-28- Ein Abgang mit Stiel

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Stimmen. Überall Stimmen.

Was sagen sie? Sie reihen Laute aneinander, Adrian. Laute bilden Silben. Silben bilden Worte. Worte bilden Phrasen, die sich zu Sätzen erweitern.

Ich höre sie. Aber ich verstehe sie nicht. Der Sinn erschließt sich durch Verknüpfung. Du musst nachdenken, Adrian. Ohne geht es nicht.

Ich kann nicht. Es ist zu viel. Ich kann nicht mehr! Du musst.

Adrian Fintler-Asch saß am Tisch des von ihm selbst einberufenen Krisenstabes und verstand die Welt nicht mehr. Ganz plötzlich, inmitten einer Beratung zwischen Verbrechensaufklärung, Koordination der Aufräumarbeiten, Flüchtlingsfrage, Wehranlagen und Organisation der Verteidigung war in seinem Kopf etwas eingerastet, was dazu führte, dass er dem Gespräch nicht mehr folgen konnte. Es war, als würde er einzelne Blätter mit ihren farbenfrohen Spreiten, geschwungenen Rändern, verzweigten Adern und kräftigen Stielen bewundern, ohne den Baum zu sehen.

Soeben sagte die Schatzmeisterin: „Ich schlage vor, wir senden Boten nach Ockerswalde und bitten Fürst Silbertan um Unterstützung. Mit etwas Glück und Rückenwind steht er morgen Vormittag an Hellunwalls Toren."

Ebenso gut hätte die Schatzmeisterin sagen können: „Ich mag Blutwurst."

Jemand tippte ihm auf den Unterarm. „Kommandant?"

Wer?, fragte sich Adrian. Sein Blick suchte die beiden unbesetzten Stühle; einer ganz links außen, der andere direkt an der Stirnseite des Tisches. Weder Hauptmann Fondue noch der König waren erschienen. Ersteren, den Adrian vor allen anderen erwartete, hatte seit dem katastrophalen Ausgang der Operation niemand mehr erblickt. Von Gwondil III. hieß es, er habe sich in seinen Gemächern eingeschlossen.

„Kommandant Fintler-Asch? Ist Euch nicht wohl?", fragte die Schatzmeisterin sanft.

Zerstreut kratzte sich Adrian an seinen Ekzemen und verfluchte sich dabei selbst, weil es den Juckreiz nur verschlimmerte. „Es geht schon. Wie steht es denn um die Verhaftung des Baumeisters Grabensalb?"

Augenrollend sagte der sabbernde Marschall: „Diesbezüglich hat sich in den letzten... lasst mich schätzen... zehn Minuten nichts Neues ergeben."

„Er ist zur Fahndung ausgeschrieben", half die Schatzmeisterin auf die Sprünge, „aber im jetzigen Chaos wird es ihm ein Leichtes sein, unterzutauchen oder gar aus der Stadt zu verschwinden."

- „Fliehen kann er nicht – ich habe sämtliche Stadttore schließen lassen!"

„Vergesst nicht, wer dieser Mann ist. Als königlicher Baumeister dürfte er in die Pläne sämtlicher Anlagen Hellunwalls eingeweiht sein, einschließlich der für den Fall einer Belagerung angelegten, geheimen Versorgungstunnel."

„Egal!", Adrian schlug auf den Tisch, wodurch er einen Teil seiner geistigen Klarheit zurückerlangte, „Um Grabensalb kümmern wir uns zu gegebener Zeit. Jetzt haben wir Dringlicheres- was denn nun schon wieder?!"

Nach einem Klopfen, dessen Frequenz und Lautstärke jeder gebotenen Höflichkeit trotzte, flog die Tür auf und ein Knäuel aus Armen und Beinen kam durch den Türrahmen gerollt. Erschrocken sprangen die Mitglieder des Krisenstabes auf. Das Knäuel entwirrte sich und ließ drei Männer zum Vorschein kommen, von denen zwei die an der Tür postierten Wachen waren, während der dritte wie ein zerlumpter Raufbold anmutete.

Die Schatzmeisterin fand als Erste ihre Sprache wieder: „Herr Sanchez?"

Der Neuankömmling verneigte sich steif. „Endlich ein offenes Ohr! Wo finde ich den König?"

Der Marschall, dessen Gesicht wie ein frisch gemaltes Aquarell aussah, rief: „Was fällt Euch ein, hier einfach so hereinzuplatzen? Im Übrigen ist Seine Majestät gerade... wie soll ich sagen... abkömmlich."

Im Zirkel der SchattenlenkerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt