-24- Die Erkenntnis der Vergangenheit von Bahnhof

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Ein Auge am Himmel.

Zornig, entschlossen, hasserfüllt. Ein nimmer endender Blick, welcher nie durch einen Lidschlag unterbrochen wurde. Ein Blick, der die Seele versteinerte.

Wie lange starrt das Ding schon so auf mich herab?, fragte sich Vannick schlotternd. Im Grunde war die Antwort egal. Das Himmelsauge störte ihn gewaltig, denn es gehörte niemand anderem als dem vermaledeiten schwarzen Schattenlenker, gegen den er zuletzt gekämpft hatte. Zornbebend zerrte Vannick seinen Arm unter Nummer Vier's Leiche hervor und langte nach oben. Drückte gegen das Auge. Das Auge zerplatzte.

Vannick fluchte, wälzte die Toten von sich herunter, stemmte sich in die Höhe, rieb sich das taub gefrorene Hinterteil, hustete schleimig. Der Morgen graute bereits und die Ruinen der Kathedrale waren zu einem blind zusammengewürfelten Haufen Steine erkaltet. Armbrust und Köcher schulternd wandte sich der fettleibige Schattenlenkerjäger zum Abstieg ins Tal, hielt inne.

Verlegen wandte er sich noch einmal zur Leiche seines treuen Adjutanten, der in einer skurrilen Umarmung mit seinem Mörder das Zeitliche gesegnet hatte, um: „Danke, Nummer Vier. Dass du dein Leben geopfert hast, mein' ich. Hätteste den ollen Bolzen früher losgelassen, wär das gar nich' nötig gewesen, aber lass mer's ma'. Schlaf gut un' so."

Auf einmal wünschte er, der Kloß in seinem Hals wäre echt. Hinter dem nächsten Baumquintett machte er Elinente Enejas eingeschneite Leibeshülle aus. Aus der Ferne wirkte es, als würde sie, eingerollt wie eine Katze, schlafen. Er ließ sie schlafen.

Die Leichen im Tal waren notdürftig aufgeschichtet und verbrannt worden. Halbverwehte Spuren führten in den nahegelegenen Wald. Vannick empfand Enttäuschung und Wut. Weshalb waren die Männer einfach fortgegangen, ohne nach ihren Vorgesetzten zu sehen? Hatten Pflichtbewusstsein und Kameradschaft mit dem Sieg über den Feind plötzlich an Bedeutung verloren? Oder waren es die ganze Zeit über nichts als Luftschlösser gewesen?

Vannick beschloss, den Spuren zu folgen.

Das gibt Ärger, Jungs.


Ebenjene Jungs stapften vierzig Meilen entfernt missmutig durch den Schnee.

Einer sagte: „Wir hätten wenigstens mal nachsehen können."

Ein zweiter erwiderte: „Maaann, Hannes hat doch nachgesehen! Außerdem haben wir die halbe Nacht gewartet!"

Maaann: „Hannes war aber nicht ganz oben."

Hannes: „Na und? Wären Herrin Eneja oder der Dicke noch am Leben, wären sie irgendwann runtergekommen, oder nicht?"

Daraufhin Maaann: „Ja schon, aber..."

Wieder der Zweite: „Nichts aber! Halt jetzt die Klappe."

Ralond von Eichenborn schaltete sich ein: „Geht das auch stumm?! Ich versuche, unsere Ärsche aus der Schlinge zu ziehen!!"

Torrelius Thieck kommentierte herablassend: „Wird das denn nötig sein? Die Schattenlenkerjäger haben den Angriff ausgeheckt; wir sind lediglich Befehlen gefolgt. Uns trifft keine Verantwortung."

Ralond fuhr ihn wütend an: „Und wer soll das bezeugen?! Ohne Order vom König oder der Kommandantur stünden wir offiziell gar nicht unter dem Befehl der Schattenlenkerjäger! Wir sind Verschwörer, Hochverräter!!! Hätte wenigstens einer der beiden überlebt..."

Torrelius, an seiner Pfeife ziehend: „Und wenn schon. Absolution kann uns auch im Nachhinein erteilt werden. Bedenkt: Kommandant Lesang ist ein erklärter Feind der Schattenlenker."

Ralond grinste freudlos. „Damit würde er die Verantwortung des Anschlags mit all seinen Folgen quasi auf sich nehmen. Kommandant Lesang mag den Schattenlenkern misstrauen, aber er gilt als kronloyal und kalkulierend. Für wie realistisch haltet Ihr es, dass er für uns in die Bresche springt? Wollt Ihr das Risiko wirklich eingehen, Thieck?!"

Im Zirkel der SchattenlenkerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt