Kapitel 17

6 1 0
                                    

Als ich an der Unfallstelle eintreffe, liegt die Lagerhalle in Schutt und Asche. Viele unserer Kollegen, die an der Rettungsaktion teilgenommen haben, sind in der Explosion gestorben. Der Peilsender, den wir in einer der Taschen platziert haben, muss aufgeflogen sein, bevor die Möglichkeit bestand, die Geiseln zu retten und die Entführer zu stellen. Aus der Biografie von Belial Balarosa, dem Bandenführer, konnten wir nicht ableiten, dass er Sprengstoff in Betracht ziehen würde. Er muss gewusst haben, dass er unter Beobachtung steht, und bei der Lieferung besonders vorsichtig gewesen sein. Die anderen Täter, unter anderem Scipio Patch, der Organhändler, und Egon Da Silva, auch „Cyrus" genannt und auf Menschenhandel spezialisiert, waren zwar als hochgefährlich eingestuft worden, allerdings war auch in deren Täterprofilen eine Sprengung nicht als wahrscheinlich angesehen. Ich hoffe, die Person, die für die Erstellung der Täterprofile zuständig war, wird gefeuert, bevor ich sie in die Finger kriege. So viele Leben geopfert, so viele Familien, die ohne Väter und Mütter weiterleben müssen, nur weil ein Profiler seinen verdammten Job nicht gemacht hat. Ich muss mich zusammenreißen, ich kann mir den Verstand nicht von meiner Wut vernebeln lassen. Ich beobachte die Umgebung sehr genau und bleibe an Ort und Stelle, vielleicht liegen weitere Sprengfallen auf dem Gelände verteilt. Als Adrian, Kommandoführer des Bombenkommandos, Entwarnung gibt, schreite ich mit bestimmten Schritten auf die Halle zu. Vor dem Eingang sehe ich meine Kollegin, die sich mit einem Feuerwehrmann unterhält. „Status zur Situation?", frage ich kurz angebunden. „Sie haben eine Ladung C4-Sprengstoff gezündet." „Gibt es Überlebende?" „Können wir noch nicht sicher sagen, meine Jungs sind drinnen und versuchen, die Lage unter Kontrolle zu bringen." Bei dem ganzen Lärm ist es schwierig, zu unterscheiden, aus welcher Richtung ein Geräusch kommt, aber dass es ein menschlicher Schrei ist, habe ich sofort wahrgenommen. Ich stürze los und rufe laut: „Hallo! Wo sind Sie? Wir werden Ihnen helfen, bitte hören Sie nicht auf zu rufen!" Wir schauen uns auf dem Gelände um, nach einer Weile finde ich eine am Boden zusammengekauerte Frau mit auffälligen Verletzungen im Gesicht. Blut rinnt aus ihren Ohren, sie hat eine fortgeschrittene Blutvergiftung, und ihr Gesamtzustand ist kritisch. Ich knie mich neben sie und rufe nach den Rettungskräften. „Wie ist Ihr Name?", frage ich sie, aber sie hat ihre Augen fest verschlossen und scheint mich nicht zu verstehen. Ich wiederhole die Frage nochmal lauter. „Mein Name ist Helen Radaker.", flüstert sie kraftlos. „Wissen Sie, wo Sie sind?" Ich winke die Sanitäter in unsere Richtung. Helen öffnet die Augen und starrt mich mit einem fassungslosen Blick an, dann fängt sie an, laut zu schluchzen, und sich von mir wegzubewegen. Ich lege eine Hand auf ihren Arm, die sie abschüttelt. „Helen, Sie dürfen sich nicht bewegen, Sie haben schwere Verletzungen." „Aber... aber er... die Explosion.. Er ist tot!", schreit sie mich an. „Patch, wir übernehmen jetzt", ein Sanitäter legt mir die Hand auf die Schulter. Ich stehe langsam auf und entferne mich von ihr, um mir den Tatort nochmal anzusehen. Ich habe Scipios Akte gelesen, mir die Situation vorgestellt. Aber nichts konnte mich darauf vorbereiten, jetzt hier vor der Lagerhalle zu stehen und das Feuer zu sehen, das meinen Bruder höchstwahrscheinlich verschlungen hat.

Lord of LiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt