Ives
»Mir geht's gut, danke«, sagt Jonas und lächelt wie ein Blödian. Er macht sich komplett zum Affen, während er mit Finn telefoniert. Immer wieder ändert er seine Position, pustet sich nervös Haare aus dem Gesicht und rutscht mal näher, mal weiter weg von dem auf der Matraze liegenden Handy. »Wie geht es dir?«
Ich verdrehe die Augen. Finn's Stimme hallt bis ins Wohnzimmer. Jonas kann sein Handy nicht leiser stellen und ich bin viel zu neugierig, um ihm vorzuschlagen, es für ihn zu tun. Auch wenn Finn mich wirklich auf die Palme bringt mit seinem charmanten Es freut mich, von dir zu hören und seinem besorgten Kann ich etwas für dich tun, damit es dir besser geht Gequatsche.
Sie telefonieren bereits über zwei Stunden und haben nur über belanglose Dinge gesprochen wie zum Beispiel von dem Tagesablauf des jeweils anderen, dem eigenen Befinden und ihrem erstes Treffen, als lege dieses Tage schon weit zurück. Dabei war es erst vorgestern.
Ich schreibe eine Liste für die Weihnachtseinkäufe, damit wir über die nächsten Tage beide nicht verhungern werden und ich beschäftigt aussehe. Jonas muss nicht wissen, dass ich ihn belausche.
Andererseits weiß er es bestimmt. Es wirkt, als wolle er es auch. Er hat seine Tür einen spaltbreit offenlassen und ist nicht gerade leise, wenn er auf Finn's nervige Schmeichelsätze Erwiderungen findet.
»Also, was machst du gerade?«, höre ich Finn fragen. Etwas Dreckiges und Anzügliches liegt in seiner Stimme. Es ist widerlich und am liebsten würde ich ihm eine verpassen.
Jonas lacht wie ein pubertierender Schuljunge, welcher gerade zum ersten Mal von seinem Crush angesprochen wird - oder wie ich mich wahrscheinlich anhöre, wenn ich Jonas beim Lächeln erwische.
»Ich liege bloß rum. Meine Hände sind immer noch verletzt«, sagt er und wird gegen Ende hin errotisch. »Und du so? Sind deine Hände noch funktionsfähig?«
Ich verdrehe die Augen. Jetzt nimmt dieses Gespräch eine Drehung an, die mir wirklich gar nicht gefällt. Um diese seltsame Stimmung zwischen den beiden zu ruinieren, gehe ich ins Bad und schalte das Wasser ein. Wenn er sich wäscht, hat er keine Zeit, sich mit diesem Idioten zu unterhalten.
Ich vertraue Finn nicht. Daraus habe ich bis jetzt auch kein Geheimnis gemacht. Er ist vielleicht nicht auf dem ersten Blick, wie alle Typen, die Jonas normalerweise kennenlernt, aber irgendetwas versteckt er vor uns. Ich bin nicht nur eifersüchtig, ich habe ein übles Gefühl bei ihm.
Ich kenne solche Männer. Sie machen einem schöne Augen, versprechen einem die ewige Liebe und hauen dann wieder ab. Ich habe sie alle gesehen. Sie sind mit einem charmanten Lächeln zur Tür rein und haben sich nach einer Zeit dann wieder heimlich herausgeschlichen. Wenn ich sie dabei erwischt habe, haben sie bloß Sätze von sich gegeben, die mich bis ins tief Innere verletzt haben, weil sie nicht wahr waren.
Niemand hält solch eine Beziehung aus. Diese Anhänglichkeit, das ständige Flehen nach Aufmerksamkeit und der Zwang zu notlügen, da man ja nicht einfach so ins Gesicht seines Partners sagen kann, ne, eigentlich glaube ich nicht, dass das mit uns bis zu unserem Tod hält. Meine Beziehungen gehen nie länger als ein paar Monate, deine gehen sogar noch kürzer. Diese hässliche Weinerei, wenn's nicht klappt und diese unausstehliche Art, immer zu erwarten, dass man mehr Zeit mit der geliebten Person verbringt. Jeder würde an meiner Stelle gehen. Du genauso sehr wie alle anderen.
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Ein in Karamell getauchter Backenzahn
General FictionNachdem Jonas 21 kathastrophale Weihnachtsfeiern hinter sich hat, entschließt er sich dazu, es dieses Jahr ganz einfach mal ausfallen zu lassen und die Feiertage alleine zu verbringen. Doch sein Plan geht nach hinten los, als Zahnarztstudent Ives si...