Doch nicht so perfekt

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,,Nico, ich muss dir etwas sagen ...", murmelte Will, während er mich aus strahlenden himmelblauen Augen betrachtete.

,,Was ist?"

Hatte er es sich mit der Schule vielleicht doch noch einmal um überlegt? Jetzt, ein Jahr nach dem Krieg gegen Gaia, war unser Plan zusammen bei seiner Mutter zu wohnen und dieses Jahr gemeinsam auf seine Schule zu gehen. Will ist zwar nach dem Krieg im Camp geblieben, um sich um seine Geschwister und die Krankenstation zu kümmern, aber hat deswegen Homeschooling betrieben, wollte aber sein letztes Schuljahr bei seiner Mutter verbringen.

Ich schaute zu ihm runter, aber konnte nur sein Kinn sehen, da er seinen Lockenkopf auf meiner Brust platziert und sich gegen mich gelehnt hatte, während wir auf dem Steg am See des Camps saßen.

,,Ich bin an meiner Schule nicht geoutet.", sagte er so leise, dass es schon fast ein Flüstern hätte sein können.

Ich stieß ein ,,oh" aus, als ich über die weitere Bedeutung des Gesagten nachdachte. Er hatte sich nicht geoutet, was wohl einen guten Grund haben musste. Er klang außerdem nicht so, als würde er es in den nächsten Jahren vorhaben. Es war, als wäre ich ein Luftballon und er hätte mich so eben mit einem präzise geschossenen Pfeil einfach zerplatzen lassen. Der Traum, zusammen mit ihm durch die langen Flure der Schule Hand in Hand zu schlendern und sich erst zu trennen, wenn wir zu verschiedenen Kursen mussten, war ruiniert.

,,Wieso nicht?"

,,Meine Freunde würden es nicht akzeptieren."

,,Dann sei nicht mehr mit ihnen befreundet."

,,Nico, du verstehst das nicht!"

Warum musste er unbedingt jetzt am letzten Abend, den wir hier hatten, die Stimmung ruinieren? Ein paar Sekunden gingen in unbehaglicher Stille vorüber, ehe er wieder das Wort ergriff: ,,Können wir den letzten Abend bitte einfach genießen und uns keine Gedanken machen?"

,,Natürlich.", sonderlich glücklich war ich aber trotzdem nicht.

Obwohl mich Zeus hasst, flogen wir am nächsten Tag nach Texas, da Auto fahren viel zu lange gedauert hätte. Jetzt mal im Ernst, ich würde lieber verrecken, als 28 Stunden lang quer durch Amerika zu fahren!

,,Wieso hast du keine kurze Hose an?", fragte ich, nachdem er seine Beine über meine geschwungen hatte.

Mit leichten Berührungen streichelte ich über sein rechtes Bein. Es ergab für mich einfach keinen Sinn, dass er bei so hohen Temperaturen lange Kleidung trug. Besonders weil er sonst schon bei 15°C rumläuft wie ein Touri auf Ibiza. Kurze Hose, Flipflops, normalerweise sein oranges Campshirt, aber manchmal wirklich ein Hawaiihemd. Besonders das dunkelblaue mit den farbenfrohen Papageien scheint er abgrundtief zu lieben.

,,Ich will nicht, dass jemand über die Prothese erfährt."

Ich probierte weiter nachzuhaken, aber Will wollte einfach nicht darüber reden. Konnten die Leute in seiner Schule wirklich so schlimm sein, dass sie sich über ihn lustig machen würden? Ich wusste, dass er sich nicht gern daran erinnert, wie er sein linkes Bein verloren hatte, aber wie wollte er es das ganze Schuljahr geheim halten? Ich steckte mir meine Kopfhörer in die Ohren und schloss meine Hand so fest es ging um seine. Auch wenn ich es nicht zugeben will, war ich vielleicht doch ein kleines bisschen nervös.

,,Es ist alles gut, Nico.", flüsterte er mir zu.

Als wir landeten, wurden wir von einer hübschen Frau empfangen, die Will sofort in die Arme zog, während ich lächelnd daneben stand. Mein Lächeln wechselte jedoch zu hektischem nach Luft japsen, als ich in eine Bärenumarmung gezogen wurde. Ganz ehrlich, ich wäre nicht verwundert gewesen, wäre sie bei solchen Kräften eine Göttin gewesen.

Solangelo~OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt