17. Durch die Mauer

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Mein Atem setzte einen Moment aus, als er die Worte aussprach.

Sie ist meine Exfreundin.
Exfreundin.

Ich wusste nicht was Momentan mehr schmerzte. Die Situation, dass außerhalb dieser Hütte unsere Kameraden ums Neben kämpften, oder die Gewissheit, dass Jean mit seiner Exfreundin noch eng im Kontakt stand. Es traf mich eiskalt.
Hämisch lachte ich auf und wich seinem Blick aus.
»Ist das gerade dein ernst?«, fragte ich nach und er schloss kurz die Augen, nur um sie wieder zu öffnen und einen Schein von Schuldbewusstsein zu entfachen. Er bereute es. Dann legte er seine Hand an meine Wange und streichelte diese mit seinem Daumen. Ein angenehmer Schauer durchfuhr meinen Körper und ich konnte mich nicht gegen seine Berührung wehren. Auch wenn es eigentlich angebracht wäre.
»Ich empfinde nichts mehr für sie. Ich...mag dich viel mehr...«
Ich schlug seine Hand nun doch weg und schaute ihn ernster an. Ich mag dich viel mehr. Es klang eher danach, als hätte er mich aus einer Vielzahl von Frauen auserwählt, nachdem er sich an allen ausprobiert hatte.
»Du hast mit ihr rumgemacht.«
»Nein. Sie  hat mich geküsst.«
»Und du hast es zugelassen.«
»Ich weiß, aber-«
»Jean. Typen die nicht wissen, was sie wollen, werden niemals das kriegen, was sie sich wünschen.« Ich ging in Richtung Ausgang.
»Hey, warte mal! Du kannst da nicht so einfach raus! Es ist gefährlich!«, versuchte er mich aufzuhalten.
»Und? Während wir uns verstecken wie Angsthasen und ein Gespräch führen, was weitere Fragen aufwirft, kämpfen unsere Kameraden gerade gegen Titanen und versuchen unsere Stadt zu beschützen. Also: Wenn du immer noch zur Militärpolizei willst, solltest du vielleicht mal deinen Arsch in Richtung Kampf bewegen.«
Mit diesen Worten ließ ich ihn verstummen, schenkte ihm einen entschlossen Blick und wir machten uns auf den Weg zu den anderen.

Es war ein Abbild des Grauens. Die Titanen waren tot. Häuser waren zertrümmert, Körper lagen auf dem Boden. Und ich wollte nicht genauer hinsehen. Wollte nicht wissen, wer genau dort lag. Und all das ist passiert, während wir uns versteckt haben wie Feiglinge.
»Hey, alles gut?«, hörte ich dann jemanden rufen und sah den Hauptgefreiten Levi auf uns zukommen. Er hatte Blut im Gesicht und an den Händen. Mit Sicherheit hatte er so einige Titanen abgeschlachtet.
»Hauptgefreiter...was...wie...«, stammelte ich und fing an zu zittern. Einige Rekruten und Soldaten sah ich in der Ferne. Aber wo waren Milly und Milow?
»Sind die Titanen alle vernichtet worden?«, fragte Jean ihn.
»Ja«, raunte der Hauptgefreite. »Vorerst.«
»Und...den anderen...geht es ihnen...«, wagte es Jean kaum auszusprechen. Der Blick des Hauptgefreiten, der sonst so monoton war, schien nun ein wenig Sorge mitzuführen.
»Einigen von ihnen«, sagte er ruhiger. »Aber es haben nicht alle geschafft...«
»Fuck...«, fluchte Jean leise und ich brach zusammen. Ich fiel auf meine Knie und fing an zu weinen. Es war alles zu viel. Die Situation. Der Kampf, in den wir gedrängt wurden. Die Hilfe, die wir unsere Kameraden nicht geben konnten, weil wir uns versteckt hatten und nur an uns dachten. Meine Freunde...
Ich merkte zwei Hände. Die eine befand sich auf meiner linken und die andere auf meiner rechten Schulter. Hinter mir spürte ich die Wärme eines Körpers.
»Hey, beruhige dich«, sagte Jean leise.
»Ich soll mich beruhigen?«, schluchzte ich. »Schau dir den Scheiß doch mal an! Sie haben unsere Freunde getötet und wir haben ihnen nicht geholfen, weil wir uns versteckt haben! Hätten wir das nicht gemacht, hätten wir Leben retten können!« Jean erwiderte darauf nichts.
»Hätte hätte«, raunte der Hauptgefreite weiter. »Und hätte man uns nicht in diese grausame Welt geboren, wären wir vermutlich glücklicher gewesen. Oder auch nicht.« Der Hauptgefreite schaute ernst, aber doch mit Wehmut in die Ferne.
»Letztendlich wissen wir doch alle nicht, was passiert wäre, wäre es anders gekommen. Ihr habt euch nicht versteckt, weil ihr Angst hattet, sondern weil ihr einen Grund hattet, um nicht zu sterben.«

Die Worte von ihm lösten in mir eine seltsame Ruhe aus. Plötzlich wich meine Befangenheit ein Stück zurück. Er hatte recht. Und es erstaunte mich, wie er in so einer Situation so ruhig und gelassen denken konnte.
»Wie geht es jetzt weiter, Hauptgefeiter?!«, fragte Jean ihn, während seine Hände immer noch auf mir ruhten.
»Wir müssen dieses beschissene Loch schließen«, sagte er. »Bis jetzt kommen keine weiteren Titanen nach. Das kann sich aber jederzeit ändern.«
Plötzlich kehrte eine seltsame Ruhe ein, die dann von einem rümpelnden Geräusch gestört wurde. Die Erde bebte erneut und als hätte uns im Himmel jemand erhört, fiel ein Teil der Mauer in sich zusammen.
Völlig perplex starrten wir nun auf das Loch, welches nun von den Trümmern versperrt war.
»...nun...«, sagte der Hauptgefreite. »Anscheinend ist es jetzt doch nicht mehr unser Problem.«
»Sie sollten mal über einen Jobwechsel nachdenken. Anscheinend verfügen Sie über magische Kräfte«, versuchte ich die Situation ein wenig aufzulockern und ich wusste nicht, ob ich es mir einbildete, aber ich glaubte ein minimales Schmunzeln auf seinem Gesicht erahnen zu können, was der Hauptgefeite ruhig öfter auflegen konnte. Doch so schnell mein Eindruck erwachte, desto schneller verflog er wieder. Ernsten Blickes wandte sich der Hauptgefreite uns wieder zu.
»Geht los und sucht nach Verletzten. Gebt den Bericht an die Militärpolizei und den Sanitätern weiter.«
»Zu Befehl!«, salutierten wir und machten uns dann auf die Suche.
Wir überflogen die Gassen. Wr schauten unter Trümmern nach. Insgesamt fanden wir vier Verletzte auf. Jedoch waren die Verletzungen nicht so stark, dass sie eigenständig zum Hauptquartier zurückkehren konnten. Wir erstatten Bericht bei den zugehörigen Divisionen und begaben uns dann zurück zum Hauptgefreiten, der gerade mit Kommandant Erwin und einigen anderen des Aufklärungstrupps zusammenstand.
»Hauptgefreiter Levi? Wir haben vier Verletzte auffinden können, die nun in guten Händen sind. Der Militärpolizei und den Sanitätern haben wir Bescheid gegeben«, sagte ich.
»Gut«, war alles, was er zu sagen hatte. Kommandant Erwin war froh, dass es uns ebenfalls gut ging. Dann räusperte ich mich.
»...sind...hier alle Anwesenden auch...alle Überlebenden?« Kommandant Erwin und der Hauptgefreite musterten mich, so als hätten sie verstanden, was ich damit wissen wollte.
»Wen vermisst du denn?«, fragte der Kommandant.
»Meine Freundin Milly und ihren Bruder Milow...wir...sind zusammen gestartet, gerieten dann aber durch eine blöde Situation auseinander.«
»Meinst du diese nervtötenden Zwillinge?«, fragte mich der Hauptgefreite. Er empfand sie als nervtötend?
»Äh...ja. Woher wissen Sie...?!«
»Was?! Dass sie nervtötend und Zwillinge sind?« Ich nickte.
»A-Also eigentlich eher Zweiteres...«
»Das würde mich auch interessieren. Sie sehen sich als Zwillinge nicht wirklich ähnlich«, mischte sich die Abteilungsführerin Hanji ein.
»Mag sein. Jedoch sind sie charakterlich beide hochgradig gleich. Und außerdem tragen sie beiden denselben Nachnamen.«
»Oooh, also so habe ich das noch nicht betrachtet. Hach, unser Levi ist einfach ein Genie«, flötete die Braunhaarige.
»Ich habe die beiden losgeschickt, um ebenfalls nach Verletzten zu suchen. Sie sind also wohlauf und du kannst dich beruhigen.« Und das tat ich, indem ich laut hörbar die Luft ausstieß.

Irgendwann waren dann die Verletzten alle versorgt. Zwei unserer Kameraden hatte es das Leben gekostet, was uns alle sehr in Betrübnis stürzte. 
»Y/N...«, fing Jean dann an. »Die Sache mit Lina...«
»Y/N!!!«, unterbrach diese Situation dann eine hysterische Stimme, die ich nur allzu gut kannte. Ich fuhr direkt herum und schaute in das erfreute Gesicht von Milly, die mit geöffneten Armen auf mich zurannte und dann in meinen landete.
»Ich bin ja so froh, dass dir nichts passiert ist!« Das konnte ich nur zurückgeben. Milow und ich gaben uns eine Faust und dann huschte auch schon der Blick zu Jean.
»Du bist auch wohlauf?«, fragte Milly ihn. Jean nickte.
»Ja...scheint so...«
»Ich muss den ganzen Schock erst mal verdauen. Wir sehen uns später«, winkte Milly dann und die beiden verdufteten. Jean und ich sahen ihnen nach, bis sie aus unseren Augen verschwanden und schwiegen solange.
»Tja, dann...sollte ich wohl auch mal gehen...«, sagte er zögernd und es klang so, als würde er sich wünschen, ich würde ihn davon abhalten. Dabei wollte ich noch so viel wissen. Was das mit dieser Lina auf sich hatte. Was er für sie empfand. Ob sie seine Ansicht teilte. Wie er zu mir stand. Doch ich hatte gerade keinen Kopf dafür.
»...dass mit Lina...es-«
»Ich bin wirklicht fertig, Jean. Wir sollten jetzt beide schlafen«, unterbrach ich ihn dann. Er schluckte und nickte leicht.
»Bis bald, Jean.«
»Bis bald, Y/N.«

Jean X Reader- Always LovedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt