11. Kapitel: Tiefe Wasser

14 3 13
                                    

Sollte Simon geplant haben, uns unauffällig durch den Untergrund zu lotsen, machte ihm meine Kondition einen von meiner Seite aus nicht ganz so unerwarteten Strich durch die Rechnung: Mein erbarmungswürdiges Keuchen hallte entwürdigend laut durch den Tunnel, traf auf die feuchten Wände und wurde als heiseres Echo zurückgeworfen, bis der Tunnel selbst zu röcheln schien.

Die nächste Station war ebenso verlassen wie die davor, bis auf eine fette graue Ratte, die sich an den Resten eines achtlos fallengelassenen Döners noch fetter fraß. Sie schaute misstrauisch auf, als Simon mit einer Mühelosigkeit auf den Bahnsteig sprang, die ich als diskrete und doch eindeutige Verhöhnung meiner nutzlosen Muskulatur deutete. Bevor ich mir den Kopf darüber zerbrechen konnte, wie ich es selbst aus dem Gleisbett schaffen sollte, ohne mich vollends zum evolutionär gescheiterten Affen zu machen, bückte Simon sich, griff mir unter die Achseln und hievte mich schwungvoll auf den Bahnsteig. Ich brummte ein missmutiges Dankeschön.

Die Ratte beäugte uns mit nervös zuckender Nase, dann versenkte sie ihren saucenfettigen Kopf wieder in die Innereien des gerösteten Fladenbrotes.
Voller Ekel rümpfte ich die Nase und beeilte mich, Simon zu folgen, der die Hälfte der nach oben führenden Treppe hinter sich gelassen hatte, ehe ich überhaupt an ihrem Fuße angelangt war. Mit wackligen Knien schleppte mich die Stufen hinauf, als gelte es, die letzten Meter auf der Besteigung des Mount Everest zu überwinden: mit Pudding statt Muskeln in den Beinen und kaum ausreichend Sauerstoff in den Lungen, um es aus der Todeszone hinauszuschaffen.

Simons ungeduldiger und gleichzeitig mitleidiger Blick, den er mir buchstäblich von oben herab zuwarf, sagte genug über meinen jämmerlichen Zustand aus. Ich rechnete es ihm hoch an, dass er mich im Gegensatz zu Elion nicht wie ein lästiges Gepäckstück schulterte, sondern mir die Freiheit gab, das volle Ausmaß meiner katastrophalen Kondition am eigenen Leibe zu spüren. Spätestens als ich die letzte Stufe erklommen hatte und mich schwer atmend aufs Geländer stützte, musste ich mich der niederschmetternden Tatsache stellen, es ohne Hilfe wohl kaum aus der Stadt zu schaffen, ehe die Zombiegöttin mich finden und filetieren würde.

»Hatte in letzter Zeit keine Gelegenheit, Sport zu treiben«, schnaufte ich angestrengt. »Und vorher keine Lust. Kann ja keiner ahnen, dass man irgendwann um sein Leben laufen muss.« Ich stieß mich vom Geländer ab und schlurfte mit schweren Füßen weiter.

»Dabei ist die menschliche Physiologie darauf ausgerichtet, weite Strecken problemlos laufend zurückzulegen«, kommentierte Simon meine lahme Erklärung, warum ich nicht einmal ansatzweise Schritt mit ihm halten kann. »Ganz so, als hätten wir in den letzten zweihunderttausend Jahren unserer Entwicklungsgeschichte nichts anderes getan, als um unser Leben zu laufen. Oh Moment«, fügte er nach einer übertriebenen Kunstpause hinzu, »genau das haben wir ja getan: Vor Bären, Löwen, Krokodilen, Säbelzahntigern, Göttern und was da noch so kreuchte und fleuchte und flatterte in den vormotorisierten Zeitaltern.«

Ich strich meine wirren braunen Haarsträhnen zurück und funkelte Simon finster an. »Zumindest, bis wir gelernt haben, den bösen Säbelzahntiger mit einem Stein zur Strecke zu bringen und nicht mehr weglaufen mussten.«

»Du könntest einer Säbelzahnkatze mit einem Stein den Garaus machen?« Simon pfiff spöttisch. »Müsstest du auch«, antwortete er an meiner Stelle, »denn Wegrennen wäre für dich keine Option. Ich empfehle dir allerdings, diese Strategie geistieger Überlegenheit nicht bei einer Idrin auszuprobieren.«

»Weißt du, Simon, niemand kann Klugscheißer leiden«, ächzte ich. »Außerdem hatten Säbelzantiger keine verdammten Flügel, mit denen sie auch stelzenbeinige Evolutionsspezialisten wie dich und Elion eingeholt hätten.«

»Aber als Katzenartige neun Leben, womit sie mehr mit den Göttern gemein hatten als du ahnst. Aber ich kann nicht bestreiten, dass eine besondere Veranlagung in unserer Familie dominiert, die uns gegenüber Stummelbeinigen wie dir einen klaren Vorteil verschafft.« Er stieß sacht mit dem Ellenbogen gegen meinen Oberarm. Eine fast versöhnliche Geste. »Kopf hoch, Stummelbeinchen: Es ist nicht mehr weit, du hast es gleich geschafft.«

Daimonion: Dunkle WasserWo Geschichten leben. Entdecke jetzt