Kapitel 4 ~ Die Rosier Residenz

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Es war ein Mann mittleren Alters, der Rodolphus aus mattblauen Augen heraus missbilligend musterte. Eben jene Augen kannte Bellatrix, wie sie selbst leicht erschrocken feststellen musste. Es war das gleiche Blau, die gleiche Form, wie sie sie auch von ihrer Mutter her kannte. Und dem Blick nach zu schließen, lag die gleiche Verurteilung jungen Menschen gegenüber darin, wie auch Druella Black sie giftig versprühte, wann immer sie einem gegenüber stand und die Chance dazu hatte.
Und ohne ihn je persönlich gesehen oder getroffen zu haben, wusste Bellatrix, wer hier vor ihr stand:
Es war der Bruder ihrer Mutter, ihr Onkel Devan Rosier - Groß, doch den Rücken gekrümmt, was ihm die karikierte Gestalt eines Geiers verlieh, dazu ein ädriges, rotfleckiges Gesicht mit Dreitagebart an den schlaffen Wangen und die mausbraunen Haare dünn und strähnig bis an sein stoppeliges Kinn fallend. Er hatte nicht einmal annähernd die Grazilität seiner erhabenen Schwester oder sonst Ähnlichkeit mit ihr, doch trug er all ihr so mühevoll verborgenes Inneres, das sie mit indischer Seide, Perlen und Spitze kaschierte und das nur hin und wieder durch gekünsteltes Kichern, strafend sengende Blicke und bissig verletzende Seitenkommentare ans Licht kam, nach außen.
Noch hatte Rosier seine Nichte nicht erkannt oder ihr auch nur Beachtung geschenkt. Stattdessen hing sein Blick weiterhin an Rodolphus, während er mit seiner gebückten Haltung den Türrahmen blockierte.
„Du bist zu spät.", bemerkte Rosier in verachtendem Ton und machte keine Anstalten, das halb erfrorene Paar hineinzulassen.
„Ich weiß, Rosier...Der Sturm hat mich aufgehalten.", antwortete Rod sächlich und versuchte, das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken.
„Das hat hier sonst niemanden davon abgehalten, pünktlich zu kommen."
„Ja, denn wie wir schon das letzte Mal geklärt hatten, reisen die anderen per Flohpulver, wohingegen unser Kamin nicht an das Flohnetzwerk des Ministeriums angeschlossen ist.", erklärte Rod beharrlich, doch mit wachsendem Unmut, als müsse er einem lernresistenten Kleinkind eine sehr einfache Tatsache bereits das x-te Mal vorkauen.
„Und da du nicht der Versammlungsleiter sondern nur der Gastgeber bist und dir nicht zusteht, Mitglieder von der Versammlung auszuschließen..., solltest du mich besser einlassen, denn sonst, fürchte ich, wird der Dunkle Lord sich deiner annehmen müssen."
Rosier musste sich geschlagen geben. Und diese Erkenntnis verfinsterte seine Miene nur noch mehr. Missgestimmt und mit einem mörderischen Ausdruck in den Augen trat er beiseite, um Rodolphus eintreten zu lassen und hätte beinah Bellatrix die Tür vor der Nase zugeschlagen, als Rod sich für sie dagegenstemmte.
Mit Fassungslosigkeit starrte der geierartige Zauberer die junge Hexe an wie eine Erscheinung, als er sie nun endlich bemerkte, und vor Aufregung brachte er kaum einen konkreten Satz hervor - was allerdings nicht daran lag, dass er sie als eine Verwandte erkannte.
„Wie kannst du es -...V..Verrat! Du verrätst das Treffen!", keuchte er. Rodolphus gab der Tür nur lässig einen Schubser, als Bellatrix an ihr vorbei ins Haus gehuscht war und nahm sie sanft bei der Schulter an seine Seite.
„Das ist kein Verrat.", entgegnete er unbeeindruckt. „Sie gehört zu mir und ist mehr als vertrauenswürdig. Du kannst den Mund wieder schließen, Rosier."
Bellatrix blieb stumm. Sie sah dem Mann, ihrem Onkel, der im Eingangsbereich wie zur Salzsäule erstarrt war, aus den Augenwinkeln nach und blickte sich dann aufmerksam im Gehen um.

Rodolphus führte sie durch ein Foyer, das man in der von weitem zerfallen scheinenden Hütte, nicht erwartet hätte und dessen hellgräuliche Kalksteinwand mit einem großen, mittelalterlichen Wandteppich behangen war. Bellatrix konnte nicht anders, als ihn einen Moment zu betrachten.
Er war aufwendig mit schaurigen Szenarien bestickt, die Menschen in grotesken Posen zeigten: Auffällig viele waren mit roten Pusteln im ganzen Gesicht gezeichnet, manche davon wiesen zudem einen grünlichen Teint auf, wanden sich in offenbar großer Pein am Boden und reckten die Hände verzweifelt in die Luft über die Köpfe, wo eine riesige beflügelte Echse über sie hinwegflog und im Flug etwas von ihnen nahm, das dargestellt als bläuliche Flämmchen von den Erkrankten wich - wahrscheinlich ihre magischen Kräfte, wie Bellatrix vermutete und sich sogleich fragte, wer um alles in der Welt sich freiwillig eine überdimensionale Bildwirkerei mit der altertümlichen Vorstellung über Drachenpocken als Motiv in sein Haus hängte.
Aber der Gobelin im Foyer war freilich nicht das Kurioseste. Das Haus verlief sich, wie schon von außen erkennbar, nach hinten hin in den Fels, in den es gebaut worden war, weshalb die hinteren Räume, rauhwandig, ausladend und dunkel waren, da es keine Fenster fernab der Eingangsfront gab. Von den Decken hingen viele Kerzenleuchter, an den Wänden brannten Fackeln und überall standen Windlichter in großen Stahlhaltern. Der Boden war mit dunklen, ziemlich abgenutzten Dielen und darauf verteilten Perserteppichen bedeckt, und es gab eine zweite Etage, in die man über eine unebene, groß gewundene Steintreppe gelangte.

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