Prolog

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Die Gaststube war belebt. In Anbetracht des Ereignisses, welches den Besuchern des Träumenden Webers heute bevorstand, war das wohl zu erwarten.

Nicht nur Menschen hatten sich aus allen Ecken Grüntals hier versammelt, gleichwohl Orks wie auch Gnome saßen an den überfüllten Tischen, sich den tristen Winterabend mit einer Geschichte der allseits bekannten und geliebten drei Geschwister zu versüßen.

Noch herrschte ausgelassene Stimmung: Es wurde geschwätzt, gelacht und aus riesigen Bierhumpen gesoffen. An einem der Tische landete die klobige Hand einer verärgert schnaubenden Orkfrau auf der hölzernen Platte, dass es nur so knarzte, und an einem anderen saßen zwei Männer derart dicht beieinander, ganz in ihre derbe Knutscherei vertieft, nicht einmal ein Streichholz hätte man zwischen ihre Leiber quetschen können.

Die Wärme des knisternden Feuers im Kamin vertrieb jeglichen eisigen Luftzug, der sich durch undichte Stellen im Gebälk ins Innere des Hauses verirrte, vereinzelte Öllampen spendeten weiteres Licht.

Hinter den kleinen Fenstern herrschte Dunkelheit. Feine, weiße Flocken schlingerten sacht zu Boden und bedeckten die zugefrorene Erde mit einer weißen Schicht.

Die Orkfrau, ihre Faust soeben noch gegen einen Hünen ihr gegenüber gerichtet, der sie wohl im Kartenspiel betrogen hatte, verharrte mitten in der Bewegung. Kantige Tattoos zogen sich ihre angespannten Arme hinauf und tauchten im Saum der groben Stoffweste unter.

Das knutschende Paar ließ voneinander ab und es waren nicht nur die Augenpaare der beiden Männer, die sich auf die schmale Tür richteten.

Die Scharniere quietschten, als wären sie seit etlichen Mondzyklen nicht mehr geölt worden, während diese sich öffnete und drei Gestalten eintraten. Gehüllt in lange Umhänge, die Gesichter im Schatten der weiten Kapuzen, mit strahlendem Weiß betupft.

Einvernehmliche Stille trat ein, niemand bewegte sich. Einzig das Knacken des Holzes im Kamin, sowie der flackernde Tanz von orangegelbem Licht und tiefschwarzen Schatten an den Wänden deuteten darauf hin, dass die Zeit nicht stehengeblieben war.

Schließlich trat die kleinste der drei Neuankömmlinge hervor und zog sich die Kapuze vom Kopf. Ein rundes Gesicht kam zum Vorschein, umrahmt von ungezähmten Locken. Mit einem freundlichen Lächeln auf den vollen Lippen sah die mollige, junge Frau in die Runde.

Auch ihre beiden Brüder nahmen jetzt die Kopfbedeckungen ab, der größere von ihnen fuhr sich mit der Hand durch das braune Haar, um die kräuselig abstehenden Strähnen so gut wie möglich zu glätten.

Ein kokettes Grinsen umspielte seine Mundwinkel, während er einem jungen Mädchen zuzwinkerte, das ihm am nächsten saß und bei seinem Anblick errötete. Die Freundinnen des Mädchens kicherten leise, alsbald dieses beschämt versuchte sich unter der breiten Krempe des Hutes zu verstecken, den es auf der zu blonden Zöpfen geflochtenen Haarpracht trug.

Die drei Geschwister bahnten sich einen Weg durch die nach wie vor schweigende Versammlung auf ein niedriges Podest zu, das sich mittig der Gaststube erhob und für ein jedermann offenstand, der sich Gehör verschaffen wollte. Die hohen Absätze ihrer schwarzen Lederstiefel, deren versilberte Schnallen unter den aufbauschenden Säumen der dunkelblauen Umhänge hervorblitzten, klackten über das Parkett.

Dort angelangt aber war es einzig der jüngste von ihnen, der die wenigen Stufen erklomm und sich auf einem dort bereitgestellten Hocker niederließ. Er nahm die Laute zur Hand, welche er auf dem Rücken trug, und stimmte ein paar Töne an.

Im nächsten Moment schwelgte eine seichte Melodie durch die feuergewärmte Luft. Einzelne Strähnen des kinnlangen, lockigen Haares hingen dem Jungen in der Stirn, während er sich mit geschlossenen Augen zum Takt seiner Musik wiegte. Ein leichter Flaum bedeckte seine Oberlippe.

»Uns kam zu Ohren, euch dürstet nicht nur nach gutem Bier und einem ordentlichen Braten, sondern ebenso nach einer unterhaltsamen Geschichte.« Die melodische Stimme der Schwester vermischte sich mit der Melodie ihres Bruders, als wollte sie sich mit ihr vereinen.

Die junge Frau schritt langsam um das Podest herum, damit sich auch jeder Anwesende angesprochen fühlen mochte.

»Nun, gute Geschichten, derer kennen wir so einige: Meine Brüder und ich. Wir haben viele Länder bereist, haben so manch eigenartige Leute kennengelernt und unterschiedlichen Sagen wie Legenden gelauscht. So sagt mir, welche Geschichte wollt ihr hören?«

Sie musterte die Orkfrau, die ihre zur Faust geballte Hand hatte sinken lassen und sich auf den Stuhl zurückfallen ließ, der unter dem Gewicht ächzte. Ein Grummeln verließ die schmalen Lippen, rechts und links ragten zwei gebogene Hauer aus ihrem leicht geöffneten Mund hervor.

»Die eines Kriegers von Eurem Blute, so stark, dass er den dicken Stamm eines wuchtigen Baumes mit bloßer Kraft zu zerbrechen vermochte?«

Ihr Blick glitt weiter zu einer Gruppe von vier Gnomen, die es sich auf einer der Tischplatten gemütlich gemacht hatten und an einer Schale frischen Obstes gütlich taten. Sie besaßen die Größe der Handfläche eines ausgewachsenen Mannes und ihre schrumpelige Haut war bedeckt von borstigem Fell, das zu allen Seiten abstand. Die Schwester durch ihre großen, gelben Augen betrachtend hielten sie darin inne, sich saftige Beeren in den Mund zu stopfen.

»Oder soll es die Geschichte zweier Gnomenreiche sein, deren Könige sich bis auf den Tod bekämpften, allein des Landes wegen und dieses zu erweitern?«

Ihren Worten ließ die junge Frau eine Pause folgen, den Zuhörenden die Möglichkeit bietend, eigenen Gedanken nachzuhängen. Ein leises Raunen erfüllte die Gaststube, verwob sich mit den sanften Klängen der Laute, deren Spieler sich davon nicht aus der Ruhe bringen ließ.

»Ich weiß, welche Geschichte wir erzählen«, meinte der ältere der Brüder. »Es ist eine Geschichte, die sich diesseits zutrug, im Grōnjan-Gebirge. Damals, als die Magie in diesen Landen noch weit verbreitet war und das Volk der Elben durch die Wälder streifte, die zu jener Zeit noch um einiges größer und herrschaftlicher waren.« Seine Stimme wurde lauter und er breitete die Arme nach beiden Seiten aus. »Es ist die Geschichte einer Liebe zweier Wesen. Einer Liebe, derart stark, den Tod selbst zu überdauern und auch jetzt, viele tausende Mondzyklen später, noch erzählt zu werden.«

Der junge Mann verstummte und ließ den Zuhörenden eine erneute Pause, dass sie sich der Bedeutsamkeit seiner Worte bewusst werden konnten. Dann hob seine Schwester wieder zu sprechen an.

»Nun denn, so ist es beschlossene Sache, die Geschichte von Solveig und Filyina soll es sein«, sagte sie. »So lauschet den Melodien meines Bruders und dem Klang unserer Stimmen, während wir euch berichten von einer Liebe, so innig und rein, dass sie wohl alles euch bisher gekannte in den Schatten zu stellen vermag.«

Und während die drei Geschwister anfingen zu erzählen, erhoben sich Funken aus dem Kamin und umschwirrten die Anwesenden in einem orangegelben Tanz. Verwunderte wie faszinierte Augenpaare folgten der Aufführung.

Die Funken aber bildeten in der Luft über ihren Köpfen Bilder von hohen Bäumen und tanzenden Leibern, als hätten die Stimmen der jungen Frau und ihres Bruders, sowie die Klänge der Laute ihnen weiteres Leben eingehaucht. Sie entführten die Zuhörenden in eine Zeit, viele Mondzyklen zuvor.

Flügelschlag eines SchmetterlingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt