𝘛𝘞𝘖, tanz für mich

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( noah ) wer die freiheit liebt, liebt die einsamkeit
.・。.・゜.・゜・。.

Das erste was ich bemerkte, als ich mein Zimmer betrat, war der seltsame Geruch. Eine Mischung aus Zitrone und Ei hing in der Luft, drohte sich in den Vorhängen festzusetzen und sich von dort aus in alle Textilien des Raumes zu verbreiten. Woher der Gestank kam, konnte ich leider nicht genau sagen. Zwar standen mehrere nicht aufgewaschene Töpfe im Waschbecken der Küche, aber keiner von ihnen roch auch nur ansatzweise so eklig.

     Das Mädchen, mit dem ich die kleine Wohnung teilte, war nicht da. An der Tür meines Schlafzimmers hatte ein kurzer Brief gehangen, in welchem sie mir gesagt hatte wo sich der Staubsauger befand und, dass sie mich aus dem Zimmer werfen würde, sollte sich herausstellen, dass ich das Zeichen Löwe in meinen „big three" hatte. Was auch immer sie damit meinte.

     Ich versuchte den Geruch und die Drohung der Obdachlosigkeit auszublenden und brachte notdürftig mein Gepäck nach oben. Das Zimmer befand sich im siebten Stock, ganz oben, und damit leider auf einer Höhe mit einem der Studentenclubs, die normalerweise bis tief in die Nacht tanzten und sangen. Das wusste ich nur, weil sie es präventiv mit einem dicken Mittelfinger an ihre Eingangstür geschrieben hatten, mit dem Zugeständnis, das Bewohner des Ganges einmal im Monat ein kostenloses Getränk erhalten würden. Nicht gerade genug, wie ich fand, aber dafür gab es Kopfhörer. Wenn ich etwas aus meiner Zeit am Einstein gelernt hatte, dann war es, nervige Mitbewohner zu ignorieren. Und anders als bei Joel befanden sich hier mindestens drei Wände zwischen der Quelle des Lärms und mir.

     Ich musste aber zugeben, dass Joel sich in den vergangenen zwei Jahren deutlich gebessert hatte. Das morgendliche Yoga hatte er aufgegeben, nachdem einer seiner Life-Coaches ihm gesagt hatte, dass frühe Spaziergänge mit Podcast sich viel besser eigneten, um sowohl Körper als auch Sinne zu stimulieren. Außerdem hatte er nach Colin keinen weiteren unschuldigen Informatik-Nerd finden können, der ihn und seine bescheuerten Ideen tolerierte. Im Grunde hatte er keine Wahl gehabt, aber ich war ihm trotzdem dankbar.

     Da ich nicht vor hatte meinen ersten Abend auf dem Campus in meinem stickigen Schlafzimmer zu verbringen, machte ich mich direkt wieder auf den Weg nach draußen. Obwohl die Jahreszeit sich langsam aber sicher auf den Herbst zubewegte, war es draußen noch ziemlich warm, die Sonne schien und es waren viele Menschen unterwegs. Einige von ihnen führten Hunde an der Leine, was mich Freddy vermissen ließ. Aber bei Chung war er nun wirklich besser aufgehoben als in meinem engen Campuszimmer, in dem er mit seiner empfindlichen Nase vermutlich keine Nacht überlebt hätte.

     „Hey, hast du Lust dich an der Uni für religiöse Freiheit zu engagieren?", fragte eine fremde Stimme wie aus den Nichts und ich fuhr erschrocken herum. Hinter mir stand ein Mädchen in meinem Alter, welches freundlich lächelte während sie mir einen Flyer vor die Nase hielt. Ich nahm ihn wortlos entgegen – mehr aus Überforderung als Interesse. „Ich gehöre zum BIE, Bund Inklusiver Evangelen. Wir setzen und dafür ein, dass verschiedenste Religionen auf dem Campus die Möglichkeit haben, sich frei zu entfalten. Erst letztes Semester haben wir zusammen einen Raum im Wohnheim für den sonntäglichen Gottesdienst eingerichtet und..." Als ich bemerkte, dass sie drauf und dran war mir einen Vortrag zu halten, unterbrach ich sie.

     „Tut mir leid", murmelte ich, woraufhin ihr zuvor freundliches Lächeln einem feindseligen Blick wich, „ich möchte aktuell noch keinem Club beitreten."

     Sie ließ sich davon aber nicht beirren. „Wir sind mehr als nur ein Club. Wir sind eine Initiative für die Zukunft und die Gegenwart. Wir..."

     „Ja, vielleicht später." Sie schluckte und ich konnte ihr ansehen, dass sie nach den richtigen Worten suchte, um mich doch noch zu überzeugen. Ich gab ihr mit einem entschuldigenden Lächeln den Flyer zurück. Das Mädchen sah mir ausdruckslos entgegen und warf dann einem Jungen, welcher einen Stand weiter ebenfalls Flyer verteilte, warnend entgegen. Dieser grinste nur überheblich und kam dann selbstsicher auf mich zu.

     „Du bist neu hier, oder?"

     „Ja, neu und beschäftigt. Ich habe leider gar keine Zeit", log ich notgedrungen, woraufhin er mir einen Flyer gegen die Brust drückte. Ich hatte nicht wirklich Interesse daran, an meinem ersten Tag in irgendwelche Club-Rivalitäten involviert zu werden, aber anders als das Mädchen sah er nicht so aus, als würde er versuchen, sich mir in den Weg zu stellen. Deshalb steckte ich den Flyer mit einem flüchtigen Lächeln ein und floh in die entgegengesetzte Richtung.

     „Willst du..."

     „Alter, nein, ich will keinem Club beitreten", fauchte ich in die Richtung des Mädchens, welches mich soeben von der Seite angesprochen hatte. Sie hob erschrocken aber amüsiert ihre Augenbrauen, ließ den Flyer in ihrer Hand aber nicht sinken. Bei genauerem betrachten bemerkte ich, dass es gar kein Flyer war, sondern eine Einladung. 

     „Wir veranstalten die diesjährige Einstiegsparty. Alle neuen Studierenden trinken kostenlos. Keine Sorge, du musst dafür nichts beitreten. Hier." Ich nahm ihr die Einladung ab. Diesmal freiwillig.

Ersti-Bash, 03.10.26

- Eintritt 5 Euro, für Erstis 0 Euro

- Musik aus allen Jahrzehnten und gute Getränke

- Beginn: 22:00 Uhr, Ort: Keller des Wohnheims 33

„Oh, okay", murmelte ich, „und, äh, sorry für eben." Sie winkte nur ab.

     „Du bist nicht der erste, keine Sorge. Und gehe am besten durch den Hinterhof, wenn du dich unauffällig davonschleichen willst. Nach mir kommen noch mindestens sieben weitere Stände und wenn du dachtest Marie und Erik sind penetrant, dann musst du dich aber auf etwas vorbereiten." Sie zwinkerte mir zu und nickte dann in Richtung eines Torbogens, der scheinbar in eine Art Innenhof der Wohnheime führte. Ich lächelte dankbar.

     „Alles klar. Wirst du... auch dort sein?" Ihre Augen funkelten und sie grinste leicht.

     „Vielleicht", antwortete sie verschwörerisch. „Wenn du auch kommst?" 

     Flirten war noch nie meine Stärke gewesen, vor allem nicht wenn die andere Person dabei mitmachte. Normalerweise versuchte ich vergeblich zu kommunizieren, dass ich in irgendeiner Weise Interesse an einem Gespräch oder Treffen hatte und meine Versuche landeten im Nichts. Bis jetzt. 

     „Okay. Dann sehen wir uns dort."

     „Deal." Sie drehte sich um, und griff nach einem Stift. Dann nahm sie ohne Skrupel meinen Arm und schob meinen Ärmel nach oben. „Am besten schreibst du mir heute Abend, damit es nicht zu verzweifelt wirkt."

     „Ja, das klingt einleuchtend." Ich lächelte die krumme Handynummer an, die sie auf meiner Haut hinterlassen hatte. „Soll ich mir einen Namen ausdenken?"

     „Warum nicht?" Ich legte meinen Kopf schief und streckte meinen Arm erneut aus. Sie lachte in sich hinein.

     Rosa. Das fügte sie den Zahlen noch hinzu.

     „Wie die Farbe?", fragte ich ungläubig. Sie zuckte die Schultern.

     „Ja. Hab ich mir gerade ausgedacht."

𝙁𝘼𝘿𝙀 𝙄𝙉𝙏𝙊 𝙔𝙊𝙐 ⁿᵒˡⁱⁿWo Geschichten leben. Entdecke jetzt