••Your buddy to talk to••

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Chicken Feed, 15:25

Fehlalarme kamen bei der Polizei immer wieder vor. Auch du warst es mittlerweile gewöhnt, wegen Nichtigkeiten losgeschickt zu werden. Niemand verurteilte andere dafür, wenn sie lieber einmal zu viel bei der Polizei anriefen, als einmal zu wenig. Niemand außer Hank zumindest. Es nervte ihn erst recht, wenn jemand wegen eines Androiden anrief. Er bezeichnete solche Untersuchungen auch gern als „sinnlose Spaziergänge". Wenn jedoch die Pause unmittelbar an den Einsatz angrenzte, war seine Laune nur halb so schlecht wie sonst. Und wo verbrachte der Lieutenant seine Pause am liebsten? Natürlich dort, wo er kostenlose Mahlzeiten abstauben kann: Chicken Feed. Du und Connor hattet die Ehre, ihn zu begleiten.
Das Angebot des Imbisswagens klang eigentlich gar nicht so schlecht. Warme Chicken-Sandwiches, aromatische Soßen, gekühlte Getränke und alles selbst zubereitet. Weshalb er allerdings so gut besucht war, lag vermutlich daran, dass der Besitzer - Gary Kayes - keine Androiden anstellte.
Du fragtest dich schon immer, warum Hank für sein Mittagessen nicht bezahlen musste. Als du ihn fragtest, sagte er nur, dass er Gary schon Ewigkeiten kenne und es nur ein reiner Freundschaftsdienst sei. Das klang zwar nach einen hohen Freundschaftsdienst, aber auch nicht abwegig, also glaubtest du ihm. Tatsächlich hatte er dich aber belogen. Gary arbeitete schon jahrelang ohne eine gültige Lebensmittelhygienelizenz, aber das wusste natürlich niemand, bis auf Hank. Es war für ihn nicht von großer Bedeutung. Das Essen schmeckte ihm, er musste nichts bezahlen, also drückte er ein Auge zu. Eigentlich kein gutes Merkmal eines Polizisten, aber solange es niemand erfuhr, hatte er nichts zu befürchten. Und auch an diesem Nachmittag genoss er den Luxus einer kostenlosen Mahlzeit. Er hätte dir sicherlich auch etwas arrangieren können, doch du hattest abgelehnt. Seit dem Vorfall mit Leo verzichtetest du auf Fast Food und hattest auch generell einen verminderten Appetit. Du hattest dir deine Gedanken zu seinem Verhalten gemacht. Deine tiefsten Befürchtungen versuchtest du tief in dir verschlossen zu halten.
Gemeinsam mit Connor wartetest du an einem der Stehtische, nur ein paar Meter vom Imbisswagen entfernt, bis Hank seine Bestellung entgegennehmen konnte. Der Android beobachtete Hank eine Weile, bevor er seine Augen auf dich richtete. Du spürtest seinen durchdringenden Blick auf dir. Du bildetest dir sogar ein, er hätte dich gemustert. Dein Blick war auf einen belanglosen Punkt am Boden gerichtet. Deine Gedanken kreisten den ganzen Tag um Leo, obwohl du dich eigentlich schon von ihm verabschiedet hattest. Allein beim Gedanken an den Abend begann dein Hinterkopf erneut zu schmerzen. Du warst unkonzentriert und unentspannt, was eurem Detective-Androiden nur selten entging.
»Detective? Ist alles in Ordnung?« Die übliche Frage von Connor. Er schien ununterbrochen ein Auge auf dich zu haben. Dein Blick wanderte zu Hank rüber. Er unterhielt sich mit Gary und schien nicht allzu schnell zu euch zu stoßen. Connor wiederholte seine Frage, da du zu lange still bliebst.
»Brauchen Sie etwas, Detective?« Eure Blicke trafen sich schließlich. Dieser urteilsfreie Ausdruck in seinen braunen Augen ließ dich noch einmal nachdenklich werden. Du erinnertest dich an die Betriebsfeier, als du mit Connor gesprochen hattest. Wie gut du dich danach fühltest. Wie freundlich er dir gegenüber war. Du verlorst dich abermals in deinem Gedankenchaos, was bei deinem Gegenüber natürlich nicht unbemerkt blieb, doch er bestand nicht darauf, dass du ihm antwortetest, wenn du nicht wolltest.
»Verstehe. Wenn Sie nicht mit mir sprechen wollen, werde ich Sie nicht länger stören. Bitte entschuldigen Sie.« Er verbeugte sich leicht und war gerade dabei, sich von dir abzuwenden, um sich zurück ins Auto zu setzen, als du ihn doch noch aufhieltst.
»Nein... ist schon gut, Connor.« Deine Stimme klang erschöpft und war kaum zu hören, doch für ihn war sie laut genug, dass er sich umdrehte und bei dir blieb. Er stützte seine Ellbogen auf der metallenen Tischplatte ab, verschränkte seine Finger ineinander und blickte dich wieder an.
»Was beschäftigt Sie, Detective?«, fragte Connor direkt heraus. Er fixierte dich mit seinem Blick, als würde es ihn wirklich interessieren. Dabei fragte er wahrscheinlich nur, weil er ungewöhnliche Werte bei dir feststellte. Tief in dir wünschtest du dir vielleicht doch, dass er aus echtem Interesse fragte. »Vieles, Connor. Ich fühl mich gerade echt mies, wenn ich ehrlich bin.« Aus deiner unspezifischen Antwort konnte der RK800 nicht viel entnehmen, also hakte er nach. »Möchten Sie darüber sprechen? Manchmal ist es besser, mit seinen Gedanken nicht alleine zu sein.« Bevor du mit der Wahrheit herausrücktest, stelltest du ihm eine Gegenfrage. »Ergibt es überhaupt Sinn, dir das zu erzählen? Du bist ja nicht mal eine reale Person und wurdest uns nur für einen bestimmten Zweck zur Verfügung gestellt. Ich bin mir nicht mal sicher, was du für uns überhaupt sein sollst.« Du klangst verachtender, als du es sein wolltest. Dabei warst du schlicht und ergreifend nur unsicher und emotional aufgewühlt. Du hattest Androiden gegenüber keine Abneigung. Sie lösten in dir viel mehr eine gewisse Neugierde aus. Du wolltest wissen, wozu sie fähig waren, in welchen Gebieten sie eingesetzt werden oder wie viel sie eigentlich vom Menschsein verstanden.
Die Zeit, die du nun schon mit Connor zusammenarbeitetest, gewährte dir einen groben Einblick in seine programmierte Persönlichkeit. Er reagierte stets respektvoll, höflich, empathisch oder auch hilfsbereit. Auf Aggressivität ihm gegenüber reagierte er nicht mit gleichen Mitteln, sondern blieb immer ruhig. Und auch jetzt verhielt er sich dir gegenüber einfühlsam und entgegenkommend. Dieser Umgang sollte selbstverständlich sein, aber bedauerlicherweise durftest du ihn recht selten genießen. Hank fiel es schwer, solche Fragen nicht ruppig zu stellen und Leo wollte, dass du von dir aus auf ihn zukamst, um über deine Probleme zu sprechen. Was muss schiefgelaufen sein, wenn eine Maschine liebevoller mit dir umging als ein Mensch?
»Ich bin für Sie was immer Sie möchten. Ihr Arbeitskollege, jemand Vertrautes, der Ihnen zuhört oder nur eine Maschine, die ihren Zweck erfüllt. Es ist Ihre Entscheidung, was Sie in mir sehen.« Der Android hob seine Mundwinkel leicht an, was wohl ein Lächeln darstellen sollte. Du wusstest nicht, was sich Connors Entwickler dabei gedacht haben, aber ein bisschen mehr Mühe hätten sie dort schon reinstecken können. Du spürtest, wie dein Gesicht allmählich wärmer und deine Sicht verschwommener wurde. Nochmals drehtest du den Kopf in Hanks Richtung, nur um wirklich sicherzugehen, dass er weit genug von euch entfernt war. Als du zurück in Connors Augen blicktest, rollten die ersten Tränen über deine Wangen. Du fühltest dich ertappt, verletzlich und unprofessionell, doch Connor dachte nichts von alldem. Er reichte dir eine Serviette aus dem Spender auf dem Tisch und blieb bei dir. Dankend nahmst du sie an. Eure Finger berührten sich einen Moment lang und du spürtest ihre Wärme. Auch wenn es nur eine kurze Berührung war, umhüllte dich diese Wärme und stoppte deinen Tränenfluss auf einen Schlag. Jemand Vertrautes, der dir zuhören würde... Genau so jemanden brauchtest du gerade. Du trocknetest deine Wangen mit der Serviette und begannst mit ruhiger Stimme von besagtem Abend zu erzählen.
»Ich war neulich bei einem Freund von mir, den ich wegen eines Streites lange nicht mehr gesehen habe. Wir haben uns getroffen, um uns wieder zu vertragen. Es lief alles gut, bis er später am Abend wieder komplett ausgerastet ist. Er hat mich angeschrien, mich weggestoßen und sich nicht einmal entschuldigt. Ich kenne ihn so überhaupt nicht. Dann sagte ich noch, ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben, aber irgendwie fühle ich mich so unfassbar schuldig, dass ich ihn allein gelassen habe und weiß nicht, was ich machen soll.« Die Worte flossen aus dir heraus und du spürtest wieder diese riesengroße Erleichterung, als hätte jemand deine Sorgen fortgespült. Connor verarbeitete deine Daten - das sahst du an der gelben LED - bevor er zu einer analytischen Antwort ansetzte.
»Sie sagten, er sei wieder ausgerastet. Diese Aggressivität kommt also häufiger vor?«
»Naja, als wir uns das damals gestritten haben, war er auch ziemlich wütend, aber noch nicht so extrem wie dieses Mal.«
»Was ist vor seinem gestrigen Ausraster passiert?«, wollte er wissen.
»Vor dem ersten Mal hat er bei einem Spiel gegen mich verloren, weil er einfach Pech hatte und vor dem zweiten Mal habe ich gemerkt, dass er mich anlügt und ihn damit konfrontiert.«
»Hat er vor Ihrem Treffen Alkohol getrunken?«
»Nein, ich konnte nichts riechen. Ich glaube sogar, er hat sich ernsthaft auf unser Wiedersehen vorbereitet, aber irgendwas lief nicht nach Plan.«
Er schwieg für einen Moment, bevor er dir auf halbwegs emotionaler Ebene begegnete.
»Ich denke nicht, dass Sie etwas falsch gemacht haben, Detective. Sich aus der Situation zu entfernen, war richtig. Ich kenne Ihren Freund nicht, aber anhand der Informationen scheint er unvorhersehbar zu handeln und starke Stimmungsschwankungen zu haben. Wissen Sie, ob er kürzlich eine einschneidende Erfahrung durchleben musste?« Du überlegtest für einen Augenblick.
»Seine Freundin hat sich irgendwann in den letztens sechs Monaten von ihm getrennt. Er hat den Grund nur einmal erwähnt, als wir kurz darüber gesprochen haben. Vielleicht belastet ihn das noch, aber er hat nichts dergleichen angedeutet.«
»Was nicht bedeutet, dass es nicht so ist. Möglicherweise versucht er, eine Fassade aufrechtzuerhalten, um nicht schwach zu wirken.«
»Kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Ich kenne ihn seit der Schulzeit. Er war zwar schon immer ein bisschen arrogant, aber er hat sich mit 15 bei mir ausgeheult, weil ihm das Herz gebrochen wurde. Wenn er vermeiden wollte, dass ich diese Seite an ihm zu Gesicht bekomme, hätte er sich doch nicht so verhalten, oder?«
»Diese Ansicht kann sich durchaus erst später entwickeln. Vielleicht verheimlicht er Ihnen etwas. Haben Sie das schon in Betracht gezogen?«
»Definitiv tut er das. Ich würde gerne noch einmal mit ihm reden, aber erst mal möchte ich das Ganze ruhen lassen.«
Connor nickte verständnisvoll. »Das würde ich Ihnen auch raten. Bitte machen Sie sich keinen unnötigen Stress.« Ein Lächeln bildete sich auf deinen Lippen. In deiner Magengegend kribbelte es sanft, doch du ignoriertest dieses Gefühl vorerst.
»Danke, Connor. Ich glaube nicht, dass es für dich selbstverständlich ist, den Therapeuten zu spielen, aber ich will, dass du weißt, dass es mir viel bedeutet.«
Connors LED leuchtete für einige Sekunden erneut gelb auf. Du dachtest dir zunächst nichts dabei, doch deine ehrlichen Worte lösten etwas Unnatürliches im Androiden aus.

machine to lover || Connor x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt