16. Kapitel: Nach diesem bedeutet nicht wegen diesem

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»Marika, wach auf!«

Bertram hatte mich durch einen Fleischwolf gedreht, aus Rache für seinen abgebissenen Finger. Anders ließ es sich nicht erklären, warum jede einzelne Faser meines Körpers schmerzte, von den wunden Füßen bis zur rhythmisch pochenden Beule an meiner Stirn. Behutsam streckte ich meine bis vor die Brust angewinkelten Beine aus. Ich stöhnte auf, als sich die verkrampften Muskeln in meinen Waden spannten.

»Vermeide jetzt bitte allzu schnelle Bewegungen.«

Simon. Der Superheldentyp mit eingebautem Nachtsichtgerät. Er klang besorgt.
Ich hickste.
Dann hatte ich meine Flucht vor einem Zombiegott also doch nicht geträumt und befand mich gar nicht in der Forensik, sondern in dem gruseligen Geisterhaus, in dem ich angeblich in Sicherheit sein sollte. Die Erkenntnis weckte meinen Fluchtinstinkt, der sofort einen Stoß Adrenalin durch meine Adern schoss. Hektisch blinzelte ich durch meine vom bleiernen Schlaf verklebten Augen. 

Halb saß, halb lehnte Simon mir direkt gegenüber mit verschränkten Armen auf der vergoldeten Armlehne eines Sofas. Er kaute unablässig auf dem silbernen Ring in seiner Lippe herum und trug eine zugleich erschöpfte als auch angespannte Miene, die nichts Gutes verhieß. Der Grund für Simons Warnung saß direkt neben ihm, sah aus, wie ich mich fühlte, und war mal wieder bereit, mich zu erschießen.

Bläuliche Schatten lagen unter Elions Augen, die mit durchdringender Härte auf mich gerichtet waren. Auf seinem Oberschenkel lag eine schwarze Pistole, die Mündung auf mich gerichtet. Seine rechte Hand umfasste locker den Pistolengriff, doch ich hatte gesehen, mit welcher Präzision und Routine er diese Waffen einzusetzen wusste und zweifelte nicht daran, dass ich bei einer falschen Bewegung schneller durchlöchert wurde, als ich »Scheiße« sagen konnte.

Über Elions pfeifenden Atem hörte ich das leise Klappern von Geschirr sowie eine murmelnde Stimme, die ich nicht zuordnen konnte. »Also«, durchbrach ich das bedrohliche Schweigen zwischen uns, »wäre einer von euch beiden so freundlich mir zu erklären, warum ich plötzlich auf eurer Abschussliste stehe? Habe ich zu laut geschnarcht?«

Ein Muskel an Elions Wangenknochen zuckte. »Das Wasser«, sagte er rau, die Worte geschmirgelt über Reibeisen, bei deren krächzenden Klang sich meine eigene, vom enervierenden Schluckauf gereizte Kehle zusammenzog. 

»Das Wasser?«, echote ich verständnislos und bemühte mich, endlich wach zu werden. »Welches Wasser?«

Simon senkte den Kopf und betrachtete eingehend seine ascheverschmierten Kampfstiefel. »Er meint das Wasser, in dem die Leute in der U-Bahn-Station ertrunken sind, Marika.«

Langsam, um Elion nicht zu reizen, richtete ich mich aus meiner unbequemen Schlafposition auf. »Du sagtest, ein Idrin stecke dahinter.« Was nicht erklärte, warum Elion seine Waffe auf mich richtete.

»Das war meine vage Vermutung, ja«, bestätigte Simon. »Wir haben beide gesehen, wie das Wasser die Menschen zu sich herabzog, sobald es sie berührte. Ganz so, als sei es irgendwie ...«, er schauderte, »... lebendig gewesen. Dich allerdings hat es verschont.«

»Hat es nicht«, widersprach ich sofort und hickste. Warum nur klangen Simons Worte so, als wären sie eine Anklage? Was übersah ich? »Ich weiß nicht, wie, aber das Wasser war in mir, in meinen Lungen oder meinem Magen oder sonst wo. Ich habe literweise davon ausgespuckt und kurz davor, ebenfalls zu ertrinken. Es hörte erst auf, als wir die Station verlassen hatten.« Bei der Schilderung glaubte ich, erneut den modrigen Geschmack faulenden Wassers auf der Zunge zu schmecken und verzog angewidert den Mund. »Hättest du mich nicht da rausgeholt, wäre ich jetzt vermutlich tot.«

Überrascht sah Simon erst mich, dann Elion an. »Davon hast du mir nichts erzählt, Marika.«
Elions Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Er glaubte mir nicht.

Daimonion: Dunkle WasserWo Geschichten leben. Entdecke jetzt