Helmut Lesang, kahlköpfig-kronloyaler Kommandant der königlichen Leibgarde, auch bekannt als der Spaßverderber, stand in der Tür. Gwondil III., versonnen ins Diktieren eines selbst erdachten Theaterstückes, bei dem sich die Darsteller bis auf die Knochen blamieren sollten, stöhnte unüberhörbar auf.
„Eure Majestät, die Schattenlenkerjäger sind fort!"
„Jaaa, wo sind sie denn nur? Moment..." (Der König schaute in seine Manteltasche) „... nein, da nicht."
Helmut lief rot an. Die Moralpredigt stand kurz bevor.
Gwondil III. kam ihm zuvor: „Ich hatte sie ins Sanatorium geschickt."
„Laut Artikel zwölf der vierten Reichsverfassung ist es dem König nicht gestattet, sich ohne triftigen Grund seiner Protektoren zu entledigen!"
„Oh, ich habe einen.", feixte der Angeklagte.
Helmut hob eine Braue. Vermutlich dachte er an die letzte Order vor zwei Monaten, als Gwondil III. ihn wegen entsetzlichen Gesäßjuckens ins Sanatorium entsandte, um Salbe zu holen. Als wäre die Rumfragerei nicht schon beschämend genug gewesen (er hatte sich zur Wahrung der Würde des Monarchen selbst als Gepeinigter ausgeben müssen), war der König bei seiner Rückkehr auf gar wundersame Weise genesen. Helmut war nachtragend. Wäre die Lage nicht so angespannt gewesen, hätte danach auch kein Hahn gekräht. So aber schob Gwondil III. ein wenig kleinlaut nach: „Ihr Auftrag ist Geheimsache, sie dürften jedoch in Kürze hier eintreffen. Ihr dürft Euch also beruhigen und einen Hibiskus-Tee mit erntefrischen Datteln genießen."
Formell gesehen hatte der König den Vogt von Hellunwall darüber in Kenntnis zu setzen, worüber er wieder einmal großzügig hinweggesehen hatte. Wenn Helmut das herausfand, steckte er in echten Schwierigkeiten. So mächtig der Monarch dem Volke auch erscheinen mochte, so ohnmächtig war er im Auge des Gesetzes, dessen bürokratische Mühlen ihn bei der geringsten Verfehlung einsaugen und zermahlen konnten. Und davon hatte sich Gwondil III. schon viele geleistet. Einzig und allein seine Beliebtheit beim Volk und sein Kükenstatus bei Hofe bewahrten ihn noch vor dem Hammer der Juristerei. Er hoffte, den Kommandanten einigermaßen beschwichtigt zu haben.
Stattdessen krähte dieser: „Die Lage gebietet sofortiges Handeln, Majestät. Eure Schattenlenkerjäger haben vor gut einer Stunde mit einem Trupp Soldaten das Schloss verlassen!"
„Was sagt Ihr da? Vor gut einer Stunde?"
„Vor gut einer Stunde."
„Vor gut einer Stunde?!"
„Jaaa, vor gut einer Stunde!"
„Moment mal.", brauste der junge König auf, „Ich hab sie doch heute Früh zum Sanatorium geschickt... das bedeutet..." Er erbleichte.
„Meister Yunbal. Wusstet Ihr, dass Euer Schüler mir nachstellt?"
„Nein, Prinzipalin.", antwortete Yunbal tonlos.
„Was haltet Ihr davon?", fragte die Prinzipalin.
Yunbal versuchte Emotionen und damit verbundene Erwartungen aus ihrer Stimme herauszulesen. Wie immer maskierte Siastraza alles mit einem Eispanzer gleichgültiger Strenge. Kurz überlegte er, es auf die triebhafte Neugier der Jugend abzuwälzen, doch das war zu weit hergeholt, zumal er nicht ausschließen konnte, dass sie Ruhn gleich im Anschluss ebenfalls verhörte.
„Er hat eine rege Fantasie – muss wohl etwas von Jareculs Spinnereien aufgeschnappt haben. Ich werde ihn zur Rede stellen.", erklärte der dunkelhäutige Schattenlenker daher.
Die Prinzipalin schritt langsam um ihn herum, alle vier Arme hinter dem Rücken verschränkt. „Ihr wisst bereits, womit es zusammenhängt?"
„Er hat Andeutungen gemacht, die ich bisweilen nicht ernst nahm. Ich wusste nicht, dass er so weit geht, Euch nachzuspionieren."
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Im Zirkel der Schattenlenker
FantasyEine Gestalt näherte sich durchs verschneite Unterholz, hechelnd, torkelnd, eine feine Spur aus rötlichen Klecksen hinterlassend. Sie warf einen Blick zurück, stolperte, rappelte sich auf, schleppte sich weiter. Schließlich brach sie durch die Bäume...