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Von Reue und Vergebung

Die Rettung Filyinas sowie die damit einhergehende Flucht mussten Solveig mehr zugesetzt haben, als sie zunächst vermutet hatte. Nie zuvor hatte sie sich so erschöpft gefühlt, den Schwächen ihres Körpers derart ausgeliefert. Wäre die Elbin nicht gewesen, sie hätte nicht gewusst, ob sie die nächsten Tage überstanden hätte.

So aber war jemand bei ihr, der ihr geistig wie körperlich Kraft gab. Sie durch Wärme am Leben erhielt. Wie das Filyina möglich war, blieb Solveig ein Rätsel. Vielleicht war auch dies auf die Magie zurückzuführen, die ihr die seltsame Eigenschaft verlieh, gewonnene Energie zu beeinflussen und gar weiterzuleiten.

Jedenfalls war sie unendlich dankbar für das, was ihre Freundin ihr zu geben bereit war.

Die Tage vergingen, alsbald verebbten Sturm und Regen gänzlich und hinterließen durchweichte, von Moos und Gräsern bewachsene Erde, in der man zu versinken drohte, aus dem Boden gerissene Baumstämme und abgebrochene Äste wie Zweige.

Es wurde zunehmend kälter, die Luft schien zu gefrieren. Immer öfter entzündete Filyina mittels der ihr verliehenen Macht ein Feuer im Höhleneingang und sie überließ Solveig ihren pelzversehrten Umhang.

Gleichsam wurde es immer schwerer etwas Nahrhaftes zu finden, da auch jegliche Früchte des Waldes nun dem aufkommenden Winter zum Opfer fielen. Zum Jagen hingegen hatten sie keine Ausrüstung.

Nur an Wasser mangelte es ihnen in den nächsten Tagen kaum, entsprang einem Spalt innerhalb der Felswand, in welcher auch die Höhle klaffte, in der sie Unterschlupf gefunden hatten, doch ein munter dahinfließender Bach, der sich über die Steinfläche schlängelte und etwas weiter unten zwischen den Fichten verlief.

Dieser mochte zwar jeden Morgen aufs Neue zugefroren sein, jedoch hatten sie inmitten des Waldes eine Stelle erkoren, an der sie das Eis regelmäßig mit einem Stein einschlugen, um sich am frischen Gebirgswasser gütlich zu tun und notdürftig zu waschen. Gleichermaßen hatten sie den Rappen hier an einer niedrigen Astgabel festgemacht, damit er alles fand, was er zum Überleben benötigte und ihnen dennoch nicht davonlief.

Zumindest was die Waigōn betraf schien Filyina recht zu behalten, denn seit die Elbin ihnen im Wald beinahe in die Arme gelaufen wäre, hatten sie keine Anzeichen mehr von den kaltblütigen Jägern entdecken können.

»Was ist mit Magie?«, fragte Solveig eines Mittags, da sie mit knurrendem Magen an einem mageren Feuer hockte, dass ihre Freundin schon bei Sonnenaufgang entfacht hatte. Nach den Tagen, die es immerzu geregnet hatte, war das Holz derart durchnässt, dass die Flammen nur kümmerlich emporflackerten, lautes Zischen und dichten Qualm von sich gebend. Dennoch war Solveig dankbar für jedes bisschen zusätzliche Wärme, durch die sie nicht der zunehmenden Kälte ausgesetzt waren. »Kann die Magie dir beim Jagen nicht behilflich sein?«

Filyina schüttelte leicht den Kopf, derweil sie auf einem Stück kahler Baumrinde kaute - etwas, das sie manchmal taten, um zumindest den ärgsten Hunger zu vertreiben -, und legte einen weiteren entzweigebrochenen Ast in die orangegelben Flammen.

»Es ist uns nicht gestattet, unsere Verbindung zur Natur und somit der alten Macht für habgierige oder gewalttätige Zwecke einzusetzen«, erklärte sie. »Es sei denn wir haben keine andere Wahl, als sie anzuwenden.« Die Elbin sah hinab zu Solveig, ihr direkt in die Augen, sodass es sie schauderte bei der Intensivität des Blickes. »Um jemand anderen oder uns selbst zu schützen, sollte unser Leben durch fremden Einfluss in unmittelbarer Gefahr sein.«

Solveig seufzte und kuschelte sich tiefer in den Umhang ihrer Freundin, befand jedoch, dass das Gesagte durchaus Sinn ergab, wenngleich es sich in dieser Situation wohl als recht nützlich erwiesen hätte, auf die magischen Kräfte des elbischen Volkes zurückgreifen zu können.

Flügelschlag eines SchmetterlingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt