𝑲𝑨𝑷𝑰𝑻𝑬𝑳 𝟐𝟐

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Kieran

Samira, Dylan und ich warten im Salon auf Alessa, da diese uns um ein Treffen gebeten hat, als die Salontür aufgeht und jemand eintritt. Es ist ein schlanker, sehr hochgewachsener Mann, auf dessen linker Schulter ein schwarzer Rabe sitzt und immer wieder krächzt. Seine rotglühenden Augen mustern uns drei und wieder krächzt er.
Der Mann selbst hat schwarze, lockige, lange Haare und mitternachtsblaue Augen. »Ruhig, Corvulus.« Er zieht einen Dolch aus seinem Umhang, schneidet sich in den Finger und hält ihn dem Raben hin, welcher das Blut augenblicklich mit seinem Schnabel aufleckt. »Ich bin Talion«, wendet sich der Mann an uns. »Und Corvulus ist ein enger Freund, der mir nach einem...schrecklichen Verlust bei meinen Reisen begegnet ist.« Seine Augen huschen zu Samira und er mustert sie gründlich. »Du bist groß geworden«, stellt er mit einem sanften, jedoch auch bitteren Lächeln fest und macht einen Schritt auf sie zu. »Ich hatte gehofft, dir irgendwann wieder zu begegnen.«
Samira erhebt sich, tritt auf den Mann zu, und zu Dylans und meiner Überraschung, öffnet ihr Gegenüber die Arme und die Prinzessin der Elfen ihn umarmt. »Auch ich freue mich, dich wieder zu treffen«, erwidert sie und lächelt ebenfalls.
»Lessa?«, hören wir eine Jungenstimme und Talion dreht sich um. In der noch immer offenen Tür des Salons steht ein kleiner Junge, von vielleicht zwei Jahren. Die Münder von Dylan, Samira und mir klappen herunter. Der kleine Junge hat kurzes und dunkles Haar und silbriggraue Augen. Wir blinzeln einmal, zweimal. Mein Zwillingsbruder starrt den kleinen Jungen ungläubig an und ich will in meinem Sessel zusammenbrechen, doch ich reiße mich zusammen. Denn Samira, Dylan und ich können einfach nicht glauben, dass sich unser Verdacht bestätigen könnte. Das kann nicht sein. Wenn dieser kleine Junge sein Sohn ist, dann hat er Aliva...
»Ist alles in Ordnung mit euch, Dylan, Kieran, Samira?«, fragt Talion und beugt sich zu dem kleinen Jungen hinunter, der nun anfängt zu quengeln. Er will offenbar unbedingt zu Alessa.
»Ich bin hier, mein Kleiner«, erklingt Alessa Stimme liebevoll. »Alles ist gut.« Sie kommt herein, nimmt den Jungen auf ihren Arm und gibt ihn immer wieder Küsse auf seinen Kopf, während sie ihn hin und her wiegt.
»Was ist mit euch los?«, fragt sie an ihre Nichte, Dylan und mich gewandt.
»Wer ist der Kleine?«, fragt Samira.
»Das ist Elyon«, antwortet Alessa ernst. »Seine Mutter brachte ihn voller Verzweiflung zu mir, weil sie ihn nicht mehr weiter aufziehen konnte. Sie war so ausgedörrt und hungrig, dass ich sie hier bei mir aufnahm. Wenige Tage später ist sie gestorben. Sie hat nicht viel geredet, war eine junge Elfe. Auf ihrem Sterbebett hat sie mich gebeten, mich um ihren kleinen Sohn zu kümmern.«
»Hat diese Elfe erzählt, wer der Vater von ihrem Sohn ist?«, fragt mein älterer Zwillingsbruder mit belegter Stimme.
Verwundert schaut Alessa uns an und schüttelt ihren Kopf. »Nein, sie hat überhaupt nichts über den Vater erzählt«, sagt sie. »Sie hat mir auch ihren Namen nicht verraten. Warum?«, fragt plötzlich misstrauisch. »Kennt ihr Elyons Vater etwa?«
»Weshalb wolltest du uns sehen?«, weicht Samira ihrer Tante aus.
»Ich möchte euch dreien jemanden vorstellen«, erklärt diese. »Folgt mir.«
Wir nicken und folgen Alessa aus dem Inneren des Tempels und zu einem Stall der nicht weit von ihm entfernt steht. Alivas leibliche Mutter öffnet die Tür und lässt uns vorauslaufen. Vor einer großen und breiten Box bleiben wir stehen und starren ungläubig auf das Wesen, das im Stroh liegt. Es ist ein Drache. Seine Schuppen sind blau-violett und die Augen selbst sind hellbraun.
»Das ist Lubaya«, erklärt Alessa, die neben uns getreten ist und dem Drachen nun über den geschuppten Kopf streicht. »Ich habe sie auf meiner Flucht hierher kennengelernt. Und ihr werdet sie auf eurer Reise brauchen.«
»Sie ist ein schönes Drachenmädchen«, hören wir eine Stimme hinter uns und Alessa wendet sich lächelnd um. Es ist Kennard, der hinter uns steht. Alessa zieht ihren Gemahl zu sich heran und gibt ihm einen innigen und zärtlichen Kuss auf den Mund.
»Vielen Dank, Rheo Kennard«, hören wir die Stimme des Drachenmädchens Lubaya, in unseren Köpfen.
»Habt Ihr diesen Tempel erschaffen, um Euch hier in Ravacyn nicht nur zu verstecken, sondern Euch auch hier niederzulassen?«, frage ich Alessa interessiert, während wir hinaus ins Sonnenlicht treten.
»Ja, das habe ich«, nickt diese und lächelt, während die Magische Seele sie zu sich herumwirbelt und die beiden die Arme umeinander schlingen.
»Aliva!«, keucht Dylan und deutet nach vorne. Vor uns hat sich die Mauer geöffnet, durch die auch wir hierher zu Alessa gekommen sind. Kennard und Alessa fahren auseinander und wir eilen auf die improvisierte Trage zu, auf der Aliva in ihrer Verkleidung als die tote Dienerin Alaniya liegt.
»Götter!«, keucht Samira und schlägt die Hand vor ihren Mund. Und auch ich sehe, was sie so erschreckt: Alivas ganzes Gesicht ist voll mit dunkelrotem Blut und ihr fehlt ein Arm. Dylan und Samira werden von Alessa und Irina, die schnell herbeigeilt ist, zurückgezogen. Die beiden Zwillingsschwestern beugen sich über Aliva.
»Aliva?«, fragt Irina. »Könnt Ihr mich hören?«
»Ihr?«, fragt Kennard verwirrt.
Irina wendet sich zu ihrem Schwager um. »Aliva kann es nicht leiden, wenn sie von fremden Menschen geduzt wird, die sie nicht kennt. Also merkt es euch gut, Kennard und Aleessa«, antwortet sie ruhig.
»Ich werde versuchen, Aliva zu heilen«, sagt Alessa leise.
»Darum wollten wir Euch ohnehin bitten, Rhea«, erwidert eine weibliche Stimme, die Dylan, Samira und mich herumfahren lässt.
Die Worte stammen von einer jungen Frau, die kurzes, verbranntes und dunkles Haar und saphirblaue Augen besitzt. Wir starren sie an und sie lächelt zögerlich.
»Liria?«, haucht Samira leise und ungläubig.
»Ja, ich bin es«, antwortet die junge Frau. »Doch meine Geschichte kann ein wenig Zeit in Anspruch nehmen.«

𝓖𝓮𝓱𝓮𝓲𝓶𝓷𝓲𝓼𝓿𝓸𝓵𝓵𝓮 𝓑𝓵𝓾̈𝓽𝓮 𝟑 - 𝓓𝓲𝓮 𝓢𝓽𝓪𝓭𝓽 𝓭𝓮𝓻...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt