Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie schon schweigend neben der Kleinen saß. Inzwischen ging die Sonne unter und es wurde zunehmend kälter. Susi fröstelte, weigerte sich aber standhaft, aufzustehen und ins Haus zu gehen. Also seufzte Penny resigniert, zog ihre Strickjacke aus und legte sie dem kleinen Mädchen um die Schultern. Das sollte für den Moment genügen.
Dafür erntete sie das schönste Lächeln, das Penny je gesehen hatte.
Sie schluckte schwer. Seit wann war sie denn so gefühlsduselig? Penny erkannte sich selbst kaum wieder. Oder vielleicht doch? War das der Grund, warum sie eine so starke Verbindung zu der Kleinen spürte? Weil sie selbst vor vielen Jahren in der gleichen Situation gewesen war? Völlig allein, ohne Eltern. In einem Waisenhaus mit Betreuern, die ihren Schmerz nicht verstanden.
Damals hatte ihr ein etwas älterer Junge geholfen. Er war einfach eines Tages da gewesen und hatte sich neben sie gesetzt. Zuerst hatten sie gar nicht miteinander gesprochen. Doch seine Nähe war tröstlich für die verängstigte Sechsjährige gewesen. Als er ihr dann auch noch einen Apfel geschenkt hatte, ohne zu wissen, wie gern sie das knackige Obst aß, war das Eis endgültig gebrochen gewesen. Und sie hatte ihm das erste echte Lächeln geschenkt, seit ihre Eltern vor ihren Augen verblutet waren.
Dieser Junge war zu ihrem Fels in der Brandung geworden. In Gedanken durchlebte Penny erneut, was er alles für sie getan hatte.
Wenn die anderen Kinder auf ihr herumhackten, ging er dazwischen und beschützte sie. Wenn sie aus Trauer weinte, nahm er sie in den Arm und strich tröstend über ihren Rücken. Doch am schönsten war es, wenn sie gemeinsam lachten. Er kannte die lustigsten Witze, die Penny je gehört hatte, und trug sie mit so viel Inbrunst vor, dass sie schon allein deshalb jedes Mal in Gelächter ausbrach.
Die Erinnerung daran bedeutete Penny die Welt, auch wenn sie alles, was damit zusammenhing, tief in ihrem Herzen vergraben hatte. Denn eines Tages war ihr Fels nicht mehr da gewesen. Ein reiches älteres Ehepaar hatte ihn adoptiert und Penny mit einer weiteren tiefen Wunde im Waisenhaus zurückgelassen.
Das durfte sie Susi nicht antun. Wenn sie es schaffte, sich das Vertrauen des Mädchens zu verdienen, würde sie danach nicht einfach spurlos verschwinden. Penny würde auch weiterhin für die Kleine da sein. Komme, was wolle.
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Gesten sagen mehr als tausend Worte
Short StoryKönig Drosselbart einmal anders ... Auf Social Media ist Penny eine Prinzessin, doch ihre herablassende Art sorgt Stück für Stück dafür, dass ihre Beliebtheit nachlässt. Selbst Pennys gutmütiger Marketing-Berater hat eines Tages die Nase voll und ve...