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Von Splittern und Magie

Erschöpft ließ Solveig sich auf ihre Schlafstätte im Lager sinken und holte tief Luft, sog den Geruch nach frischem Gras und feinen Knospen in sich auf. Der seichte Frühlingswind streifte die Äste und Zweige der umstehenden Sträucher und die Sonne wärmte ihr das Gesicht.

Solveig schüttelte ihre schmerzenden Arme aus, nachdem Yvo sich endlich aus ihrer Umklammerung hatte befreien können. Aufgrund des verletzten Beins jedoch, welches das Lämmchen humpeln ließ, kam es nicht weit. Schon befand es sich in den Armen von Solveigs Vater, der es ebenfalls hochhob und sich vorsichtig auf die eigene Schlafstätte setzte, den kleinen Vierbeiner in den Schoß nehmend.

Dieser blökte protestierend, als der Mann sich daran machte sein Bein zu begutachten. Sie schwiegen beide, während er Yvo weiter untersuchte und Solveig - nachdem sie einen großen Schluck aus dem Wasserschlauch genommen hatte, den sie mit einem kleinen Messer an den Gürtel um ihre Taille geschnallt trug - Thora die Ohren kraulte. Die Schäferhündin hatte sich neben sie gelegt, den Kopf auf ihren verschränkten Beinen ruhend, und grummelte wohlig.

»Das ist nur ein Kratzer«, murmelte Solveigs Vater schließlich. »Die Mutter wird wissen, was zu tun ist, also wird das schnell wieder verheilen.«

Mit den Worten entließ er das Lamm in die Freiheit. Es schnupperte sich durch die Mulde und verschwand humpelnd in einem der Sträucher. Allein ein kleines Kopfnicken des Mannes genügte und Thora erhob sich, um dem Tierchen zu folgen.

Er stand nun selber auf und trat an Solveig heran, kniete sich langsam neben sie. Erneut griff er nach ihrer Hand und begutachtete diese sichtlich konzentriert durch leicht zusammengekniffene Augen, die Brauen ein wenig zusammengezogen.

»Jage mir bitte nicht wieder einen solchen Schrecken ein«, sagte er leise, die tiefe Stimme voller Sorge, wobei er jedoch weiterhin seine übliche Ruhe ausstrahlte. »Du warst mit einem Mal verschwunden und ich dachte, dir wäre sonst was zugestoßen! Was ist überhaupt geschehen, weshalb du auf einmal weg warst?«

Ihr Vater fing an den Splitter herauszudrücken. Solveig sog hörbar scharf die Luft zwischen die zusammengebissenen Zähne, als ein brennendes Stechen durch ihre Hand schoss. Das rettete sie vor einer Antwort, die sie sich am liebsten ersparte.

Wie auch sollte sie erklären, dass sie einem leuchtenden, blauen Schmetterling hinterhergelaufen war, der sie tatsächlich zu Yvo geführt hatte? Wenn er sie nicht für verrückt halten würde, so würde sich zumindest seine Angst erweitern, sie sei in ihrer kindlichen Naivität auf die List eines Irrlichts hereingefallen, das sie in die Tiefen des Waldes hätte führen wollen, sich dort an ihrer Seele zu laben.

»Da ... ist er«, kam es von ihrem Vater, der es allmählich zustande brachte, den Splitter Stück für Stück aus Solveigs Handfläche zu ziehen.

Dennoch brauchte er einige Sekunden, um sie gänzlich davon zu befreien und das winzige Holzstück ins Gestrüpp zu schnippen. Splitter konnten widerspenstige Dinger sein, das wusste Solveig von denen, die sie sich bereits beim Schnitzen zugezogen hatte.

»Alles in Ordnung?«, fragte ihr Vater.

Solveig nickte und schüttelte sich, im Versuch die Muskeln ihres Gesichts zu lockern.

»Erzählst du mir jetzt, was passiert ist?«

Solveig schwieg und hielt den Blick gesenkt, die Hände zu Fäusten geballt. Die Feuerstelle lag kalt und grau vor ihr, als trüge sie die Trostlosigkeit einer ganzen Welt in sich, den blühenden Frühling ringsum ignorierend.

»Sol...?«

»Ich bin schon groß!«, zischte Solveig zwischen zusammengepressten Lippen hervor. »Ich kann auf mich selbst aufpassen!«

Flügelschlag eines SchmetterlingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt