❞ 𝘁𝗮𝗴 𝘇𝗲𝗵𝗻 ❝

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Ich liebe Sterne. Das Weltall. Das Universum. Planeten. All das ist eines der geheimnisvollsten Dinge im Leben. Sterne sind faszinierend. Und Sternschnuppen sind mindestens genauso schön. 

Heute ist sie. Die Sternschnuppennacht. Ilayda und ich hatten uns heute Nachmittag mit ein paar Decken, Kissen und etwas zu Essen an der Bucht verkrochen. Wir wollten hier sein, wenn die Sterne vom Himmel fallen. 

Die Stunden bevor es losging hat sie mit schreiben verbracht und ich damit "Moby-Dick" zu lesen. Ich liebe Bücher. Das Gefühl in eine Welt einzutauchen, in der viele Dinge besser sind, vielleicht aber auch schlechter, ist einfach perfekt. Nur kam ich in den letzten Tage wenig dazu, ein Buch in die Hand zu nehmen. 

,,Was liest du?"

,,Moby-Dick," hatte ich geantwortet. ,,Hast du es schonmal gelesen?" 

Sie schüttelte den Kopf. ,,Ich mag Bücher nicht so gerne."

,,Wie kann man Bücher nicht mögen? Langweilen sie dich?"

Wieder schüttelte sie den Kopf. ,,Das ist es nicht..." Ilayda suchte nach den passenden Worten und blickte aufs Wasser, das durch die Dämmerung die langsam ansetzte, viel dunkler schien. ,,Bücher zeigen uns eine Welt, die...die so unreal wirkt. Sie spielen uns Geschichten vor, in der die Liebe so einfach ist, in der man mit Schmerz umgeht, als wäre er nichts, in der die Menschen Dinge können, in der sie besonders stark sind, in der es ein Happy End gibt. Aber Matthew, das Leben hat kein Happy End. Am Ende sterben wir. Wir sterben und gehen fort und werden irgendwann vergessen. Und die Menschen die uns lieben zerbrechen daran. Und du kannst sagen was du willst, aber das ist kein schönes Ende, finde ich. Ich möchte meine Zeit nicht mit sowas verschwenden. Ich möchte Leben. Ich möchte das, was uns vorgespielt wird wirklich erleben. Ich möchte es nicht lesen" 

Ich wollte ihr widersprechen. So viel sagen. Aber ich konnte es nicht. Ihre Worte ließen meine Kehle trocken werden. Sie klangen nicht nach Ilayda. Nach dem Mädchen, dass den Wellen zuhört. Es klang nach jemanden, der keine Fantasie hat. 

,,Hast du Angst vor dem Tod?"

,,Nein. Die Wellen werden mich sanft holen. Es wird sich anfühlen, als würden sie mich in den Schlaf schaukeln. Nur das ich nicht mehr aufwachen werde." 

Ich schauderte und schaute sie verwirrt an. Warum sagte sie solche Dinge? 

Jetzt liegt sie hier. Schläft. Sieht zufrieden aus. Und ich beobachte sie. Ilaydas Hände ruhen auf ihrem Bauch, sie liegt auf dem Rücken, ich seitlich. Sie atmet gleichmäßig. Ihre Lippen, die viel besser aussehen, das Gesicht und Auge, welche langsam an Farben verlieren und wieder blass werden, alles zeigt keinen Ausdruck. Und trotzdem sieht sie süß aus. 

,,Was ist dir passiert?", flüstere ich, meine Finger streichen durch ihr Haar. ,,Wer hat dir das angetan?" 

Ich beuge mich vor. Meine Lippen nur zentimeter von ihren enfernt. Küss mich nicht, Matthew, höre ich ihre Stimme in meinem Kopf. Also drücke ich meinen Mund auf ihre Schläfe. Der Geruch von Kirschen und Vanille sticht mir in die Nase. Mein neuer Lieblingsgeruch. 

Dann lege ich mich ebenfalls auf den Rücken. Beobachte den Himmel ein letztes Mal, bevor ich die Augen ebenfalls schließe. Eine letzte, sechszehnte Sternschnuppe habe ich heute Nacht gesehen. 

Ich wünsche mir, dass Ilayda glücklich wird. 

wellenschlagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt