Einen Schritt weiter

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Martinus P.o.V.
Nachdem wir uns beide wieder in Klamotten geschmissen haben, laufe ich mit etwas unsicheren Schritten ins Wohnzimmer. Lisa ist in unserem Zimmer, um uns ein bisschen Privatsphäre zum reden zu geben, auch wenn ich sie jetzt gerne hier hätte. Vielleicht würde er mich dann nicht erwürgen, wenn ich ihm erzähle, dass wir uns stellen sollten.

„Hey."

sage ich etwas unsicher, als ich mich zum ihm auf die Couch setze.

„Hey?"

etwas verwirrt guckt er mich an, wahrscheinlich weil er merkt wie nervös ich bin.

Das bin ich sonst nicht, zumindest nicht so.

„Was gibt es?"

fragt er und erst antworte ich nicht, denn so genau weiß ich nicht, wie ich das jetzt formulieren soll, ohne dass es komplett bescheuert klingt.

„Also ich habe mit Lisa gesprochen und sie hatte eine Idee, wie wir vielleicht aus der ganzen Sache rauskommen."

sage ich und nun habe ich seine Aufmerksamkeit.

Ich wusste, dass er genauso damit aufhören möchte, wie ich.

„Rede weiter."

fordert er und stellt den Fernseher auf Stumm.

„Nun dir wird das wahrscheinlich eher weniger gefallen, aber ich bitte dich, mir erst bis zum Schluss zuzuhören. Ich weiß, dass es ganz schön weit hergeholt klingt und wahrscheinlich auch total bescheuert. Aber ich vertraue Lisa und wahrscheinlich ist es die einzige Möglichkeit, mit ihr eine Familie zu sein–" – „Nun spuck es schon aus Martinus."

verdreht er die Augen und wieder atme ich tief aus, bevor ich anfange zu reden.

„Sie meinte wir sollten uns stellen, der Polizei."

sage ich und traue mich gar nicht ihn anzugucken.

„Und wie stellt sie sich das vor? Sollen wir begnadigt werden, nur weil wir uns stellen? Das ist Wahnsinn Martinus, dass würde niemals funktionieren. Wir würden in den Knast gehen und das lebenslänglich. Dann kannst du dir erst recht den Traum mit der Familie abschminken, wahrscheinlich wirst du es niemals zu Gesicht bekommen."

sagt er aufgebracht.

„Nicht wenn jemand unsere Kaution bezahlen würde, dann würden wir mit Bewährung davon kommen."

versuche ich es erneut.

„Ach und wer soll das zahlen? Deine Freundin ist noch keine 18, ihr ganzes Geld gehört ihrer Familie, die kann uns nicht helfen."

meint er immer noch aufgebracht.

„Sie nicht, aber ihr Vater."

sage ich.

Er guckt mich geschockt an, ja so habe ich wahrscheinlich auch ausgesehen, als sie mir das gesagt hat. Gut, ich war anfangs auch nicht wirklich begeistert von der ganzen Sache, bin es wahrscheinlich auch immer noch nicht. Aber es ist unsere einzige Chance und ich vertraue ihr. Sie kennt ihn besser als jeder andere und wenn sie glaubt, dass er das für sie tun würde, dann glaube ich ihr.

„Du vertraust ihr oder?"

fragt er und ich nicke.

„Ja, denn das ist der einzige Weg, wie sie bei mir bleibt. Sie möchte nicht flüchten und das kann ich nachvollziehen. Wenn ich die Chance hätte nochmal bei Mum und Dad zu sein, dann würde ich es auch tun. Ich weiß, du bist nicht überzeugt davon und das kann ich verstehen, aber das ist unsere einzige Chance, das wieder gut zu machen. Klar wird es nicht leicht, irgendwas auf die Reihe zu bekommen die erste Zeit, aber wir schaffen das. Wir haben ja Hilfe, ich weiß, dass Lisa uns beide unterstützen wird, mit allem was sie hat. Deswegen bitte ich dich inständig, darüber nachzudenken. Ich weiß auch, dass das alles für dich gerade nicht einfach ist, wegen der ganzen Sache mit Hanna damals. Aber ich schwöre dir, du wirst das auch alles erleben, nur musst du dir selbst die Chance dazu geben."

beende ich meine Rede.

„Ich glaube nicht, dass mich jemals jemand so lieben wird, wie ich Hanna damals."

seine Stimmlage ist nun ruhiger, aber auch trauriger.

„Natürlich Marcus, du musst nur dran glauben. Guck dir mich an, wie ich Lisa am Anfang behandelt habe und jetzt sind wir zusammen. Sie will mit mir eine Familie und ein besseres Leben für mich. Du musst nur endlich mit dem Trauern aufhören und wieder jemanden an dich ranlassen."

versuche ich ihm klar zu machen.

Eine Weile ist er still und ich kann sehen, dass er mit den Tränen kämpft, die sich drohen aus seinen Augen zu lösen. Doch am Ende verliert er den Kampf und sie verlassen seine Augen. Er guckt weg, doch ich nehme ihn in meinen Arm. Marcus hat nie wirklich mit mir über diese ganze Sache geredet. Ich weiß, dass es ihm nah ging, aber er wollte nie Schwäche zeigen. Er glaubt nur weil er ein paar Minuten älter ist, muss er mich beschützen und immer so tun, als wenn alles gut wäre. Nur sind wir inzwischen erwachsen und ich kenne meinen Bruder besser als ihm wahrscheinlich lieb ist. Ich weiß, wann er Kummer hat und wann er versucht es vor mir zu verstecken.

„Du darfst traurig darüber sein Marcus und du darfst auch weinen. Du musst nicht immer so tun, als wenn du alles böse von mir fernhalten musst. Ich bin erwachsen, ich kann nun auf mich selbst aufpassen und ich kann meinem Bruder Trost spenden, wenn er es braucht. Ich weiß, dass sie dir viel bedeutet hat, aber jemand da draußen wartet auf dich, denn diesem jemand bedeutest du genauso viel wie du mir."

sage ich.

Inzwischen schluchzt er sogar und ich streichle behutsam seinen Rücken. Ich habe schon so lange darauf gewartet, dass Marcus sich mir gegenüber endlich öffnet und auch wenn er nicht redet, weiß ich, dass das der erste Schritt ist. Klar weiß ich immer noch nicht, durch welche Qualen er gegangen ist, aber ich weiß, wenn er soweit ist, dann wird er sich mir komplett öffnen. Lisa meinte, dass sie mit ihm gesprochen hat und auch wenn ich nicht genau weiß, was er ihr erzählt hat. Weiß ich, dass es ihm nicht gut geht mit der Sache. Alles wird er Lisa auch nicht erzählt haben, aber wenigstens hat er sich etwas geöffnet. Vielleicht bin ich etwas enttäuscht, dass sie es war und nicht ich, sein Bruder. Aber ich glaube, dass es manchmal einfacher solche Dinge Menschen anzuvertrauen, die einem fremd sind oder zumindest nicht so nah stehen.

„Okay, wir stellen uns."

sagt er, als wir uns wieder aus der Umarmung öffnen.

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Wie denkt ihr wird das ganze ausgehen? Wird Lisas Vater wirklich die Kaution bezahlen? Ich werde die Geschichte damit auch bald beenden, aber keine Sorge, ein paar Kapitel kommen noch.

~Lisa❤️

Stockholm-Syndrom || Martinus Gunnarsen FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt