Kapitel XII

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Der Wagen hält und dieses Mal scheuchen uns die Friedenswächter schnell ins Gebäude. Fans sind jedoch sowieso weit und breit nicht zu sehen. Ich werde in einen klinischen Raum gebracht, in dem drei Personen auf mich warten. „Hallo, Cassiopeia, wir sind dein Vorbereitungsteam. Ich bin Caesius, das sind Butterfly und Alissandra. Wir bereiten dich für deinen Stylisten vor. Wir haben nicht viel Zeit, also kleide dich bitte schnell aus." Der Mann in der Mitte, Caesius, hat eine überraschend beruhigende Stimme für jemanden aus dem Kapitol.

Sie alle scheinen dem Trend der Unterstützer von Vier zu folgen. Caesius hat dunkelblaue Haare, die an den Spitzen weiß gefärbt sind, wie Schaum auf Wellen. Butterfly ist von oben bis unten hellblau eingefärbt und trägt Glitzersteine auf dem Körper über ihrem Gesicht prangt das Tattoo eines Schmetterlings. Alissandra hat grünes, wellendes Haar, das beinahe bis zum Boden reicht. Ich befolgen ihre Anweisungen schweigend und ertrage das Prozedere anstandslos. Lasse an mir schrubben und zupfen bis meine Haut knallrot ist, aber so weich wie die eines Babys. Sogar die Schwielen durch das viele Trainieren haben sie abgetragen. Ich hoffe, dass sie sich bis zur Arena wieder etwas nachbilden, damit mir die Hände vom Trainieren nicht wehtun werden.

„Jetzt bist du bereit für Nyx", sagt Caesius und schickt mich so, wie ich bin in einen Nebenraum.
Nyx lässt nicht lange auf sich warten. Neben ihm fühle ich mich wie ein ausgeblichener Sonnenstrahl mit meiner hellen Haut und meinem hellen, blonden Haar. Alles an Nyx strahlt Dunkelheit aus. Sein schwarzes Cape, seine beinahe schwarze Haut und vor allem seine Augen, die dunkel eingefärbt sind, wie die eines Dämons. Ich will gerade etwas zurückweichen, da erkenne ich das einzig helle an ihm, in einem hellen Blau hat er sich einen kleinen Stern unter das rechte Augenlid gezeichnet.

„Willkommen, Cassiopeia", begrüßt er mich, seine Stimme ist  genau so dunkel wie sein gesamtes Auftreten. „Hab keine Angst, ich beabsichtige es zwar, angsteinflößend zu wirken, aber wir sind zum Glück Verbündete." Er deutet auf den kleinen Stern unter seinem Auge. „Cassiopeia ist doch ein Stern, oder?" Er betrachtet mich noch kurz, während ich unwohl dastehen und hält mir dann einen Bademantel hin.

„Ein Sternenbild", berichtigen ich leise und schlüpfen in den Bademantel, dann räuspere ich mich. „Aber ich bin wohl eher nach einem Buchcharakter benannt. Einer Schildkröte."

„Wie passend zu Distrikt vier. Das sollte ich mir für nächstes Jahr merken." Er lacht und ich verschränke meine Arme vor mir. Ich hoffe, dass das nur ein Witz war und ich nicht als Fisch auf meinem Wagen landen werde. Das würde meinen gesamten Vorsprung zunichte machen. Fische liegen sicher nicht im Trend im Kapitol.

„Normalerweise würde ich mich noch etwas mit dir unterhalten, aber dafür reicht die Zeit nicht. Was für ein scheußlicher Sturm in vier gestern. Nicht mehr ganz so schrecklich, wenn er bedenkt, dass mir dadurch die letzte, zündende Idee gekommen ist." Er lächelt mich an. „Eigentlich ist es nicht erlaubt, noch etwas an den Outfits zu verändern. Aber sieh mich an, wer könnte mir schon etwas abschlagen?"

Dieser Mann beunruhigt mich, da helfen all die Jahre Training auch nichts. Mit leisen Schritten folge ich ihm zu einem Schrank. Ich hoffe nur, dass er seine Arbeit gut macht.

Er drückt auf einen Knopf und die Schranktüren Schwingen auf. Das Kleid vor mir ist atemberaubend. Gut machen ist nicht mal ansatzweise ein Ausdruck, den ich für seine Arbeit verwenden würde. Er ist ein Meister seines Gebiets. Das Kleid vor mir sieht aus, wie das Meer. Unzählige Lagen an Tüll stapeln sich wie hohe Wellen des Meeres. Ich erkenne, was er mit den Anpassungen meinte. In meinem Brustbereich wird das Kleid beinahe schwarze, wie die Wellen bei einem Sturm.

„Einen Moment", er drückt auf einen Knopf und hin und wieder zucken Blitze über das Kleid. „Ha! Es funktioniert. Ich hoffe, alle erinnern sich an diesen Sturm bei deiner Ernte, sonst wird das nur Verwirrung schaffen, aber wenn sie sich erinnern... wird das für immer in die Geschichte der Spiele eingehen. Es erzählt eine so schön runde Geschichte. Findest du nicht?"

„Ja, Ja, das stimmt", erwidere ich nickend und vor allem wird das aufleuchtende, kalte Licht in der Dämmerung Blicke auf mich lenken und mich von den anderen abheben. Perfekt für Sponsoren.

Getragen ist das Kleid sogar noch eindrucksvoller, aber so unfassbar voluminös, dass Ich mir Gedanken mache, wie Riven neben mir wirken wirkt. Durch die Blitze, die ab und zu mein Gesicht anstrahlen, sehe ich gefährlich aus.

„Fast perfekt!", sagt Nyx und holt etwas hervor, das er mir auf den Kopf setzt. Obwohl ich sehr hohe Schuhe trage, überragt er mich noch immer. Als ich in den Spiegel schaue, entdecke ich eine Krone aus Algen, Muscheln und Perlen in meinem Haar, die mich beinahe wie die Seegöttin Calypso aussehen lässt.

„Vielen Dank." Ich lächle Nyx an. „Noch irgendwelche Vorschläge für die Präsentation, bevor sie mich rausjagen?", frage ich mit einem Blick auf die Friedenswächter, die in den Raum treten.

„Nein, du machst das schon. Sei einfach majestätisch." Es klingt nicht so, als würde er das sagen, weil er an mich glaubt, sondern eher, weil er seinen Job als erledigt ansieht. Er lebt fürs Design, nicht, um Menschen zu unterstützen. Immerhin kann ich dann meine Erwartungen für die Interviews hoch ansetzen. Aber auf Ameenas Bitte wird er wohl kaum hören. Vermutlich wird er sie eher mit Flammen in den Augen fortjagen, weil es jemand wagt, ihm herein zu reden.

Ich betrete eine große Halle, in der die Pferdewagen bereits auf uns warten. Unserer wird gezogen von zwei Grauschimmeln. Weil noch nicht alle Tribute da sind, begrüße ich die Pferde lächelnd und nehme mir einen Moment Zeit, runter zu kommen. Schließlich taucht Riven neben mir auf. Er trägt einen eleganten Anzug, der über und über mit Wellen bestickt ist und trägt die gleiche Krone wie ich. Immerhin passen wir doch halbwegs zusammen. Seine Klamotten flackern nicht und zeigen nicht den Sturm. Scheinbar ist Nyx auch ein Einzelkämpfer.

Gemeinsam stellen wir uns auf den Wagen. Ich sortiere meine unzähligen Kleiderschichten und lasse meine Schleppe elegant hinter uns auf den Boden fallen, damit es aussieht, als würden die Wellen hinter uns her fließen.

„Du siehst wirklich... wow aus", sagt Riven leise zu mir.

„Danke, du auch", erwidere ich mit roten Wangen.

„Nein, nicht wie du." Er schüttelt den Kopf. „Mein Designer ist talentiert, aber deiner scheint für seine Arbeit zu leben. Du hast wirklich Glück."

Ich nicke. „Ich weiß, bisher läuft es gut für mich."

„Wer weiß, vielleicht wirst du genau so beliebt wie Finnick, wenn nicht sogar noch beliebter."

„Ja, vielleicht", murmle ich und denke an meine Mentor, der vor den Kameras so anders ist, als ich ihn jetzt kennengelernt habe. Und immer mit diesem gequälten Ausdruck im Gesicht, wenn er mich und Riven ansieht und ich vom Siegen spreche. Ich atme tief durch, jetzt ist nicht der richtige Augenblick, mir darüber Gedanken zu machen. Unser Wagen setzt sich in Bewegung und wir fahren stetig auf die jubelnde Masse zu.

Ich recken das Kinn, halte mich aufrecht und hoffe, Nyx Vision nahe zu kommen. Ich sehe einige Menschen nach Luft schnappen, als sie mein Kleid sehen und sie beginnen alle ihre Rosen in meine Richtung zu werfen, kaum welche bleiben für die restlichen Tribute übrig. Ich lasse wieder ein kleines Lächeln meine Mundwinkel umspielen, als ich eine weiße Rose fange und winke ein paar Menschen zu, während ich dankbar meine Rose festhalte.
Als wir auf den Endplatz einbiegen, behalte ich während der gesamten Rede von Präsident Snow meine Haltung inne. Besonders, als ich einen Moment seinen Blick auf mir spüre. Dann fahren wir endlich in das Trainingsgebäude herein und ich atme erleichtert auf und lasse die Schultern sinken, als ich sicher bin, dass man mich nicht mehr sieht. Galant springe ich von Wagen und laufe auf Finnick zu, der zu uns kommt.

„Ihr wart wirklich sehr gut", sagt er anerkennend. Doch er hat wieder diesen Ausdruck, als er mich in meinem Kleid mustert, auch wenn seine Lippen zu einem Lächeln verzogen sind. „Und ihr seht umwerfend aus!"

„Wo ist Annie?", fragt Riven und schaut sich nach seiner Mentorin um.

„Sie ist mit Ameena bereits oben. Wenn dir etwas auf der Seele liegt , kannst du gerne mit mir sprechen."

„Gut", murmelt Riven, aber man sieht ihm an, dass er lieber einen eigenen Mentor hätte, der sich um seine Aufgabe gewissenhaft kümmert.

„Lasst uns nach oben fahren. Ihr habt sicher Hunger." Mit schnellen Schritten gehen wir zum Fahrstuhl. Ich spüre die vernichtenden Blicke einiger anderer Tribute auf mir und bin erleichtert, als sich die Türen endlich hinter mir schließen.
Der Fahrstuhl hält bereits nach ein paar Sekunden wieder. Die Türen weichen auseinander und geben den Blick auf einen kleinen plätschernden Springbrunnen frei. Direkt daneben steht ein langgezogener Tisch, auf dem sich Essen stapelt. Ganz hinten erkenne ich einen großen Fernseher. Ameena steht neben dem Tisch und lächelt uns an. „Setzt euch doch! Ihr saht unglaublich auf den Wagen aus. Habt allen die Show gestohlen. Ich bin zwar schon eine Weile hier, aber meine Freunde sind ganz aus dem Häuschen wegen eures Auftritts."

„Ich würde mich gerne erstmal umziehen", sage ich und deute auf die unzähligen Lagen von Stoff. Zudem beginnen nun die Kabel der LEDs in meine Haut zu stechen und ich kann es kaum erwarten aus dem Kleid zu kommen.

„Sicher, geh ruhig, dein Zimmer ist hinten rechts", erwidert Finnick.

Mit schnellen Schritten gehe ich zu meinem Zimmer. Ein riesiges Bett nimmt die größte Fläche ein. Der Boden ist mit flauschigem, grauen Teppich ausgelegt und es gibt eine ganze Wand voller Kleider. Ich öffne den Verschluss meines Kleides und schlüpfe schnell heraus. Da, wo die Kabel lagen ist meine Haut etwas getötet und kribbelt unangenehm. Nyx beachtet bei seinen Kleidern scheinbar auch nicht den Komfort. Um zu vermeiden, dass sich die allergische Reaktion ausbreitet, gehe ich duschen und schlüpfen dann im natürliche, weiche Stoffe. Bis morgen wird hoffentlich alles verschwunden sein. Als ich aus der Dusche komme ist das Kleid bereits aus meinem Zimmer verschwunden. Ich gehe zu den anderen zum Esstisch. Annie leistet uns ebenfalls Gesellschaft.

„Morgen fängt das Training an", erklärt Finnick, als ich mich gesetzt habe. „Es wird nicht viel Sinn haben euch schwach darzustellen nach eurem Auftritt heute und euren Wertungen in der Akademie. Es ist zwar nicht gestattet, aber da einige eurer Ausbilder aus Distrikt zwei kommen, werden auch die Tribute dort eure hohe Wertung schnell herausbekommen. Ich schlage vor, dass du, Riven, zeigst, was du kannst. Sodass du die anderen Tribute im besten Fall abschreckst oder beeindruckst." Er schaut zu mir herüber und ich schiebe unsicher ein paar Erbsen auf meinem Teller herum. „Ich schlage vor, dass du dein Bestes gibst, aber deine besten Fähigkeiten versteckst hältst, Cassiopeia."

„Das wird leicht, meine beste Fähigkeit ist schwimmen und soweit ich weiß können wir das hier nicht trainieren."

„Stimmt, jedenfalls nicht im Training. Wir haben einen Pool, als kleines Privileg von Distrikt vier. Wir würden sowieso keinen großen Vorteil daraus ziehen, bei uns lernt man ja schneller laufen als schwimmen. Aber leider wird die Fähigkeit dir in den Spielen auch nur etwas bringen, wenn es Wasser gibt und das ist nicht immer der Fall. Was sind deine stärksten Waffen?"

„Das Doppelschwert", sage ich, „Aber ich weiß nicht, ob ich besonders gut bin."

„Sie ist gut", wirft Riven ein, „Schaut euch ihre Bewertung an. Sie hat nur das Gefühl es nicht zu sein, weil ich sie geschlagen habe. Außerdem ist sie besser im Fernkampf als ich. Besonders im Messerwurf trifft sie fast immer ihr Ziel."

Finnick nickt und überlegt. „Gut, damit können wir arbeiten. Was kannst du solide?"

„Schwertkampf würde ich sagen. Ich bin nicht besonders gut darin, aber immerhin fiel es Riven immer schwer mich zu entwaffnen, obwohl das Schwert seine Waffe ist. Klettern kann ich auch solide, Knoten binden und Schnelligkeit auch."

„Dann beschränken wir uns darauf im Training und wiederholt die Überlebensstationen. Auch wenn ihr Überlebenstraining in der Akademie hattet. Es kommt hin und wieder vor, dass besonders bei den Pflanzen etwas auf die Arena eingegangen wird. Und übt so lange bis ihr ein Feuer mit nassem Holz anzünden könnt. Ich möchte euch nicht erfrieren, verhungern oder vergiftet sehen. Dafür habt ihr zu hart trainiert." Finnick schaut uns beide streng an. Die Anspannung steht ihm ins Gesicht geschrieben. Er reibt sich angestrengt über das Gesicht. „Es tut mir leid, so streng mit euch zu sein, aber ihr habt bisher zwei Sachen bewiesen: zum einen, dass ihr eine echte Chance habt, zum anderen, dass eure Mittribute nicht unbedingt eure Freunde werden."

„Apropos Freunde, wie sieht es mit Verbündeten aus?", fragt Riven da.

„Ich muss darüber nachdenken. Bisher sieht es danach aus, als würden euch alle als eine Bedrohung sehen. Sie könnten euch also schnell aus dem Weg räumen wollen. Andererseits solltet ihr euch vorerst eure Feinde nah halten. Ich werde euch morgen eine vernünftige Antwort geben." 

Nach dem Gespräch esse ich eine ordentliche Portion und Nachtisch. Zum einen, weil ich es verdient habe, ein wenig zu genießen, zum Anderen, weil es nicht schaden kann, etwas mehr auf den Rippen zu haben, wenn es nicht viel zu Essen geben wird. Mit gemischten Gefühlen falle ich ins Bett. Ich bin stolz auf meine Leistung heute, all das falsche Spiel wird sich hoffentlich bald auszahlen. Ich bin jedoch nervös wegen morgen, wegen all den Tributen, die mich jetzt als Feind ansehen.

Die Tribute von Panem - Eisige WellenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt