„Ich bin Finnick Odair, das ist Annie Cresta, wir werden für diese Spiele eure Mentoren sein.“ Finnick ist hochgewachsen, muskulös, seine grünen Augen blicken stechend auf mich hinab. „Ich werde Mentor für Cassiopeia sein, Annie für Riven. Jedoch trainieren wir unsere Tribute für gewöhnlich zusammen, um unsere Stärken auszugleichen.“
Mein Blick huscht kurz zu Annie, sie sieht neben Finnick ganz verloren aus. Ihr Sieg ist erst zwei Jahre her, ich schätze, dass sie nicht freiwillig hier ist und vom Kapitol gezwungen wird Mentorin zu sein. Im Distrikt machen Gerüchte die Runde, dass sie wohl nie wieder ein normales Leben führen wird, dabei ist sie erst 20. Alle redeten, als sie ausgewählt wurde, davon, was für einen aufgeweckten, fröhlichen Charakter sie vor den Hungerspielen hatte und wie sie sich für eine Zwölfjährige freiwillig gemeldet hatte. Wie mutig sie war, dass sie eine Chance hatte, wo sie doch unter den Top fünf im der Akademiebewertung war. Als es hart auf hart kam, schaffte es Annie, aber nicht mal ihre Waffe ein zu setzen. Und als ihr Distriktpartner enthauptet wurde, fiel sie in eine panische Starre. Ich glaube, sie waren Freunde, beste Freunde, schon in der Akademie. Es war reines Glück, dass Annie überlebte und gewann. Zum Glück sind Riven und ich keine besonders guten Freunde.
„Deswegen frage ich euch, ob ihr lieber zusammen oder getrennt trainiert werden wollt.“
„Getrennt“, sage ich, doch Riven sagt zur selben Zeit: „Zusammen.“
Mein Blick fliegt zu ihm hoch und ich starre ihn entrüstet an.„Wow, ich hätte nicht gedacht, dass du mich so sehr hasst“, murmelt er trocken und verzieht keine Miene.
„Nein, schieb das jetzt nicht auf mich! Jahrelang sind wir Partner und du behandelst mich wie Dreck und minderwertig und jetzt willst du ein fröhliches Team spielen? Nein, danke! Du hast mich all die Jahre für schwach gehalten, mich all die Jahre niedriggehalten. Nie mit mir zusammengearbeitet.“ Vor Wut zieht sich meine Lunge zusammen. Die Worte stolpern immer schneller und ungeschickter aus meinem Mund. Böse funkle ich Riven an, bohren meine Fingernägel in meine Hand. „Jetzt ist ein ganz schlechter Zeitpunkt damit anzufangen.“
„Wieso sollte ich dich hochvoten, wenn ich dich für schwach halten würde?“, entgegnet er noch immer ruhig und trocken, als würden wir hier nicht über unsere Überlebenschancen diskutieren.„Du mich… hochvoten? Was meinst du damit?“
„Du glaubst doch nicht, dass ich plötzlich ungeschickter im Kämpfen geworden bin, oder? Dass ich mich von den Spielen aus dem Takt bringen lasse. Komm schon, Cass, du bist schlauer als das.“Mir ist, als hätte man mir den Boden unter den Füßen weggerissen. Entrüstet starre ich in die Leere. All die harte Arbeit, alles, für das ich mich angestrengt habe, das soll gar nicht mein Verdienst gewesen sein? Riven hatte mich einfach nur, gewinnen lassen?
„Nenn mich nie wieder so“, meine Stimme ist kalt. „Mein Zimmer?“, frage ich an Ameena gerichtet, die aus einer Tür am anderen Ende des Zimmers kommt.
„Dritte Tür links. Sehr gut, macht euch erstmal sauber, ihr tropft ja alles voll.“ Mit langen Schritten quetschen ich mich an ihr vorbei und renne dann in mein Zimmer. Mit schnellem Atem greife ich mir das Erstbeste und schleudere es gegen die Wand. Doch weder zerbricht noch knallt es. Es ist ein Hut von meinem Frisiertisch. Viel zu leicht und weich, um irgendein Geräusch zu machen. Meine Schultern beginnen zu beben, mein Blick verschleiert. Der Wall ist gebrochen und ich lasse mich zu Boden fallen. All der Schmerz der vergangenen Stunden strömt auf mich hinein. Ich weiß nicht, was ich fühlen soll außer Schmerz und Verzweiflung. Meine Lunge fühlt sich an, als würde sie brennen. Sie hat vollkommen aufgehört ihre Aufgabe zu erfüllen, gibt mir keinen Sauerstoff, lässt mich ersticken, als wäre ich tief, tief unter Wasser gefangen. Trotzdem bringe ich noch immer animalische Schluchzer zustande. Meine Finger verkrampfen sich um meine Unterarme und klammern sich in letzter Rettung an das Stück Haut. Alles ist zu hell, zu grell, zu laut.
Warum bin ich hier? Warum fühlt sich alles so an, als hätte es nur auf diese eine Situation herauslaufen können? Wieso tut man mir sowas an, wo ich doch schon meine Eltern verloren habe. Das ist ungerecht.
Ich erahne eine Person neben mir. „Cassiopeia, hör mir zu, sieh mich an.“ Doch der Raum ist zu grell, viel zu grell. „Okay, okay, darf ich dich anfassen?“
Schon bei dem Gedanken daran, zieht sich alles in mir zusammen. Ich spüre, wie sich mein Kopf schüttelt.„Okay, gib mir die Decke, Annie. Sie ist schon ganz ausgekühlt.“ Ich spüre, wie sich etwas Schweres um meine Schultern legt. „Wir sind hier, falls du etwas brauchst.“ Ich spüre, wie sich die Person an die Wand neben mich setzt.
Irgendwann hört die Welt auf zu schreien. Trotzdem lasse ich die Decke fest um mich herum. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, als ich schließlich aufstehe und zum Bett trotte.
„Brauchst du Hilfe?“, fragt eine leise, dünne Stimme. „Deine Klamotten? Sie sind nass.“ Ich blicke auf und erkenne die dunklen Haare von Annie. Vorsichtig nicke ich.„Ich werde euch mehr Decken bringen.“ Es ist Finnick, der an der Tür steht.
Zusammen mit Annie ziehe ich mein nasses Kleid und die Schuhe aus und krieche in die Laken. Annie dimmt das Licht auf eine ertragbare Helligkeit herunter und setzt sich neben mich. Sie sagt nichts, auch nicht als Finnick mit einer neuen Decke kommt und sie über mich legt. Trotzdem scheint sie zu verstehen.
„Wir werden reden, wenn du bereit bist. Schlaf jetzt. Soll Annie bleiben?“
Ich schaue zu der jungen Frau hoch, erst als ihr Name gesagt wird, scheint sie an die Oberfläche zurück zu treten. „Ja, ich kann bleiben.“
Ich rücke etwas zur Seite, damit sie mehr Platz hat. „Bitte, ja, wenn das okay ist.“ Sie nickt nur.
„Ich werde in ein paar Stunden nach euch schauen.“ Finnick verlässt das Zimmer. Ich starre in die Dunkelheit, doch Annies Schweigen ist so beruhigend, dass ich schließlich eindämmere. Ich hätte niemals erwartet, dass ich so elendig versage an meinem ersten Tag am ersten Tag meines neuen Lebens. Und noch mehr Sorgen macht es mir, wie es erst werden wird, wenn ich wie Annie, erst das alles hinter mich gebracht habe.

DU LIEST GERADE
Die Tribute von Panem - Eisige Wellen
Fanfiction„Wagen wir es, uns auch in der Arena nahe zu sein, oder werden wir uns wieder hassen?", fragt Riven mich mit rauer, schlaftrunkerner Stimme. Es ist der Morgen vor den 72. Hungerspielen. Ich schließe die Augen und spüre die ersten Sonnenstrahlen dur...