»DAS IST SIE, die Bucht der Vorfahren«, sagt Tsireya feierlich. Vor uns erstreckt sich eine Bucht, darüber prangen skurrile, ringförmige Felsskulpturen, durch deren Lücken das schummrige Licht der Eklipse dringt und die ruhige Wasseroberfläche in ein glänzendes Flammenmeer verwandelt. Unsere Ilus treiben langsam auf dem Meer und bringen uns zum Herz der Bucht.
»Eklipse ist die beste Zeit um hierher zu kommen«, fährt meine Schwester fort. Staunend stützt Tuk sich auf Kiris Schulter ab, um einen Blick auf die beeindruckende Bucht zu erhaschen.
»Das ist...wunderschön«, haucht Kiri gefesselt und lässt ihre Piniengrünen Augen über die Felsen schweifen. »Warts ab, bis wir unter Wasser sind«, sage ich.
»Was meinst du damit?«, fragt Kiri verwundert.
»Komm, siehs dir selbst an«, ich lasse mich von meinem Ilu ins Wasser gleiten, Kiri folgt mir. Kurze Zeit später tauchen auch Neteyam, Lo'ak und Tsireya ins Wasser ein. Mit kräftigen Schwimmzügen meiner Arme tauche ich immer tiefer auf das helle rosa Licht zu, welches das Meer in gleißendes Licht taucht.
Ich drehe mich zu den Omaticaya um, die mit offenen Mündern den riesigen, strahlenden Baum anstarren, der unter der Wasseroberfläche in einem Feld auf gold leuchtenden Gräsern steht. Dieser Baum ist heilig für uns Metkayina und der einzige Ort, an dem wir uns mit Eywa und den Vorfahren verbinden und sie spüren können.
Mein Vater hat Tsireya und mir befohlen, die Omaticaya hierherzubringen und ihnen diesen Ort zu zeigen. Jetzt, wo sie bei uns leben und zu Metkayina werden wollen, sollen sie in unseren heiligen Ort eingeweiht werden.
Als wir am Baum angekommen sind, greife ich drei der langen Lianenblätter, die von den Ästen herunterhängen. Ich taste mit der Hand nach dem geflochtenen Zopf in meinem Nacken und als ich ihn zu fassen bekomme ziehe ich ihn unter meinen dichten, schwarzen Haaren hervor.
Neben mir knüpft Tsireya gerade das Band mit den Lianen und schließt ihre Augen. Auf meiner anderen Seite sehe ich die Omaticaya und lächele ihnen aufmunternd zu. Kiri ist die erste, die ihr Band knüpft und Neteyam, Lo'ak und Tuk tun es ihr gleich.
Im Wasser treibend lasse ich das Ende meines Zopfes mit den kleinen, hellen Tentakelartigen Fühlern mit dem Baum verschmelzen. Sofort erfasst mich eine Energie, wie sie nur Eywa ausstrahlen kann. Ich höre die Stimmen vieler Na'vi, Vorfahren und längst verstorbene Ahnen. Kleine Kinder, Babys die schreien, Mütter und Väter, Alte und Junge.
Ich schließe die Augen, konzentriere mich auf die Stimmen die mich erfüllen, Stimmen die von Eywa kommen. Ein lächeln bildet sich auf meinen Lippen, als ihre Kraft mich wärmt und erfüllt. Es ist ein wunderbares Gefühl.
Manche Na'vi haben Visionen und Prophezeiungen von Eywa, wenn sie sich mit dem Baum verbinden, doch andere bekommen neue Kraft von der großen Mutter verliehen. An manchen Tagen, an denen es mir schlecht ging, bin ich hierher gegangen, um neue Kraft und Lebensenergie zu borgen.
Wir Na'vi erzählen uns, dass alle Energie nur von Eywa geborgt ist. Sie gibt uns die Kraft, die wir zum Leben brauchen, doch wenn ein Na'vi stirbt, steigt seine Seele zu der großen Mutter auf und gibt alle geliehene Energie zurück.
Langsam werden die Stimmen leiser, bis sie ganz verklingen. Ich öffne meine Augen und löse das Band. Ich wende mich um und sehe Tsireya, die zu mir geschwommen kommt. Gerade lösen Neteyam und Lo'ak ihre Bänder, als Kiri sich im Wasser zu winden beginnt. Ihr Körper verkrampft sich, ihr Gesicht zuckt.
'Wir müssen sie aus dem Wasser bringen, sie bekommt keine Luft mehr!', gibt Neteyam uns mithilfe der Zeichensprache, die wir Metkayina unter Wasser benutzen und die ich ihm beigebracht habe, zu verstehen.
Mit einer Hand löst er ihr Band zu den Lianen, die andere schlingt er um ihren Oberkörper. Wir folgen ihm, als er an die Wasseroberfläche schwimmt, um seine Schwester an die Luft zu bringen. Oben angekommen setzt er sich auf seinen Ilu und legt Kiri vor sich ab.
»Was ist mit ihr?«, fragt Tuk ängstlich.
»Alles ist gut, sie schafft das«, versichert Tsireya ihr, doch ihr Blick mit dem sie die Omaticaya betrachtet ist besorgt.
Neteyam versucht Kiri wachzurütteln, doch sie reagiert nicht. Schließlich versucht er es mit Mund zu Mund Beatmung und seine Schwester schlägt dann doch noch die Augen auf. »Sie muss schnell zurück ins Dorf«, ruft Lo'ak und schwingt sich auf seinen Ilu. Tsireya setzt Tuk vor sich auf ihr Reittier und auch ich rufe meinen Ilu herbei.
Gemeinsam jagen wir zurück zum Dorf. Neteyam hält Kiri besorgt in den Armen und ich finde es süß, wie er sich um sie sorgt. Sie ist zwar nicht seine richtige Schwester, doch er behandelt sie wie eine. Ich liebe Neteyams Fürsorge und sein großes Herz. Das ist es, was ihn so perfekt macht.
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»Geht es ihr wieder besser?«, aufgeregt springt Tuk auf, als Neytiri aus dem Zelt kommt.
»Ja, aber sie braucht Ruhe. Also stört sie nicht«, antwortet die hübsche Na'vi, in ihren Augen schimmert mütterliche Sorge, auch wenn Kiri nicht ihre richtige Tochter ist. »Komm Tuk, wir gehen Abendessen machen«, Neytiri nimmt ihre Tochter an der Hand.
Lo'ak, Neteyam Tsireya und ich sitzen vor dem Zelt der Sullys und warten darauf, dass Kiri aufwacht. Vorhin sind Himmelsmenschen mit einer Flugmaschine hier angekommen, doch als sie nichts bewirkt haben, wollte Neytiri dass meine Mutter sich um Kiri kümmert. Meine Mutter ist die Tsahik der Metkayinas, das bedeutet dass sie eine Art Heilerin für uns ist.
»Was war das eigentlich vorhin?«, fragt Lo'ak.
»Vielleicht hatte sie Kontakt mit Eywa und das war einfach zu viel für ihren Körper«, meint Tsireya.
»Oder sie hat keine Luft mehr bekommen«, wirft Neteyam ein.
Da kommt Jake Sully aus dem Zelt. Ihm folgen ein kleiner, dicker Himmelsmensch und ein Na'vi. Die beiden verabschieden sich mit einem Handschlag von Jake und begeben sich dann in Richtung Strand.
»Was ist los mit Kiri?«, fragt Neteyam. »Habt ihr schon was herausgefunden?«
»Wahrscheinlich hat Kiri Epilepsie«, seufzt Jake.
»Was ist das?«, frage ich verwundert, da ich nicht weiß, wovon der Omaticaya spricht.
»Epilepsie ist eine Krankheit, bei der das Gehirn zu starke Signale an den Körper abgibt. Das kann dazu führen, dass man unerwartet Anfälle bekommt. Und der Kontakt mit Eywa war wahrscheinlich einfach zu viel für Kiri«, erklärt Jake. »Es ist wichtig, dass sie sich nicht mehr so mit Eywa verbindet.«
»Wir passen auf sie auf«, verspricht Neteyam.
Jake Sully nickt nur und läuft dann in Richtung Strand. Ich blicke ihm hinterher. Es muss schlimm für ihn sein, dass seine Tochter eine so schlimme Krankheit hat. Mein Vater hat mir viel von ihm erzählt, von dem großen Kampf den er angeführt und gewonnen hat. Dieser Omaticaya hat viel durchgemacht. Es war die richtige Entscheidung ihn und seine Familie aufzunehmen.
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𝕒𝕞𝕓𝕖𝕣 𝕖𝕪𝕖𝕤 ⎮ Neteyam x OC
Romance𝖭𝖾𝗍𝖾𝗒𝖺𝗆 x Oc ⩤Ich blicke wieder in Neteyams Augen, während er seine Hand auf meine an seiner Brust legt und sie so festhält. Die andere legt er sanft an meine Wange. Die Augen des Omaticaya finden meine und erwidern den liebevollen Blick, der...