Kapitel 16

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Vincenzo:

Sie denk, ich wäre ein Bastard. Zumindest würde ich das von mir denken, wäre ich sie. Ich dachte, es hätte sich gebessert nach den Sitzungen bei der Psychotherapeuten, aber anscheinend kehrt es Schritt für Schritt wieder zurück. Die ganze Fahrt über bis hin zum Restaurant schweigt sie. Wenn sie nur wüsste, weshalb ich so bin und warum meine Reaktion etwas komplexer sind. Wenn sie nur wüsste, unter was ich leide. Fuck.

,,Name?", fragt der Kerl an der Rezeption uns ohne einmal hochzuschauen. ,,Ferraro."
,,Signore Ferraro entschuldigen sie. Ich habe sie gar nicht erkannt." Wie auch wenn du Bastard nicht hochschaust? ,,Un tavolo per due? Corretto?" (Ein Tisch für zwei? Richtig?)
,,Sì." Ein Kellner, der uns den Abend über bedienen wird führt, uns zum Tisch. ,,Come sempre vino rosso?" (Wie immer Rotwein?)
Ich nicke. Nun legt er uns zwei Speisekarten hin und bringt anschließend zwei Gläser Rotwein. Sie schaut sich nicht ein Mal die Speisekarte an.
,,Haben sie schon entschieden, was sie heute essen wollen?" Ich nicke. ,,Pasta con Scampi." Er notiert es sich und wartet auf eine ihre Bestellung. ,,Sole was willst du essen?", frag ich sie. ,,Ich habe-" ,,Bringen sie das Gericht bitte zweimal", sage ich zum Kellner. ,,Ich habe keinen Hunger." ,,Das sagst du immer, wenn du sauer bist. Wir sind nicht allein. Benimm dich jetzt."
,,Ich versteh dich einfach nicht. Denkst du, ich verzeih dir so einfach nur weil du mich in ein schickes und teures Restaurant eingeladen hast? Ich bin keine, die auf dieses ganze materielle Zeug steht. Ich bin keiner deiner Nutten. Außerdem reicht es doch schon, dass dein Verhalten unerträglich ist. Nein, du musst natürlich einen drauf setzen und meine Blumen kaputtmachen." Sie wird wirklich sauer wegen den Blumen? ,,Ich bin bereit aus dir zu lernen, aber die Blumen. Warum hast du sie kaputtgemacht? Man macht keine Blumen kaputt." ,,Ich dachte du wärst aufgrund meines Verhaltens so drauf." ,,Jain. Von deinem Verhalten bin ich enttäuscht und werde daraus definitiv nicht schlau, aber das mit den Blumen hat mich echt sauer gemacht." ,,Ich mach es wieder gut." ,,Du bringst genau die gleichen Sprüche wie mein Bruder. Und was passiert dann? Genau, die gleichen Fehler. Immer und immer wieder." Unser Kellner bringt das Essen. ,,Grazie." Sie mustert ihren Teller und greift dann zur Gabel. ,,Schmeckt es?", frage ich, nachdem sie ihren ersten Bissen gemacht hat. ,,Ist oke." ,,Sole es tut mir leid." ,,Leid?", fragt sie entsetzt. ,,Du hast mich angeschrien."
,,Ich weiß und ich hab dir gesagt, dass es mir leid tut." ,,Das macht es nicht besser Vincenzo." Sie hat recht. Das macht es nicht besser.

Schweigend essen wir unsere Teller auf. ,,Kann ich noch etwas für sie tun?", fragt der Kellner mich. ,,Nein danke. Wir gehen jetzt." ,,Ich begleite sie an die Tür." Der Tag neigt sich immer mehr einen Desaster zu, als der Kellner etwas anspricht, was ich schon längst vergessen habe. ,,Dimmi, come sta la signora Orlando?" (Sag mal, wie geht es Frau Orlando?) Er sieht doch, dass ich hier mit einer anderen bin. Wozu fragt er dann. Sole bemustert mich bereits fragend. ,,Non lo so." (Ich weiß es nicht) ,,Capisco. Schönen Tag noch." Dankend nicke ich ihm zu.

Im Auto herrscht stille. Angespannt starte ich den Motor, um loszufahren, jedoch nicht dahin, wo sie es gerne hätte. ,,Signora Orlando? Ich dachte, du warst noch nie verliebt oder so was in der Art ", hackt sie nach. ,,War ich auch nicht." Die Straßen sind leer, weshalb ich etwas aufs Gaspedal drücke. ,,Schön und wer ist sie dann? Denkst du, ich bin dumm? Du warst anscheinend oft mit ihr hier. Schämst du dich nicht, mich mit hierher zu nehmen?" Mit dir bedeutet es mir doch etwas. ,,Sie war nichts weiter als eine Fickpartnerin über einen längeren Zeitraum. Nichts, worüber du dir Gedanken machen musst Kleine. Sie ist Vergangenheit." ,,Vergangenheit also?" ,,Ja Vergangenheit", sage ich und streiche ihr mit dem Daumen über die Wange, während ich mich weiterhin auf die Straße konzentriere.
,,Fahr zur Hölle Vincenzo", schreit sie. ,,Wohin fährst du? Ich hab dir vorhin gesagt, dass du mich bei mir absetzen sollst. Wer weiß, was du mir noch antun würdest." In einem Schlag bringe ich das Auto zum bremsen. Nun stehen wir hier mitten auf der Straße. ,,Steig aus." ,,Nein." ,,Ich hab dir gesagt, dass du jetzt aussteigen sollst." Überrascht davon, dass sie es wirklich tut, steige ich ebenfalls aus, zünde mir eine Kippe an und lehne mich an die Motorhaube des Autos.
,,Und jetzt?", fragt sie gereizt. ,,Denkst du, ich würde dir schlimmeres antun? Denkst du, ich bin so ein dreckiger Bastard, dass ich gegenüber dir, nachdem was du mir bezüglich deines Vaters erzählt hast, gewalttätig werde?" ,,So war das gar nicht gemeint", sagt sie kleinlaut. ,,Ich fahr dich nicht nach Hause, weil ich will, dass du bei mir bleibst." ,,Warum hast du es dann so weit kommen lassen? Warum kommst du in einem Moment klar und im anderen nicht? Was stimmt nicht mit dir?" ,,Weil ich verdammt noch mal unter Alexithymie leide." Fuck. Ich wollte es ihr doch gar nicht erzählen. Genervt über die Wahrheit steige ich ins Auto zurück. Da hilft es mir auch nicht, die verfickte Kippe zu rauchen. Es würde mich nur mehr stressen. Sie rührt sich nicht einmal von der Stelle. Sie ist wie ich letztens komplett erstarrt. Langsam nähert sie sich der Beifahrertür. ,,Reden wir bei dir darüber?", fragt sie mit sanfter Stimme, als sie wieder einsteigt. ,,Eventuell." Ich kann ihr kein ja oder nein geben. Ich will nicht, dass sie sich um mich sorgt. Ich will nicht, dass ihre Zuneigung mich so überfordert, dass ich wieder nicht damit klar komme. Ich will sie nicht verletzen. Ich will gerade eigentlich gar nichts mehr.

Die Fahrt bis zu mir verlief auch wieder schweigend. Ich bin gestresst. Zumindest denke ich das. Stress und Wut sind beides Gefühle, die ich noch zuordnen kann, aber sobald es zu Ereignissen kommt, in denen ich positive Gefühle spüre oder Zuneigung bekomme, neige ich dazu, nichts anderes als Überforderung zu spüren. Was denkt sie, warum ich abhaue und sie morgens alleine aufstehen lasse, nachdem wir unseren Spaß hatten? Es war bis jetzt nur zwei mal der Fall, jedoch würde ich es immer und immer wieder aufs Neue so machen und daran kann ich auch nichts ändern.

Von der Tiefgarage aus laufen wir nach oben.
Angespannt lasse ich mich auf der Couch nieder und streiche mir über die Stirn. Sie weiß nicht, was sie tun soll. Sie weiß nicht, ob sie sich neben mich setzen soll und ich weiß nicht, ob ich dieses Gespräch gleich überhaupt führen will. ,,Setz dich doch", sage ich ihr. ,,Erklärst du mir genau unter, was du leidest?" ,,Ich habe doch bereits gesagt Alexithymie." ,,Was genau ist das?" ,,Ich habe in bestimmten Situationen keine Worte für Gefühle. Erst recht, wenn es sich um positive Gefühle handelt. Irgendwas geht in mir vor, aber ich kann es nie so wirklich beschreiben, weshalb ich dann oft zeichne oder notiere. Ich kann meine eigene Gefühlswelt nicht so wirklich erfassen. Ich dachte, es hätte sich gebessert, nachdem ich ein Jahr lang bei der Psychotherapie war, aber anscheinend hat es doch nichts gebracht. Ich weiß nicht, wie sich Liebe anfühlt. Ich weiß nicht, wie ich mit dir umgehen soll, wenn du dich um mich sorgst und ich verstehe deine Handlungen dadurch nicht. Auch wenn du etwas in dem Moment gut meinst, sehe ich nur das negative. Freude empfinde ich nur eingeschränkt. Ich lache nie, wie du siehst. Ein Grinsen ja, aber kein Lachen. Weinen kann ich auch nicht. Bis jetzt nur ein Mal aber seid dem nie wieder. Wut und Stress empfinde ich jedoch etwas intensiver. Wutausbrüche zum Beispiel. Es kommt so viel negatives was sich angestaut hat plötzlich hoch, dass ich gar nicht realisiere, was ich meinem Gegenüber überhaupt an den Kopf werfe." Zu viele Informationen die sie verarbeiten muss. Zu viele Informationen, die ich nie sagen wollte.
,,Du empfindest also keine Freude, wenn du mich küsst, geschweige denn fickst?" Gegenüber dir, denke ich, war es mehr als nur Freude. ,,Ich weiß es nicht Sole." ,,Ist das wie eine Bindungsstörung?" ,,In der Art. Binden kann ich mich auch nicht so wirklich. Zumindest nicht bei Frauen." ,,Bei mir aber schon. Das tust du gerade nämlich", sagt sie und nähert sich langsam meinem Gesicht. Sanft fährt sie mit ihrem Zeigefinger meine Gesichtskanten und Lippe nach. ,,Was spürst du jetzt?" ,,Ich kann es nicht deuten Sole." ,,Und jetzt?", fragt sie, als sie mir einen leichten Kuss auf den Mund gibt. ,,Fühlst du dich wohl, wenn ich das tue?" ,,Ich denke es." Langsam knöpft sie mein Hemd auf, auch wenn ich nicht deuten kann, auf was sie genau hinaus will. Fragend mustere ich sie. ,,Du schwitzt. Zieh dein Hemd aus." Ich schwitze? Das hab ich gar nicht gemerkt. Mit ihrem Finger fährt sie nun leicht über meine Tattoos. ,,Geh schlafen Sole es ist spät." ,,Kommst du dann wenigstens mit mir?" Ich nicke. ,,Versprichst du auch Morgen neben mir aufzuwachen?" ,,Muss morgen früh was erledigen."

Etwas, dass dich hoffentlich überglücklich machen wird.

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