7.

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Unruhig lief Brooke in der kleinen Küche auf und ab. Vor wenigen Minuten hatte Fallon die Wohnung verlassen. Nachdem ihre Nachbarin gestern wegen ihr schließlich überhaupt nicht zur Arbeit gegangen war, musste Fallon heute eine Doppelschicht erwarten. Brooke seufzte. Sie vermisste ihre Heimat, Bibury, ihre Familie. Wie lange hatte sie ihre Eltern und Geschwister nicht mehr gesehen? Brooke blieb stehen. Sie musste raus hier, an die frische Luft. Eilig bewegte sie sich in Richtung Wohnungstür, steckte Fallons Zweitschlüssel ein und trat keinen Herzschlag später über die Schwelle. Mit einem leisen Klicken fiel die Tür hinter Brooke ins Schloss. Langsam näherte sie sich der gegenüberliegenden Tür, dem Ort, den Brooke bis vor kurzem noch ihr Zuhause nennen durfte. „Entschuldigen Sie?", ertönte da eine weibliche Stimme hinter ihr. „Sind Sie Fallon O'Connor? Oder kennen Sie sie vielleicht? Sie soll hier wohnen." Brooke hielt in der Bewegung inne. Diese Stimme. „Tut mir leid. Habe ich sie erschreckt?", hakte die Fremde nach. Diese Stimme! Brookes Körper verkrampfte sich. Nein. Nein. Nein, das konnte einfach nicht sein. Niemals. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Alles in Ordnung mit ihnen? Geht es ihnen nicht gut? Habe ich etwas Falsches gesagt?" „Nein.", brachte Brooke kaum hörbar hervor und wandte sich noch in derselben Sekunde um. „Hast du nicht." Die mintgrünen Augen der Frau weiteten sich, ihre Kinnlade klappte herunter. „Br...Brooke." Kurz schien es, als würde sie auf dem Absatz kehrt machen, doch dann warf sie sich schluchzend in Brookes Arme. „Ich dachte...dachte du...du...ich hatte solche...Angst dich nie...nie wieder zu sehen." „Es tut mir leid Beverley." Sie versuchte, ihre Tränen zurückzuhalten. Erfolglos. Gegen ihre Emotionen hatte Brooke einfach keine Chance. Weinend hielten sie der Umarmung etliche Minuten stand, bevor Beverley die intime Situation beendete. „Du musst mir alles erzählen, Brooke. Weshalb bist du damals verschwunden? Was ist passiert? Mum und Dad sind beinahe umgekommen vor Sorge! Bitte, du musst mir alles ganz genau erzählen, ich bin deine Schwester, du weißt, dass du mir jedes noch so schreckliche Geheimnis anvertrauen kannst." Brooke nickte und Beverley nahm ihr Gesicht in beide Hände. „Entschuldige, ich wollte euch wirklich keinen Kummer bereiten." Ihre Stimme zitterte leicht. Das plötzliche Auftauchen ihrer Schwester hatte Brooke einfach nur umgehauen. Nach so vielen Jahren stand Beverley mit einem Mal vor ihr. Alles, jegliche Erinnerung an Bibury, ihre Familie, aber auch der Mord an der vierundsiebzig-jährige Rentnerin kamen auf einen Schlag wieder hoch. „Hey." Sie drehte sich um. Fallon erklomm soeben die letzte Treppenstufe. „Hallo.", schenkte auch Beverley Brookes Nachbarin ihre Aufmerksamkeit. „Tut mir leid, wenn ich störe, ich wusste nicht, dass du Besuch hast, Brooke." An Beverley gerichtet fuhr Fallon fort: „Ich bin Fallon O'Connor." „Sie sind Fallon O'Connor? Na das ist ja lustig. Ich bin Beverley Glanville und auf der Suche nach ihnen." „Auf der Suche nach mir? Warum das denn?" „Das würde ich ihnen gerne in Ruhe erzählen. Haben sie nachher ein bisschen Zeit?" Fallon nickte. „Gerne. Heute Nachmittag 15:00 Uhr?" „Einverstanden." Brooke runzelte die Stirn. Was wollte ihre Schwester von Fallon? „Sie sagten, ihr Name ist Glanville. Sind sie mit Brooke verwandt?", erkundigte Fallon sich und schloss nebenbei die Tür ihrer Wohnung auf. „Brooke ist meine kleine Schwester." „Ihre Schwester?" „Ja. Ich habe sie heute das erste Mal nach vier Jahren wieder gesehen.", gestand Beverley. Brooke errötete leicht, als ihre Nachbarin sie nun direkt ansah. „Du hast mir nie erzählt, dass du eine Schwester hast, Brooke." Nein. Das hatte sie nicht. Warum auch? Ihre Vergangenheit ging niemanden etwas an. Beverley machte neugierig einen Schritt auf Brooke zu. „Kennt ihr euch schon länger? In welcher Beziehung steht ihr zueinander?" Völlig überrumpelt von der Frage bekam die junge Frau keinen Ton heraus. Warum musste ihre Schwester denn immer so direkt sein? Hilfesuchend blickte Brooke zu Fallon hinüber. „Nachbarn. Wir sind Nachbarn und kennen uns seit ein paar Monaten. Ich muss jetzt auch wieder los, die Arbeit ruft, ich hatte nur etwas vergessen." Mit diesen Worten eilte Fallon in ihre Wohnung.

Energisch trieb ihr der kühle Septemberwind die braunen Strähnen ins Gesicht. Mit geschlossenen Lidern lehnte Brooke am Stamm der schmalen Birke und lauschte dem Gezwitscher der Vögel, welches die Luft um sie herum mit seinem Klang erfüllte. Genau in diesem Moment saßen Fallon und ihre Schwester in Fallons Wohnung und unterhielten sich über das, weshalb Beverley hier war. Brooke stand auf. Die Nachmittagssonne schien auf sie herunter, tauchte die Umgebung um sie herum in ein gleißendes Licht. Jeder Schmerz Brookes schien hier an diesem wunderschönen Ort wie weggeblasen. Nach dem Wiedersehen mit Beverley hatte sie es den ganzen Tag über geschafft, den Grund für ihr damaliges Verschwinden nicht preiszugeben. Jedoch wusste Brooke, dass dies nicht für immer hielt, früher oder später würde ihre Schwester alles herausfinden. Genau wie Fallon. Fallon. Der Gedanke an ihre Nachbarin ließ Brookes Knie weich werden. Diese Frau ging ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf. Genau störte ein leises Klingeln Brookes Gedankengang. Ihr Handy. Ein Blick auf das Display genügte, um ihren Puls auf hundertachtzig zu bringen. Fallon! Mutig nahm Brooke den Anruf entgegen und versuchte ihre Aufregung zu verbergen. „Ha...llo." „Brooke. Hier ist Fallon. Wo bist du denn? Deine Schwester sucht dich? Du wolltest doch nur einen kleinen Spaziergang machen, während ich mit ihr rede." „Ja, ich...ich bin gleich da. Um was ging es denn in eurem Gespräch?" „Naja." Fallon zögerte. „Okay, es ging um einen Mordfall vor vier Jahren in deinem Heimatdorf Bibury. Eine Rentnerin. Erstochen." Bibury! Die alte Frau! Ihre grausame Tat! Brooke keuchte. „Ich...warum kommt Beverley damit zu dir?" „Sie sagte, der Fall wurde nie wirklich untersucht und die Polizei in Bibury ist nicht sehr groß. Deshalb haben deine Schwester und auch der Rest der Familie all die Jahre nach Hinweisen gesucht. Sie sind nur zufällig auf mich gekommen, da ich vor kurzem mit meinem Team einen Mordfall in einem kleinen Dorf übernommen habe, da die Polizei dort überfordert mit der Sache war. Das stand Wochen lang in den Zeitungen. Du hast wohl nichts darüber gelesen." Brooke schüttelte den Kopf , obgleich ihr klar war, dass ihre Nachbarin diese Geste nicht sehen konnte. „Nein. Ich...habe nichts darüber gelesen." „Naja, egal. Deine Schwester möchte, dass wir den Fall neu aufrollen.", erzählte Fallon weiter. Tränen sammelten sich in Brookes Augen. „Und? Werdet ihr es tun?" „Ich denke schon. Deiner Schwester ist es wirklich sehr sehr wichtig. Und dir doch auch oder?" „Klar. Ich kannte das Opfer ja auch. Ich...ich bin gleich da." Brookes Stimme versagte, sie legte auf und sank auf den erdigen Boden.


Und sie atmete - Eine Frau die ungewollt tötetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt