-15-

9 1 15
                                    

Vom Leben und der Liebe

Solveig ahnte, dass man sie wohl vermissen würde, wenn sie dem Zuhause lange fernblieb, und doch hielt sie das nicht davon ab, den Rest des Tages und auch die folgende Nacht mit Filyina zu verbringen. Nun, da feststand, dass sie sich voneinander würden trennen müssen, ohne die Gewissheit sich je wiederzusehen, wollte sie jede einzelne Sekunde auskosten, die ihr noch mit ihrer Freundin blieb.

»Du sagtest mir einst, du wollest mir zeigen, was genau das mit der Magie ist«, murmelte Solveig, derweil sie dicht beieinander am Boden inmitten der Sträucher lagen.

Den Kopf auf Filyinas Schulter gebettet, strich sie mit den Fingern ihrer Rechten über den linken Arm der Elbin. Diese hingegen hielt sie fest mit ihrem anderen umschlungen, als wollte sie die junge Frau nie mehr loslassen. Ein vertrautes Schmunzeln legte sich auf ihre Lippen.

»Ich erinnere mich.« Mit einem Mal setzte Filyina sich auf, sachte, wohl um Solveig nicht zu verschrecken. »Nun gut, dann komm her.«

Sie reichte Solveig die Hand und zog sie an sich, nachdem sie diese ergriffen hatte. Einander nun gegenüberkniend, sahen Solveig und Filyina sich in die Augen. Dann deutete die Elbin auf eine Stelle nahe bei ihnen.

»Siehst du das?«, fragte ihre Freundin und Solveig beugte sich darüber, kniff die Augen zusammen.

Bei genauerem Betrachten war tatsächlich ein kleiner, grüner Pflanzenspross zu sehen, der sein Köpfchen zaghaft durch die Erdoberfläche streckte.

»Er muss zu Beginn der warmen Zeit versucht haben sich den Schatten hier zu erwehren und genügend Licht zum Wachsen zu erhalten«, raunte Filyina. »Vergeblich.« Ihr Blick wanderte zu dem leicht verzweigten Geäst ringsum, das von schweren Blättern bedeckt war, die leise im warmen Sommerwind raschelten. Die Strahlen der Sonne bildeten ein tanzendes Spiel aus Licht und Schatten auf ihren Gesichtern. »Das Gesträuch hier muss zu groß und dicht gewesen sein und hat ihm wohl keine Gelegenheit des Gedeihens geboten.«

Solveig warf ihrer Freundin einen leicht bekümmerten Blick zu. Was die Elbin sagte klang unglaublich traurig, doch diese lächelte sanft.

»So ist das Leben«, sprach sie und strich zärtlich mit einer Hand über Solveigs Wange. »Manches Mal läuft es nach Plan und dann wieder ganz anders als gedacht.« Filyina räusperte sich. »Wie dem auch sei, möchtest du ihm helfen? Vielleicht bekommt er dann doch die Gelegenheit zu gedeihen.«

Solveig nickte stumm. Ihre Wange kribbelte noch lange nachdem Filyina die Hand heruntergenommen hatte und nach der ihren griff. Fest und warm hielt die Elbin diese umschlungen, während sie langsam hinter die junge Frau kroch. Sie führte ihrer beider Hände zum Pflanzenspross und ließ sie knapp oberhalb diesem schwebend verharren.

»Schließ die Augen«, hauchte Filyina Solveig ins Ohr, ihr Atem traf auf die Haut der jungen Frau und ließ sie wohlig aufseufzen, derweil sie der Aufforderung ihrer Freundin Folge leistete. »Atme tief ein und aus.« Solveig gehorchte und holte tief Luft durch die Nase, ließ sie ihre Lunge entlangstreifen und langsam dem Mund entweichen. Das tat sie mehrmals, bis sie sich einem Vogel ähnlich fühlte, der beinahe schwerelos über das Land hinwegsegelte. »Gut. Und nun öffne deinen Geist. Lass einfach los, all deine Gefühle, die Sorgen, die Ängste, Wut und Liebe. Lass los und versuche dich ihr hinzugeben, der alten Macht, der Verbindung zur Natur.«

Solveig bemühte sich den Worten ihrer Freundin nachzugehen, musste jedoch schnell feststellen, dass dies nicht so einfach war, wenn jeder Atemzug der Elbin ihre Wange streifte, sie kitzelte und wohlige Schauer auslöste, die ihren gesamten Körper durchrieselten. Filyinas Hand auf der ihren schien brennende Impulse Solveigs Arm hinaufzusenden, die keinesfalls unangenehm, vielmehr erregend waren.

Flügelschlag eines SchmetterlingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt