Kapitel 2 ~ Blut ist dicker als Wasser

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Der Himmel war grau und verhangen von matten, rötlichen Wolkenschwaden. Es schneite und die Sonne war untergegangen. Dicke Flocken wirbelten durch die Luft und bedeckten die Erde rasch mit einer rein-weißen, pulvrigen Schicht Neuschnee, die sogleich eine friedliche Wirkung auf die recht trostlose Gasse machte, deren feuchtes Kopfsteinpflaster nun kaum mehr zu erkennen war. Das schwache gelbliche Licht, der wenigen vorhandenen Straßenlaternen war die einzige Lichtquelle vor dem nun rasch dunkel werdenden, abendlichen Horizont.
Der schmale, gepflasterte Weg, der links und rechts eng mit spitzdächrigen, historischen Fachwerkhäusern bebaut war, war menschenleer. Irgendwo weit weg läutete eine Kirchenglocke und verkündete, dass es nun achtzehn Uhr war.
Dann zerriss ein Knall die Stille. Die Nachbarshunde in den umliegenden Straßen bellten und heulten laut zur Antwort.
Eine Gestalt war am Ende der Gasse erschienen, in einen schwarzen Umhang gekleidet, eine Kapuze auf dem Kopf und einen Koffer in der rechten Hand.
Bellatrix stapfte durch den Schnee. Sie reckte das Gesicht nach links und rechts die Häuserreihen empor, suchte nach einer bestimmten Hausnummer und blieb schließlich vor einem recht zerschlissenen Gebäude stehen. Es war ein schlichtes Fachwerk mit schwarzem Gebälk und heller Fassade im Tudorstil. Hinter den schmalen, langen Fenstern im Erdgeschoss brannte Licht und als sie den Blick nach oben schweifen ließ, meinte sie, die Silhouette eines Mannes im Erker erkennen zu können. Bellatrix näherte sich der Tür und klopfte dann beherzt an. Zunächst antwortete niemand, da sie jedoch das Licht hatte brennen sehen, wusste sie, dass die Anwohner des Hauses unleugbar daheim waren. Schließlich fiel ein blasser Lichtkegel unter der Türleiste hindurch und gedämpfte Schritte kündigten sich von der anderen Seite her an, eh im Schloss ein Schlüssel gedreht und die Tür eine Hand breit geöffnet wurde. Ein ängstliches, runzliges Gesichtchen erschien im Spalt und sah Bellatrix skeptisch an.
„W...was wollen Sie?", fragte eine kleine Frau mit lichtem, weißen Haar verunsichert, als sie Bellatrix vor sich sah.
Diese legte ein höfliches Lächeln auf und trat etwas näher an den Türspalt, wo sie sich leicht zu der gebückt stehenden Frau hinunterbeugte und mit lauterer Stimme antwortete als sie es sonst getan hätte: „Ich möchte zu Rodolphus."
Die alte Dame verzog noch ängstlicher das Gesicht, schüttelte den Kopf und schob die Tür allmählich wieder zu, wobei sie leise in sich hinein murmelte: „Nein, nein, nein...ist es nicht...ist es nicht..."
Bellatrix war ganz perplex auf diese eigensinnige Art der Ablehnung hin. Sie streckte den Arm aus und fing mit der Hand das Türblatt an der Kante auf, gerade bevor es ins Schloss fallen konnte. „Mrs Lestrange.", sagte sie mit etwas bröckelnder Nachsicht in der Stimme, doch nach wie vor höflich. „Der junge Mann, der in Ihrem Haus wohnt...Ihr Enkel?", aber die Frau schien, nicht zu verstehen. Sie starrte aus weit geöffneten Augen auf den Boden, während sie kopfschüttelnd rückwärts weiter in den Flur hineinging.

„Großmutter!", eine Stimme rief vom obersten Treppenabsatz her. Ein Mann war dort erschienen. Er war groß, von recht stämmiger, doch muskulöser Statur und hatte kinnlanges, dunkles Haar, das aus seinem verwegenen Gesicht gekämmt war. Er war es, der auf der Photographie vom Ball neben Bellatrix gestanden hatte: Rodolphus Lestrange.
Die alte Dame hob den Blick und wo eben noch tiefe Verwirrung geherrscht hatte, trat nun ein breites, herzliches und zahnloses Strahlen über ihr ganzes faltiges Gesicht. „Ras!", gurrte sie und streckte die Arme aus, die Stufen zu ihm hinaufsteigend, „Mein Ras.".
Bellatrix' Verwunderung über diese Betitelung zeichnete sich nur leicht in ihrem Gesicht ab.
Rodolphus kam der alten Dame kühl lächelnd entgegen, sodass sie ihn in eine Umarmung ziehen konnte, die aufgrund ihrer geringen Größe etwa auf seiner Taillenhöhe stattfand. Über ihren Kopf hinweg warf er Bellatrix einen,...man hätte meinen können, beschämten und zeitgleich bedauernden Blick zu, als wäre es ihm lieber gewesen, ihr solche familiären Gefühlsduseleien ersparen zu können. Dann legte der junge Mann, wenn auch recht widerwillig, einen Arm um seine Großmutter und begleitete sie die Stufen empor.
„Komm. Ich bring dich in dein Zimmer, hm?", seine Stimme war gedämpft. Bellatrix verfolgte die beiden mit leicht inquisitivem Blick und einem nach wie vor neutralen, unergründlichen Ausdruck auf dem Gesicht, der kein Urteil über die Situation erkennen ließ.
„Ich bin sofort bei dir.", setzte Rodolphus über die Schulter rufend nach. „Setz dich gern ins Wohnzimmer."

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