10 - Ominis' Rückkehr

61 3 0
                                    

Sebastian POV

Es hat mir sehr viel bedeutet, dass Eva mir den Brief von Anne gezeigt hat. Die Sehnsucht nach meiner Schwester hatte ich in den letzten Jahren kläglich versucht zu unterdrücken, was mir allerdings nie gelang. Als Zwilling hat man immer eine besondere Verbindung zueinander und die Geschehnisse in Feldcroft holten mich zu oft ein. Ich vermisste Anne so unendlich und meine Gefühle überrannten mich. Dass diese Schwäche ausgerechnet Eva zu sehen bekam, ließ mich kurz nachdenken. Ich war immer der starke, selbstbewusste und unnahbare Slytherin, der sich seinen eigenen Weg durchs Leben erstritt. Gezeichnet vom frühen Verlust meiner Eltern, in den Fängen des Onkels, der mich nie akzeptierte und durch den schrecklichen Unfall meiner Schwester vorangetrieben, um ihr Leiden zu beenden. Furchtlos allen Geheimnissen dieser Welt auf den Grund zu gehen und nicht davor zurückschreckend, die unverzeihlichen Flüche zu meinem eigenen Vorteil zu nutzen. Und allem voran hatte ich keinerlei Interesse an Mädchen, obwohl ich wusste, dass es viele Verehrerinnen gab. Das war ich - Sebastian Sallow. Erst als Eva im fünften Schuljahr in Hogwarts ankam und ich zum ersten Mal eine ebenbürtige Gegnerin in ihr fand, wurde auch mein Interesse an ihr geweckt. Wobei ich meinen zwanghaften Beschützerinstinkt ebenso wenig verleugnen konnte. Ominis hatte das sehr zeitig bemerkt und in mir Gefühle geweckt, die ich so nur für meine Schwester kannte. Liebe und Zuneigung. Aber diese Gefühle für Eva wurden stärker - mir unerklärlich stärker - sodass ich vor mir selbst Angst bekam. Durch die jahrelangen Demütigungen und den Hass mir gegenüber von Solomon, habe ich nie gelernt, jemanden so zu lieben. Vor Eva legte ich alle Schleier nieder und zeigte den schwachen Sebastian... Doch dann war sie da, blieb bedingungslos bei mir, obwohl so viele negativen Dinge zwischen uns geschehen sind und mir wurde deutlich bewusst, dass ich nicht länger vor diesen Gefühlen weglaufen konnte.

Der zweite Weihnachtstag war angebrochen. Heute sollte Ominis wieder zurückkehren. Hoffentlich war sein Weihnachten ebenso erfreulich gewesen, wie meines. Wobei ich es bezweifelte, dass er auch nur ansatzweise ein SO GUTES Weihachten hatte. Ich grinste in mich hinein, saß auf meinem Bett. Gestern hatten wir den Tag hauptsächlich mit den Elfen in einer gemütlichen Runde verbracht. Wir saßen unter dem geschmückten Baum, sangen Lieder, tanzten und es gab viel zu essen. Sehr viel. Eva beim Tanzen zu berühren, ließ Stromstöße durch meinen ganzen Körper feuern. Aber ich wagte es nicht, sie weiter anzufassen. Sie auf diese eine Weise zu berühren. Ich war mir so unsicher, was unsere Nacht mit sich bringen würde und hoffte, dass ich mit Ominis reden konnte. Aber... sollte ich das überhaupt? Er liebte sie auch.

Nachdem ich mich frisch gemacht und neue Kleidung angezogen hatte, ging ich runter in den Speisesaal. Penny und Scrub warteten, wie angekündigt, täglich mit dem Frühstück. Es duftete herrlich im Raum nach einem deftigen Mahl.
„Guten Morgen, was habt ihr wieder leckeres gezaubert?", fragte ich an Penny gewandt.
„Oh Mister Sallow, Penny und Scrub haben sich an ein englisches Frühstück gewagt. Wir hoffen, es schmeckt den Herrschaften."
„Bei Merlin! Das sieht atemberaubend aus. Ich bin begeistert über eure Fähigkeiten.", mein Blick glitt über den üppig gedeckten Tisch und studierte jeden angerichteten Teller. Ich war es absolut nicht gewohnt, so verwöhnt zu werden. In Hogwarts und auch Durmstrang gab es zwar auch eine reichliche Auswahl an Essen, aber im privaten Umfeld gab es für mich meist nur etwas Brot, da Solomon kaum für uns kochte und auch während meiner Weltreise gab es keine außergewöhnlichen Sprünge für ein umfassendes Essen. Ich erwischte mich bei dem Gedanken, warum Solomon nie einen Hauselfen besorgt hatte. Das hätte vieles erleichtert.

Doch ein blumiger Duft schlich sich von hinten in meine Nasenflügel, holte mich aus den negativen Gedanken und ich drehte mich herum. Eva stand hinter mir. Ihren wunderschönen Körper hatte sie in ein langes, weich-fließendes Kleid mit Karomuster umhüllt, trug darunter eine elegante, weiße Bluse und die Haare hatte sie zu einem lockeren Dutt zusammengebunden. Einzelne Strähnen hingen wild heraus. In mir brodelte es. Ich hatte plötzlich die Erinnerungen an unsere Nacht vor Augen. Sie nackt unter mir, ihr bebender Körper, der sich mir bedingungslos hingab. In Gedanken tadelte ich mich, um nicht sofort wieder eine Erektion zu bekommen. Eva lächelte mich verlegen an. Oh, wie ich dieses Lächeln an ihr liebte. Diese Unsicherheit.
„Ich fühle mich hier wie ein König.", sagte ich frei heraus, „So ein leckeres Frühstückhätte ich nicht erwartet."
„Ich hatte Penny angewiesen, dass wir hier so menschlich wie möglich leben sollten. Manchmal nimmt sie das etwas zu ernst.", erwiderte Eva und ließ ihre Mundwinkel zu einem noch schöneren Lächeln zucken. Ich ging um den Tisch herum und zog einen Stuhl zurück. Mit einer Handgeste zeigte ich ihr, dass sie sich setzen soll. Verwirrt über meine Bewegungen, kam sie jedoch auf mich zu, setzte sich dankend und ich schob ihr den Stuhl heran. Danach setzte ich mich ihr gegenüber. Gemeinsam mit den Hauselfen genossen wir diesen wunderbaren Start in den Tag.
„Was hattest du für heute geplant?", fragte ich an Eva gerichtet. Ich versuchte so normal wie möglich mit ihr umzugehen. Obwohl wir uns zuletzt so nah waren, warf dieses Ereignis auch ein paar weitere Fragen auf.
„Wir haben Weihnachten, Sebastian. Eigentlich machen wir heute dort weiter, wo wir gestern aufgehört haben.", kicherte sie immer noch verlegen, „Aber ich würde sehr gerne den Garten mit einem Schutzzauber umschließen und mein Graphorn etwas rauslassen."
Vor Schreck fiel mir die Gabel aus der Hand: „Hast du gerade Graphorn gesagt?" Ich blickte in ihr triumphierendes Gesicht.
„Du hast ein Graphorn? Woher? Und wo?"
„Von Deek habe ich doch den Schnappsack, mit denen ich die Tierwesen transportieren kann."
„Und da passt ein Graphorn rein?"
„Ja, natürlich? Ich möchte sie nur ungern die restlichen Tage dort drin verweilen lassen.", Eva widmete sich gelassen ihrem Rührei, als wäre es das Normalste der Welt, ein Graphorn durch die Welt zu transportieren. Ich konnte meinen Ohren immer noch nicht ganz trauen und war wiederum überrascht, zu was Eva fähig war.

Shadows of SallowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt