I can't do this anymore

607 44 27
                                    

Sicht Julian

Und wieder habe ich es nicht in die Startaufstellung geschafft. Wie denn auch, wenn ich ständig die Bälle verliere, kein Tor treffe und zu wenig in die Zweikämpfe gehe. Meine Leistung ist extrem gesunken und ich fühle mich hier mehr als Fehl am Platz. Ich fühle mich nur noch unwohl und würde am liebsten nicht mehr wiederkommen. Mich in meinem Bett verkriechen, jeden Tag und nur rauskommen, um auf Toilette zu gehen oder dem Lieferservice die Tür zu öffnen.

Doch dann würde ich meinen Traum endgültig aufgeben. Den Traum, für den ich so lang gekämpft habe, welcher mich so vieles gekostet hat und welcher momentan mein einziger Lebenssinn ist.

Außer dem Fußball habe ich nichts. Ich gehe zum Training, danach nach Hause, vielleicht noch eine Runde joggen, bevor ich mich dann in mein Bett lege und alles dafür tue, bloß keinen dieser Träume zu bekommen.

Seit Monaten plagen mich Alpträume. Nie die selben, sie sind immer anders. Mal falle ich von einem Hochhaus, mal ertrinke ich, mal verbrenne ich. Selbst ein öffentliches Outing, welches absolut schrecklich verlief, erschien schon in meinen Träumen. Doch auch vergangene Situationen, wie beispielsweise die Wette, welche mein Leben zerstört hat, hat sich auch im Schlaf in mein Unterbewusstsein geschlichen.

Ich habe schon alles versucht. Meditation, Yoga, sogar Methoden, wie ich meine Träume bewusst steuern kann. Doch nichts hat wirklich lang geholfen. Immer wieder plagen mich diese Träume und lassen mich mitten in der Nacht aufschrecken.

Letzte Nacht habe ich davon geträumt, wie mich die Fans fertig machen. Ich hatte wieder ein Tor verschossen und plötzlich sind alle aufgesprungen und mir hinterhergerannt. Sie haben meine Trikots vor meinen Augen verbrannt und so lang auf mich eingeschlagen, bis mein Körper leblos am Boden lag und ich aufgewacht bin. Immer wieder haben sie mir zugerufen, was ich doch für eine große Enttäuschung sei. Und das ist nicht nur ein Traum. Das ist die bittere Realität.

Immer wieder muss ich unter meinen Instagrambeiträgen lesen, wie schlecht ich doch sei und das ich verkauft werden muss.

' Was macht der denn in der Startaufstellung?'

' Brandt von Anfang an? Da kann man auch einen Fisch aufs Spielfeld setzen, der trifft wahrscheinlich eher den Ball.'

' Verschwinde aus unserer Mannschaft!'

' Wie konnte einer wie der Profi werden?'

' So viel Kohle wie dir in den Arsch gesteckt wird, solltest du mal anfangen Leistung zu zeigen'

' Peinlich. Einfach nur noch peinlich, was du da machst'

' Das hat nichts mehr mit Fußball spielen zu tun was du da machst'

' Tu uns und dir einen gefallen und verlass den BVB. Du gehörst hier einfach nicht hin'

'Abgehoben, unmotiviert, untalentiert'

' Verkauft den doch endlich'

Dies sind nur einige wenige Kommentare, die ich täglich zu hören bekomme. Ich weiß, dass ich damit umgehen muss. Ich stehe in der Öffentlichkeit und sollte mich davon nicht unterkriegen lassen. Ich weiß es, und doch macht es mich psychisch kaputt. Ich sollte diese Kommentare verdrängen, aber ich kann es nicht. Weil sie verdammt nochmal Recht haben.

Vielleicht sollte ich das Fußballspielen doch aufgeben, oder zumindest in einen kleineren Club wechseln. Der BVB ist zu groß für mich. Ich werde diesen Ansprüchen nie gewachsen sein. Wäre ich nur in Leverkusen geblieben...

„Jule, lass den Kopf nicht hängen. Das nächste Mal spielst du bestimmt wieder von Anfang an" versucht Marius mich aufzumuntern, doch ich lache nur ungläubig.

Denkt er wirklich, ich hätte es verdient, nur noch ein einziges Mal auf diesem Platz zu stehen und für diese Mannschaft aufzulaufen?

„Lass gut sein. Ich weiß selbst, wie wenig ich diesen Platz verdiene" erwidere ich und lasse mich lustlos auf die Bank fallen.

„Verarschst du mich? Nur weil deine Saison nicht so gut läuft, wie man es von dir gewohnt ist, bist du noch lange nicht schlecht. Du bist ein toller Fußballer und verdienst diesen Platz in der Aufstellung. Jule, wärst du schlecht, wärst du niemals so weit gekommen. Hör auf dich selber so runterzumachen." Versucht er es weiter, doch ich schüttle nur den Kopf. 

Er hat doch keine Ahnung. Er hat keine Ahnung wie es ist, auf und neben dem Platz völlig unzufrieden mit sich zu sein. Ich hasse mich selbst und meine Leistungen nur noch. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich das letzte mal sagen konnte, dass ich stolz auf mich bin.

„Danke für deine Mühe, aber ich kann das gerade nicht. Es ist einfach nur noch zu viel. Viel zu viel. Ich komme weder mit mir selbst, noch mit meinen Gedanken klar. Kannst du dir vorstellen wie schlimm es ist, wenn das, was du am meisten hasst, du selbst bist? Du dir ständig denkst, dass du es verdienst, dich so abgrundtief schlecht zu fühlen, aber das auch nicht länger kannst? Ich weiß, dass ich es nicht verdiene, mich gut zu fühlen. Aber ich kann langsam nicht mehr. Ich habe keine Kraft mehr, zu nichts. Weißt du eigentlich wie schlimm es jeden Morgen für mich ist, aufzuwachen und aus meinem Bett aufzustehen? Jeden Morgen öffne ich meine Augen und würde sie am liebsten für immer wieder schließen. Einfach, um nichts mehr zu fühlen. Um mich nicht mehr so unendlich schlecht zu fühlen. Ich will und kann einfach nicht mehr. Und ich sehe auch keinen Grund, wieso ich mich noch länger quälen sollte. Fußball sollte mir Spaß machen. Das Leben sollte mir Spaß machen. Aber aktuell finde ich beides nur noch schrecklich." All meine Gedanken und Gefühle platzen plötzlich aus mir heraus. Die Gedanken, welche ich nie laut aussprechen wollte.

Geschockt blickt Marius mich an und ich kann nicht verhindern, dass Tränen in meine Augen steigen.

Nein, nein, nein. Ich darf jetzt nicht schon wieder heulen. Das macht mich nur noch schwächer, als ich es eh schon bin. Das darf ich einfach nicht zulassen.

„Ich kann einfach nicht mehr" bringe ich noch mit zitternder Stimme hervor.

Sofort schließt Marius mich in seine Arme und streicht beruhigend über meinen Rücken. Jetzt kann ich die Tränen wirklich nicht mehr verdrücken. Ungehemmt weine und schreie ich in seine Halsbeuge und fühle mich endlich ein wenig befreiter.

„Wir schaffen das Jule. Versprochen. Ich bin für dich da. Wir schaffen das zusammen. Du kommst wieder in Topform, du wirst bald wieder Stammspieler sein und für die Nationalmannschaft wirst du auch nominiert werden. Wenn du bei irgendwas Hilfe brauchst, ich bin immer da, okay? Du brauchst mich nur anrufen oder mir eine Nachricht schreiben, dann bin ich innerhalb von zwanzig Minuten bei dir. Wir bekommen dich schon irgendwie wieder auf die richtige Spur." spricht er beruhigend.

Tatsächlich wirken seine Worte und ich kann mich ein wenig entspannen. Aber schaffe ich es wirklich, wieder in Form zu kommen?

„Danke. Für alles. Ich will es wirklich schaffen, wieder in den Kader für die Nationalmannschaft zu kommen. Aber ich glaube nicht, dass ich das schaffen werde." Gebe ich ehrlich zu.

Nichts würde ich mir mehr wünschen, als endlich wieder für mein Land spielen zu dürfen. Doch dafür muss ich unbedingt wieder besser werden.

„Du schaffst das. Wir schaffen das Jule. Ich helfe dir."


Hier mal wieder ein Kapitel aus der Sicht von Jule. ich glaube nur leider, dass sich die nächsten Kapitel erstmal wieder um Kai drehen werden. Von Jules Seite gibt es aktuell noch so wenig, was ich erzählen kann, dafür gibt es von Kai umso mehr. Ich hoffe, ihr seid deshalb nicht allzu enttäuscht, wenn erstmal weniger von jule kommen wird. Ich hoffe, dass euch das Kapitel gefällt. 

Was mich auch mal sehr interessieren würde ist, was ihr zu der Situation mit jule und Marius sagt🤔 bin auf jeden fall gespannt, was eure Meinung zu den beiden ist.

-M <3

Always YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt