31. Kapitel: Prioritäten

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Simon schob sich den Helm in den Nacken und wischte sich über die Stirn. »Wir machen eine Pause.«

Das waren die schönsten vier Worte, die ich heute gehört hatte. Als hätten meine Beine nur auf dieses Kommando gewartet, verwandelten sie sich augenblicklich in nutzlose Gummiattrappen und ich setzte mich an Ort und Stelle in die puderweiche Asche.

»Elion hat aber nichts von einer geplanten Pause gesagt,« entgegnete Lay zögerlich. »Wir verlieren Zeit, wenn wir hier hierbleiben.« Argwöhnisch betrachtete sie die verfallene Ruine, vor der Simon haltgemacht hatte. Es handelte sich um eine Art Stall, von dem lediglich zwei der vier Betonwände standen und dessen eingestürztes Dach rußgeschwärzte Balken waren, welche die grob gemauerten Boxen unter sich begraben hatten. Wild wuchernde Brombeersträucher umschlossen die Ruine, unreifen Früchte blitzten hier und dort wie dunkelrote Blutstropfen unter der Asche hervor.

»Ich bin ebenfalls für eine Pause«, sprang Salma Simon zur Seite.

Mühsam hob ich meine Hand. »Ich auch.« Dann zog ich meine Beine an die Brust, umschlang meine Knie mit beiden Armen und bettete meinen Kopf zwischen ihnen, sodass mein Gesicht vor der herabfallenden Asche geschützt war. So zusammengeknautscht reckte ich meinen Hals, bis das Shirt von meiner Nase rutschte. Endlich konnte ich tief durchatmen.

»Na schön«, sagte Lay widerwillig. Ich war viel zu k.o., um mich zu wundern, warum sie so schnell nachgegeben hatte. »Wir warten, bis Elion zu uns stößt, dann soll er entscheiden.«

»Oder wir stimmen ganz demokratisch ab«, nuschelte ich gegen meine steifen Oberschenkel. Ich würde nie wieder aufstehen können, so zerschlagen fühlte sich mein Körper an. Ich hörte Lay schnauben, aber sie sparte sich einen abfälligen Kommentar. Der war auch gar nicht nötig. Ich schätzte die Zeit auf frühen Nachmittag, und obwohl wir seit dem Morgen unterwegs waren, war es selbst für mich beschämend, wie erledigt ich war. Es war, als hätte die Samadu nicht nur meine Haut, sondern auch sämtliche Energie in mir verbrannt.

»Du solltest in Bewegung bleiben, Marika«, riet Simon. »Noch sind deine Muskeln warm, aber in zehn Minuten wirst du dich nicht mehr rühren können.«

»Zu spät«, stöhne ich, ohne aufzusehen. »Geht einfach ohne mich weiter, ich komm schon zurecht.«

Lay schnaubte ein weiteres Mal. »Du würdest keine Stunde ohne uns überleben.«

»Das nennt man dann wohl natürliche Auslese.« Meine Waden zuckten, als stünden sie kurz vor einem Krampf. Vielleicht hatte Simon ja doch recht und es war wirklich cleverer, in Bewegung zu bleiben ...

»Wenn dich ein Wolf fräße, ja«, sinnierte Lay. »Oder wenn du sitzen bleibst und in der Nacht erfrierst. Dann könnte man durchaus von natürlicher Auslese sprechen. Aber wegen mangelnder Kondition zurückzubleiben grenzt eher an natürlicher Dummheit.«

Simon stieß einen anerkennenden Pfiff aus. »Lay, alle Achtung, das grenzte ja beinahe an einen Wortwitz.«

»Daran ist absolut nichts witzig, Simon.«

Ich kauerte mich weiter zusammen, als die Kälte meinen schweißnassen Rücken hochkletterte. Ich musste aufstehen, wenn ich hier nicht festfrieren wollte. Nur noch ein kleiner Moment, versicherte ich mir selbst. Ich musste mich nur ganz kurz ausruhen, während ich den steten Streitereien der Nephilim lauschte ...

Eine warme Berührung auf meinem Arm ließ mich hochschrecken.

»Nicht einschlafen, Marika.« Salma kniete plötzlich direkt vor mir, ihre Hand lag auf meinem Unterarm. Mein Blick huschte panisch zu dem verdreckten Verband über der Samadu. Erleichtert sah ich, dass er nicht verrutscht war.

Daimonion: Dunkle WasserWo Geschichten leben. Entdecke jetzt