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Inzwischen schossen die Tränen nur so aus ihren Augen hervor. Warum? Weshalb passierte das alles? Reichte es nicht, dass Fallon den Fall mit der blonden Frau untersuchte? Musste jetzt auch noch diese schaurige Geschichte aus dem endlos tiefen See ihrer Vergangenheit gefischt werden. Brooke rappelte sich auf. Sie konnte nicht zu Fallon und Beverley zurück. Nicht so. Brooke wollte keinem der beiden mehr unter die Augen treten, nicht im Moment. Sie brauchte einen Plan und zwar einen guten, perfekten, bis auf das winzigste Detail durchdachten. Nichts anderes zählte in dieser Sekunde. Noch während Brooke diesen Gedanken zu Ende dachte, setzte sie sich in Bewegung. Die junge Frau begann zu rennen, schneller und immer schneller trugen ihre Beine sie durch das knöchelhohe Gras. Die Umgebung veränderte sich und bald schon fand sich Brooke im dichten Unterholz, inmitten einer ihr vollkommen unbekannten Gegend wieder. Erbarmungslos riss der Wind an ihren Haaren, wirbelte ihr einzelne Staubkörner in die Augen. Die junge Frau blinzelte, versuchte, die Fremdkörper zu vertreiben. Warum konnten sie nicht einfach alle in Ruhe lassen?Brooke kam zum Stehen. Sie hasste diese unzähmbaren Gedanken, die sich Tagtäglich in ihrem Gehirn abspielten und sie immer wieder daran erinnerten, was sie getan hatte. Nichts auf der Welt entschuldigte ihre Taten. Erneut kündigte ihr Handy einen Anruf Fallons an. Brooke schloss die Augen. Sollte sie? Nein! Entschlossen drückte sie ihre Nachbarin weg, kam wieder in Bewegung und hetzte weiter ziellos durch den nachmittäglichen Wald. Alles schien förmlich an ihr vorbei zu rasen, jeder Baum, jeder Stein, alles. Brooke sah die steinige Kante viel zu spät, zu spät um eine Handlung auszuführen die sie hätte retten können. Kopfüber stürzte sie über den Rand, realisierte das Wasser unter sich, ehe sie in den graublauen Fluten versank. Sofort riss die Strömung die junge Frau mit sich. Sekundenlang war Brooke nicht in Lage, die Oberfläche zu erreichen und als es ihr endlich gelang, nahm sie den Sauerstoff gierig in ihre Lungen auf. Panisch riss sie den Kopf herum. Sie trieb mitten in einem tosenden Fluss, umgeben von Wald und riesigen Felsen. Brooke fing an zu schwimmen, probierte sich zu der Felskante zurück zu kämpfen. Vergebens. Die Kräfte der jungen Frau schwanden, ihr Körper wurde schwerer. Brooke schloss die Augen. Ihre Beine glichen zwei gewichtigen Betonklötzen, welche sie nach und nach in die Tiefen des Fließgewässers zu ziehen versuchten. Nach und nach schien jeglicher Wille es aus dieser höchst gefährlichen Situation zu schaffen, aus Brookes Innerem gesaugt zu werden. Gab es überhaupt noch Freude in ihrem Leben? Einen Grund, das alles durchzustehen? Brooke öffnete die Lider. Die ganzen letzten Jahre waren doch ausschließlich von Angst, Schmerz und vor allem Selbsthass erfüllt gewesen. Nicht einmal ein winziger Lichtstrahl war in das kalte, von tiefschwarzer Dunkelheit umhüllte Verlies zu Brooke hindurchgedrungen. War dies der Augenblick, um aufzugeben, alles hinter sich zu lassen, auf eine Weise, die anderen wehtat und sie tieftraurig zurückließ. Schon beinahe wie in Trance kehrte Brooke der Oberfläche und damit dem Sauerstoff den Rücken und tauchte letztendlich ganz in die reißende Erlösung hinunter. Wasser drang Brooke in Mund und Nase, eröffnete das Feuer der Angst in ihr. Nein! Sie konnte ihre Schwester und auch Fallon nicht im Stich lassen. Mit einem einzigen kräftigen Schwimmzug gelangte Brooke wieder nach oben. Ihr Atem glich dem eines Marathonläufers und ihr Herz drohte ihr augenblicklich aus der Brust zu springen. Wie um alles in der Welt sollte sie jemals einen Weg aus dieser aussichtslosen Lage finden? Die junge Frau drehte den Kopf, sah den Baumstamm auf sich zu kommen. Ihr Versuch, das schwimmende Holz zu erreichen und sich daran festzuhalten, glückte. Inzwischen hatte es zu regnen begonnen und allmählich ging die Farbe des Himmel in ein dunkles Grau über. Erschrocken musterte Brooke die dunklen Wolken. Oh nein! Bitte nicht auch noch ein Gewitter.

Ein bedrohliches Grollen erfüllte die Luft. Der Wind nahm an Fahrt auf und fegte nur so über den dichten Wald hinweg. Nach Luft ringend lag Brooke am Boden. Etliche Minuten lang war sie mitsamt des Baumstamms den Fluss entlang getrieben, bis dieser wie aus dem Nichts in einen kleineren See mündete. Für Brooke die Rettung. Hustend richtete sie sich auf. Und jetzt? Wo war sie hier? Brooke blickte sich um. Wenn sie einfach dem Fluss folgte, würde er sie schon dahin zurückbringen, wo vorhin ihr unfreiwilliges Bad begonnen hatte. Brooke rappelte sich auf und fing an zu laufen. Wie spät war es? Beverley und Fallon fragten sich bestimmt schon, wo sie so lange blieb. Brooke tastete ihre Hosentasche, in welcher sich ihr Handy befand, ab. Die Tortur im Wasser hatte es bestimmt nicht überlebt. Nichts. Mist! Vermutlich lag ihr Handy jetzt auf dem Grund des Flusses. Brooke beschleunigte ihren Schritt. Erstaunlich schnell erreichte sie die Felskante, die zuvor der Auslöser für ihren Sturz gewesen war. Jedenfalls sah sie dieser sehr ähnlich. Brooke nickte. Das musste einfach der richtige Ort sein. Ein leises Klingeln unterbrach abrupt ihren Gedankengang. Dieser Ton. Eilig lief Brooke in die Richtung, aus der das Geräusch kam und stieß kurz darauf auf ihr Handy. Sie musste es bei ihrem Sprint durch das Unterholz kurz vor ihrem Sturz verloren haben. Rasch griff die junge Frau nach dem Gerät. Es hatte aufgehört zu läuten. 10 Anrufe in Abwesenheit, mit dem von gerade eben 11. Brooke schluckte. Alle von Fallon. Es donnerte und Brooke zuckte zusammen. Wenn sie sich nicht beeilte, würde sie mitten in das Gewitter kommen. „Brooke!" Beverley! Oh verdammt! Brooke riss den Kopf herum. Ihre Gedanken überschlugen sich, denn nun sah sie ihre Schwester und Fallon hinter einer Gruppe von Bäumen hervorkommen. Bis jetzt hatten sie Brooke wohl noch nicht entdeckt. Noch war also Zeit, sich ein geeignetes Versteck zu suchen. „Brooke! Da bist du ja!" Beverleys Stimme triefte nur so vor Sorge. Zu spät. Eine Flucht war nicht mehr möglich. „Ich habe mir solche Sorgen gemacht." Beverley fiel ihr um den Hals. „Wo warst du?" „Ich...", setzte Brooke an. Ihre Schwester löste sich von ihr. „Ja?" „Ich habe...mich verlaufen."
„Verlaufen.", wiederholte Beverley und fügte dann entsetzt hinzu: „Und wie siehst du überhaupt aus? Du bist ja völlig durchnässt."


















Und sie atmete - Eine Frau die ungewollt tötetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt