausrede, denn ich war wirklich nicht daran interessiert, Leuten, die ich kaum kannte, meine Gefühlswelt zu unterbreiten.

Am Vormittag kam auch noch einmal der Arzt, der unsere Visite gemacht hatte. Er erklärte dem Vater meines Zimmergenossen, dass Flos Gehirnerschütterung sich gut entwickle und er somit übermorgen nach Hause dürfe. Als er sich meine Untersuchungsergebnisse ansah, versprach er auch mir, mich an diesem Tag zu entlassen. Das munterte mich wieder ein wenig auf.

Als unser Mittagessen kam, verabschiedeten sich Herr Mitterer und Sophie. Letztere aber erst, nachdem ich ihr versprochen hatte, ihre E-Mail-Adresse und Handynummer an Taylor weiterzugeben.

Die Tage vergingen und nun war ich schon eine Woche wieder bei den Bakers. Auf Grund meines Gipses konnte zwar nicht alles machen, was ich machen wollte, aber zum Glück konnte Melody noch nicht krabbeln und die anderen beiden waren sehr brav. Das soll jetzt nicht heißen, dass Melody nicht brav war. Sie war nur einfach ein Baby, das viel schlief und gefüttert und gewickelt werden musste.

Taylor war jeden Tag im Studio, weshalb ich sie nur sehr wenig zu Gesicht bekam. Sie kam, wenn sie nicht zu müde war, am Abend vorbei, um die Kinder zu sehen. Ich war jedes Mal wieder überrascht, wie bodenständig die Sängerin war. Genauso, wie ich es mir immer ausgemalt hatte.

Nun war Nachmittag und Nick, Zoe und ich warteten darauf, dass Alice von der Arbeit nach Hause kommen würde. Melody schlief seit etwa einer Stunde. In der Zwischenzeit bis meine Hostmum kommen würde, hatten wir beschlossen, mit meinem Bruder zu skypen. Die Kinder waren zwar ein wenig schüchtern Simon gegenüber, aber sie waren auch sehr neugierig. Für mich war es seltsam, mit meinem Bruder Englisch zu sprechen, aber sonst hätten ja die beiden Kleinen es nicht verstanden. Vor allem Nick himmelte Simon schon jetzt an, obwohl er ihn erst zum zweiten Mal sah.

„Magst du Musik, Nick?", fragte mein kleiner Bruder den Vierjährigen.

Dieser legte den Kopf schief und dachte nach. Dabei steckte er wie gewöhnlich seine rechten Zeigefinger in den Mund. Dann sah er mich an. „Ja?", antwortete er zögernd und ließ es wie eine Frage klingen.

„Ich auch.", erklärte Simon. Sofort begann Nicks Gesicht zu strahlen. „Hat euch Hanna erzählt, dass wir eine Band haben?", sprach der 17-Jährige weiter.

„So wie Taylor!", rief Zoe erfreut. „Die hat glaube ich auch eine Band, oder? Mummy hat einmal gesagt, als Taylor lange nicht da war, dass sie mit ihrer Band in der Welt herumreist und für Leute spielt."

„Ja, Taylor hat auch eine Band, aber das ist bei ihr anders. Viele Leute kennen sie, aber unsere Band kennt keiner.", versuchte ich ihr grinsend zu erklären.

„Welche Lieder spielt ihr mit eurer Band?", fragte Nick an meinen Bruder gewandt.

„Manche Lieder schreiben wir selbst, aber die meisten covern wir. Weißt du was das heißt?" Als Nick den Kopf schüttelte, erklärte Simon: „Das bedeutet, dass wir Lieder spielen, die ursprünglich wer anderer gespielt hat."

Plötzlich ertönte aus Küche ein lautes Scheppern und gleich darauf fing Melody an zu weinen. Schnell ging ich zum Gitterbett in der Wohnzimmerecke und nahm das Baby heraus. Sofort beruhigte sie sich. Mit ihr auf dem Arm ging ich in die Küche, um zu sehen, was das Geräusch ausgelöst hatte. Als ich die Tür aufmachen wollte, klemmte sie, doch mit ein bisschen Gewalt schaffte ich es schließlich, sie zu öffnen. Drinnen bot sich mir eine furchtbare Ansicht: Überall auf dem Boden lag zerbrochenes Geschirr, darauf der Besen, der auch die Tür blockiert hatte. Weil sich in einigen Schüsseln Essen befunden hatte, lag auch das auf dem Fußboden, vermischt mit Scherben. Ich seufzte. Das würde warten müssen, bis Alice von der Arbeit zurück war. In der Zwischenzeit würde ich einfach die Tür zusperren, damit sich die Kinder nicht verletzten konnten.

Als ich wieder im Wohnzimmer war, legte ich Melody wieder in ihr Bettchen, aber der Kleinen passte das gar nicht. Sofort begann sie wieder zu schreien. Erneut seufzend, hob ich das Baby wieder hoch und ging mit ihr zu den anderen beiden Kindern, die sich noch immer mit meinem Bruder unterhielten.

„Oh, die ist aber süß!", rief dieser aus, als er Melody sah. Wenn wir sonst geskypet hatten, hatte sie immer geschlafen, deswegen hatte er das Mädchen noch nie gesehen. Aufmerksam starrte sie auf den Bildschirm und beugte sich vor, sodass sie das Gesicht meines Bruders berühren konnte. Vermutlich verstand sie noch nicht, dass das nur ein Display war.

„Das ist mein Bruder Simon, Melody.", erklärte ich der Kleinen. Diese schaute sich zu mir um. Dann tat sie etwas, das sie vorher noch nie getan hatte: Sie öffnete den Mund, aber anstatt zu schreien, sagte sie: „Dadadad."

„Oh mein Gott!", rief ich „Sie hat zum ersten Mal geredet!"

„Du fängst aber jetzt nicht zu heulen an, oder Hanna?", stichelte Simon grinsend. Ich wusste, er meinte es nicht böse, er kannte mich einfach zu gut. Wenn ich glücklich war, kamen mir oft einfach die Tränen. Ich schluckte, denn ich wollte nicht, dass mich die Kinder weinen sahen.

Wieder ertönte Lärm aus der Küche. Irgendwie war mir das unheimlich. Trotzdem nahm ich meinen ganzen Mut zusammen – der immer mehr wurde, wenn ich Melody auf dem Arm hatte –, entschuldigte mich bei meinem Bruder und ging vorsichtig auf die verschlossene Küchentür zu. Mit zittrigen Fingern drehte ich den Schlüssel im Schloss, als ich ein Scharren an der Tür hörte. Mein Herzschlag setzte für einen Moment aus, dann verdoppelte er sich. Langsam drückte ich die Klinke nach unten und schob die Tür ein paar Zentimeter weit auf, doch bevor ich noch meinen Kopf durch den Spalt stecken konnte, raste unter mir etwas aus der Küche. Ein flauschiges grau-weißes Etwas. Meredith! Erleichtert entfuhr mir ein Lachen, das vermutlich ein bisschen gruselig klang. Zum Glück waren die Kinder im Wohnzimmer. Taylors Katze saß vor der Tür und sah mich an, als warte sie darauf, dass ich auch diese öffnete. Kein Wunder, dass die Sängerin dieses Tier gekauft hatte, es war einfach zu süß! Noch nie hatte ich so eine süße Katze gesehen. So schnell ich es mit dem Baby auf dem Arm konnte, ging ich zur Wohnungstür und öffnete sie, sodass Meredith ins Freie konnte, dann ging ich wieder ins Wohnzimmer, um weiter mit meinem Bruder zu skypen.

I'm only me when I'm with you (Taylor Swift)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt