Kapitel 7 ~ Die Dohle im Käfig

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Es waren einige Tage vergangen, da Bellatrix im Vorgarten der Blacks appariert war. Mit Erstaunen hatte sie festgestellt, dass sie nicht wie gewöhnlich in ihrem Zimmer hatte auftauchen können. Stattdessen war sie mitten in den jetzt im Winter braun und karg stehenden Hortensienbüschen ihrer Mutter gelandet. Die Verfehlung ihres eigentlichen Ziels konnte sie sich nicht erklären. Wie immer hatte sie sich fest konzentriert. Schlussendlich konnte sie nur mutmaßen, dass ihre Eltern wohl einen Zauber über das Haus gelegt haben mussten, der Eindringlinge von Außen aus den eigenen vier Wänden fern hielt. Und damit hatte sie Recht behalten sollen.
Als die junge Hexe sich aus dem dichten Geäst des Buschwerks befreit hatte, wobei sie einige Kratzer von den steif gefrorenen Zweigen und Stängeln der Pflanzen davontrug, steuerte sie zunächst die Hintertür an, die von der Gesindeküche in den Garten hinausführte, wo sich ein kleines, verwildertes Kräuterbeet und ein Komposthaufen mit kleineren Küchenabfällen befanden. Die Tür jedoch war verriegelt und ließ sich auch mit einem energisch in die Nacht gezischten „Aloho Mora!" nicht öffnen.
Das hatte nur eines bedeuten können: Ihre Rückkehr war nicht erwünscht. Zumindest hatte sie nicht unbemerkt bleiben sollen. Und als Bellatrix widerwillig und etwas mutlos zum Haupteingang des Hauses getrottet war, hatte sie bereits Licht hinter den großen Rautenfenstern im Erdgeschoss des Black Hauses aufflammen sehen, das von einer einzelnen Quelle herzurühren schien, die lediglich einen vorauseilenden Kegel taghellen Lichts im Inneren des Hauses leuchten ließ. Der Lumos-Zauber hatte sie geblendet, als die Tür sich geöffnet und sie sich ihrem Vater gegenüber gesehen hatte.
Statt einer Begrüßung oder auch einer zu erwartenden Gardinenpredigt war es eine schallende Ohrfeige gewesen, die Bellatrix nach ihrer zweitägigen Abwesenheit Zuhause willkommen geheißen hatte.

Und deren Spuren zierten auch noch, gut zwei Wochen später das Gesicht der Hexe. Die Überreste des prächtigen Veilchens, das unterhalb ihres Auges und bis über den Wangenknochen erblüht war, zeichneten sich noch in leichten Lila- und Grüntönen vom Rest des blassen Teints ab. Die Einblutung in ihrem linken Auge war da schon etwas hartnäckiger und ließ sich wahrlich nicht so leicht kaschieren.
Einen Zauber dagegen kannte sie nicht.
Genauso wenig wie gegen den mysteriösen Verriegelungsschwur, den Cygnus Black auf die Zimmertür seiner Tochter gewirkt hatte, was ein echtes Problem darstellte, denn das nächste Treffen der Todesser stand bereits ins Haus. Und das konnte und wollte Bellatrix auf gar keinen Fall verpassen. Sie wollte kämpfen und es fühlte sich gerade jetzt, da sie eingesperrt war, ungemein gut an, ein Teil dieser aktivistischen Gruppe zu sein.
Und auch dass das eindeutig gegen Rodolphus' Willen war, stellte einen enormen Bonus dar.

Rodolphus... Beinahe jeden Tag dachte Bellatrix nun an ihn, wie sehr ihr seine Gesellschaft fehlte. Und immer wieder kamen mit dieser Sehnsucht auch die Worte, die Rod gesagt hatte in ihr Gedächtnis und machten alles nur noch schmerzhafter.
Doch sie würde nicht nachgeben. Nicht dieses Mal, nicht bei ihm. Der Vertrauensbruch hatte einen gewissen Trotz in ihr zum Leben erweckt, der lange in ihr geschlummert hatte. Bellatrix wollte es ihm beweisen, wie gut sie kämpfen und überleben konnte, wie gut sie sich anpassen und lernen konnte..., wie viel besser sie als Todesserin sein würde. Doch was nutze es? Sie steckte hier fest und es machte auch nicht den Anschein, als würde sich daran in nächster Zeit etwas ändern. Ob man ihr wohl vergeben würde, wenn sie eines der Treffen verpasste? Würde sie zurückkehren dürfen?

Bellatrix saß an ihrem Schreibtisch. Der Frost an ihrer Fensterscheibe hatte Eisblumen gebildet. Die Bäume im Garten wirkten merkwürdig starr und tot. Nicht einmal ein Vogel erhob sich aus ihren Kronen. Der Himmel war in dreifarbige Streifen unterteilt:
An seinem Horizont war er satt golden, darüber weißgrau und über den Hausdächern verlief er sich in einem verwaschenen, dunklen Grau-Blau. Obwohl es mitten am Tag war, schien selbst die Sonne zu träge, um hoch aufzusteigen. Sie hing tief über dem mit unberührtem, glitzerndem Schnee bedeckten Landstrich.
Über Nacht hatte es einen Temperatursturz gegeben, der es beinah unmöglich machte, sich länger als ein paar Minuten draußen aufzuhalten.
Nicht, dass Bellatrix aus Erfahrungen sprechen konnte..., doch hatte sie beobachtet, wie ihre Schwester an diesem Vormittag ihren Habichtskauz Anath hatte fliegen lassen, vermutlich, um vorauszureisen. Denn heute endeten die Weihnachtsferien und Narcissa musste nach Hogwarts zurückkehren.
Anath's Flügel hatten sich majestätisch ausgebreitet, bevor sie sich schwerelos in die Lüfte erhoben hatte und vor dem Winterhimmel immer kleiner geworden war, eh sie schließlich ganz verschwunden war.
Nicht nur ihre Schwester hatte ihr lange nachgesehen. Auch Bellas Blick hatte die Eule verfolgt. Sie selbst besaß ebenfalls eines dieser nützlichen Tiere. Doch die Schleiereule Ikarus war ein unabhängiger Freigeist und kam nur gelegentlich zu seiner Herrin. Seitdem er nicht mehr regelmäßig den Tagespropheten und Briefe nach und von Hogwarts überbringen musste, ließ Bellatrix ihn frei fliegen und jagen. Ikarus hatte so traurig in seinem Käfig gewirkt. Vermutlich auch, weil Andromeda bei ihrem Verschwinden auch seinen Bruder Daedalus mitgenommen hatte.
Die beiden waren den Schwestern zu Andromeda's erstem Schuljahr geschenkt worden. Mit ihrem Vater war die damals Elf-Jährige nach London in die Winkelgasse gereist und hatte dort in Eeylops Eulenkaufhaus eigentlich mit einem Steinkauz geliebäugelt. Doch als der Verkäufer ihr die beiden aus dem Nest gefallenen Schleiereulen-Brüder gezeigt hatte, konnte sie nicht anders, als beide mitzunehmen und ihrer großen Schwester Bellatrix einen zu schenken.
Den ganzen Sommer lang hatten die Mädchen sie aufgepäppelt und großgezogen, und als am ersten September der Hogwarts Express aus Kings Cross abfuhr, hatten Ikarus und der etwas kräftigere Daedalus den Zug im Freiflug begleiten können.
Vermutlich war Ikarus sogar jetzt bei seinem Bruder und wusste im Gegensatz zu Bellatrix, wo Andromeda sich aufhielt.

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