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Die Geschichte des alten Frowin

Bald nach ihrer Rückkehr hielten die Mondzyklen des Sommers im Grōnjan-Gebirge Einzug und das Land mit flimmernder Hitze im Griff.

Es war die Zeit, welche viele Menschen lieber im Schatten des Inneren ihrer Hütten oder unter dem ausladenden Blätterdach der Bäume verbracht hätten, anstelle sich ihren mühseligen Alltagsarbeiten auf Feld, Weide und am Wasser inmitten der brütenden Sonnenstrahlen zu widmen.

Es war die Zeit, in der so manch Unwetter über die Berge hinweg zogen, Blitze ihre zuckenden Bilder an den wolkendunklen Himmel malten und Donner derart laut grollte, dass er von überallher zu kommen schien.

Die langen Tage vergingen und der Herbst breitete sein farbenprächtiges Gewand aus. Das Laub der Bäume erstrahlte im schillerndsten Rot, Gelb und Grün, das sich kurz darauf von Ästen und Zweigen löste und hinabschlingerte, um auch den Boden der grasbewachsenen oder steinigen Hänge zu bedecken.

Es wurde zunehmend kälter und oftmals regnete es in Strömen, während die Tage kürzer und die Nächte länger wurden.

Wenige Wochen später fielen die ersten Schneeflocken, die herabgefallenen Blätter gefroren, wie die Erde selbst, und das bunte Kleid wurde durch ein strahlend weißes ersetzt. Die meisten Tiere, zuvor noch munter durch Wälder und über Wiesenhänge umherstreifend, zogen sich nun in den Schutz ihrer Heime zurück.

Dies war die Zeit, in der Solveig sich davonstahl und zu Frowin in seine Werkstatt gesellte, um mit der Hilfe des alten Mannes an ihren Schnitzfertigkeiten zu feilen.

Alle paar Mondzyklen ließ er verlauten, wie sehr sich ihre Arbeiten bereits verbessert hatten und welche Freude es ihn bereitete Solveig bei diesem Entwicklungsprozess zu begleiten.

Doch nicht nur seine fröhliche Art war es, weshalb sie die Gesellschaft Frowins zu schätzen wusste, sondern gleichwohl die Geschichten, welche er zu erzählen wusste: Von Gnomen und den alten Orkheeren, wie auch Irrlichtern, die einen Menschen auf die falsche Fährte zu führen wussten, oder von der hoffnungsvollen Liebe der Prinzessin eines fernen Reiches zu ihrem Diener.

»Nun Kind, was hast du in den letzten Tagen angefertigt?«, fragte Frowin, der in seiner Hütte an der Hobelbank stand und an einem Bierhumpen für den Träumenden Weber arbeitete. Mit fließenden Bewegungen ließ er das große Schnitzmesser durch das Holz gleiten, um die Rinde zu entfernen und ihm die richtige Form zu verleihen. Nun jedoch legte er alles beiseite und kam auf Solveig zu, derweil er sich mit der Handfläche Schweiß von der faltigen Stirn wischte. »Zeig ruhig mal her.«

Während Frowin sich auf einen der klobigen Schemel nahe des wärmeverbreitenden Feuers in der Mitte seiner Kate niederließ, vergrub Solveig die Hand in der Tasche ihrer Wollweste.

Ihre Finger tasteten nach einem der Schmetterlinge, die sie seit ihrer Begegnung mit Filyina im Wald gefertigt hatte. Wie einer inneren Eingebung folgend hatten ihre Hände das Messer durch das weiche Zirbelholz geführt und mehrere dieser wundersamen Tierchen entstehen lassen.

Sie zog es vorsichtig aus der Tasche und hielt es Frowin entgegen. Dieser nahm den Schmetterling und drehte ihn in der Hand, ihn im orangegelben Licht der Flammen eingehend von allen Seiten begutachtend.

Flackernde Schatten tanzten an den fensterlosen Steinwänden, durch deren Ritzen Rauch und Funken entwichen. Werkzeuge hingen an Messinghaken und warteten auf ihren Einsatz, verschiedene Holzarten stapelten sich in den Ecken, sämtliche Oberflächen waren von Sägespänen bedeckt.

Frowin strich über die ausgebreiteten Flügel, deren Maserung über die Zyklen, in denen Solveig bereits an den unterschiedlichsten Formen solcher herumwerkelte, immer feiner geworden war. Schließlich nickte er langsam und sein Blick richtete sich auf das kleine Mädchen, ein anerkennend warmes Lächeln auf den Lippen.

Flügelschlag eines SchmetterlingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt