Kapitel 8.

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Spät am Abend kehrte Richard in seine Wohnung zurück, nachdem er mit seinem Kumpel aus dem Gitarrengeschäft ein paar Bier genossen hatte. Die Straßen waren ruhig, und das gedämpfte Licht der Straßenlaternen begleitete ihn auf dem Weg nach Hause. Anders als Paul, genoss er die kalte Luft, welche ihm um die Nase wehte, und ihm eine Gänsehaut über seine Haut jagte.

Obwohl drei Biere geflossen waren, schien Richard unbeeindruckt. Er hatte immer schon, recht viel Alkohol vertragen. Seine Wohnung empfing ihn mit einer gedämpften Stille, nur durchbrochen vom leisen Klicken der Tür. Ein schwacher Geruch von Zigarrenrauch hing in der Luft. Als er einen Moment innehielt, spürte er eine seltsame Unruhe. Etwas war anders, aber er konnte nicht genau sagen, was.

Vorsichtig stellte Richard seine neue Gitarre im Vorzimmer ab, zog die Schuhe aus und hängte seine Jacke auf. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es bereits 23 Uhr 30 war. Verdammung! Ein Stich des schlechten Gewissens durchzuckte ihn. Er hatte Paul den ganzen Tag allein gelassen, ohne auch nur Bescheid zu geben, dass es später werden könnte.

Mit bedächtigen Schritten ging er den Flur hinunter ins Wohnzimmer, doch von Paul keine Spur. Weder auf dem Balkon noch in der Küche, im Schlafzimmer oder im Badezimmer. Eine leichte Panik machte sich breit. Wo zum Teufel konnte er sein? Hatte er sich in Luft aufgelöst? Oder war er vielleicht zu einem der anderen Jungs gegangen, weil Richard so lange gebraucht hatte?

Besorgt kramte Richard sein Handy heraus und versuchte, Paul anzurufen. Mailbox. Mist! Mit einem leichten Gefühl der Unruhe ging er noch einmal zurück in den Flur. Jacke und Schuhe waren noch da, aber von Paul keine Spur. Hatte er etwa ohne Schuhe das Haus verlassen? Wohl kaum.

Langsam breitete sich ein mulmiges Gefühl in Richards Bauch aus. Was, wenn etwas Schlimmes passiert war? Was, wenn Paul etwas zugestoßen war? Die Gedanken an mögliche Gefahren verstärkten die Unruhe in ihm. Mit jedem nicht beantworteten Anruf auf Pauls Handy wuchs die Sorge, und die Vorstellung eines schlimmen Ereignisses nagte an Richards Nerven.

Doch dann fiel es ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen. Sein Lesezimmer! Da hatte er noch nicht nachgesehen. Als er damals in diese Wohnung zog, wusste er lange Zeit nicht, was er mit diesem Raum anfangen sollte. Laut Gitarre durfte er in diesem Gebäude nicht spielen, und da er schon immer von einer eigenen Bibliothek geträumt hatte, hatte er sich einfach dafür entschieden, das Zimmer entsprechend einzurichten.

Mit einem Anflug von Hoffnung eilte Richard die Treppe zum Lesezimmer hinauf. Die Tür stand einen Spalt offen, und das gedämpfte Licht einer Tischlampe schimmerte heraus. Ein erleichtertes Lächeln huschte über Richards Gesicht. Vielleicht hatte Paul- tatsächlich die Zeit genutzt, um sich in den gemütlichen Leseecken zu entspannen.

Ganz langsam öffnete er die Tür zu diesem Zimmer, das mit seinem Schlafzimmer verbunden war, und trat ein.

Tatsächlich war Paul auf seinem großen grauen Lesesessel eingeschlafen. Ein sanftes Schnarchen entwich seinen Lippen, und in seiner Hand hielt er "1984" von George Orwell - Richards Lieblingsbuch. Ein Lächeln schlich sich auf Richards Gesicht, als er Paul so halb liegend, halb sitzend betrachtete. Paul sah wirklich zuckersüß aus, seine Wangen leicht gerötet und die Lippen leicht geöffnet.

Der Impuls, sich zu ihm zu beugen und ihn mit einem liebevollen Kuss zu wecken, war stark. Doch die Sorge um Pauls Wohlbefinden hielt Richard zurück. Er unterdrückte das Verlangen und trat stattdessen leise näher.

Paul konnte hier nicht einfach liegen bleiben, und sicherlich hatte er heute noch nichts gegessen. Richards Herzschlag beschleunigte sich leicht, als er überlegte, wie er Paul behutsam wecken und dafür sorgen konnte, dass er dennoch genug Ruhe hatte. In diesem Moment überfluteten gemischte Gefühle von Liebe, Erleichterung und Sorge sein Herz.

Ganz vorsichtig hob Richard seinen besten Freund im Brautstil hoch und trug ihn in Richtung seines Bettes. Bestimmt bildete er sich das nur ein, doch es kam ihm ein wenig so vor, als würde sich Paul an ihn kuscheln. Sein Verdacht wurde bestätigt, als er plötzlich zwei Arme spürte, die sich um seinen Hals legten. Richard spürte, wie er leicht errötete. War Paul sich überhaupt bewusst, was er hier tat?

Sanft legte er Paul im Bett ab und wollte sich gerade von ihm lösen, um den beiden etwas zu essen zu machen. Doch der Griff um seinen Hals wurde plötzlich fester. Richard spürte, wie sein Herz schneller schlug, und er schaute hinunter zu Paul, der mit geschlossenen Augen und einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen festhielt. War das ein unbewusster Akt der Zuneigung oder hatte Paul etwas im Schlaf verändert?

Überrascht blickte er in Pauls Gesicht. Seine Augen flackerten, und er wurde langsam wach. "Paul, was ist los?", fragte Richard. Seine Lippen waren kaum zehn Zentimeter von Pauls entfernt, was sein vorheriges Verlangen nicht gerade besser machte. "Geh nicht weg", nuschelte dieser nur und kuschelte sich zurück in Richards Arme. Schmunzelnd zog dieser ihn näher an sich. "Aber Paul, ich gehe ja nicht weg. Ich will uns nur etwas zu essen machen."

Unsicher, wie er reagieren sollte, entschied sich Richard, fürs Erste bei ihm zu bleiben. Wer konnte schon widerstehen, wenn der Mensch, den man so sehr mochte, sich so an einen klammerte? So lagen die beiden, in einem vertrauten Umarmungstanz, während die Sorgen des Abends langsam in den Hintergrund traten.

Richard streichelte sanft über den Rücken des Kleineren. Doch Paul wollte nichts essen, er hatte Richard heute wie verrückt vermisst. Er hatte sich nicht getraut, ihn anzurufen, um zu erfahren, wann er zurückkommen würde. Und jetzt war die Angst viel zu groß, dass er wieder auf einmal weggehen könnte.

"Ich will nichts essen. Mir ist kalt. Bitte bleib bei mir", nuschelte Paul. Der Griff um Richards Hals wurde noch fester, und erst jetzt bemerkte dieser, dass Pauls Körper wirklich kühl war. Richard gab sich einen kleinen Ruck und kuschelte sich mit seinem besten Freund unter die Bettdecke. "Na gut, aber dafür mache ich uns beiden ein XXL-Frühstück, bevor es ins Studio geht, okay?"

"Hmmm, gern", nuschelte Paul und vergrub seinen Kopf in Richards Halsbeuge. "Ich liebe es, wenn du kochst." Eine leichte Wärme durchströmte Richards Herz, als er spürte, wie sich Paul enger an ihn schmiegte. Die gemeinsame Zeit unter der Bettdecke schien die Kälte des Abends zu vertreiben, und die Vorfreude auf das bevorstehende Frühstück ließ Richards Bedenken in den Hintergrund treten

Lachend strich Richard ihm über den Rücken. Manchmal konnte Paul so niedlich sein. Aber das war eine Sache, die er an ihm liebte. Mit ihm wurde es einfach nie langweilig, und er entdeckte immer wieder neue Sachen an ihm.

"Schlaf gut, Paul", flüsterte er in sein Ohr und strich ihm ein letztes Mal durch die Haare. "Schlaf du auch gut, Reesh", flüsterte dieser.

Richard wollte schon die Augen schließen und schlafen, doch plötzlich spürte er ein paar warme, weiche Lippen auf seiner Wange. Überrascht blickte er zu seinem Bandkollegen hinunter. Paul schien jedoch bereits weggedöst zu sein. Augenblicklich wünschte sich Richard dieses zärtliche Gefühl zurück, während sein Herz einen leichten Sprung machte.

Er wollte Paul wieder so nahe sein wie gestern, ihn wieder küssen und so berühren dürfen. Ein stechender Schmerz machte sich in seinem Herz breit, und er fühlte sich mit einem Mal so leer. Obwohl er ihn endlich wieder bei sich hatte, fühlte es sich trotzdem so an, als sei er so unendlich weit weg. Der Gedanke, Paul nie so haben zu können, wie er es am meisten brauchte, war so schmerzhaft, dass sich alles in ihm verkrampfte. Paul würde ihn nie so mögen können, wie er das tat. Er wusste nicht wieso sich sein bester Freund ihm gegenüber so verhielt, schließlich war er doch bereits in jemand anderen verliebt.

Richard musste sich ein Schluchzen verkneifen, und sein Griff um Paul wurde immer fester, was dieser zum Glück nicht bemerkte.

Doch auch Richard war nur ein Mensch, und so lief ihm keine Sekunde später die erste Träne über die Wange, und dann noch eine und noch eine. Er wusste nicht, wie lange er weinte. Doch es waren stille Tränen. Und so schlief er nach einer gewissen Zeit endlich ein.

Mit einem gebrochenen Herzen.

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Wie weit würdest du für die Liebe gehen? (-Paulchard)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt