London, 1979
Drei rasche Flügelschläge, mit denen er lautlos die Luft zerteilte, brachten ihn direkt über die Köpfe seines menschlichen Gefährten und dessen Begleitungen.
Wie ein Schatten war er ihnen die gesamte Zeit gefolgt, unauffällig, aber stets bereit, einzugreifen, sollte Hilfe erforderlich sein.
Was nicht nötig gewesen war.
Sein Menschenfreund war stets wachsam, seine beiden Weggefährten ebenfalls.
Und sie hatten sie immer dabei – diese merkwürdigen Holzstäbe, die so stark vor Magie vibrierten, dass seine feinen Vogelaugen manchmal meinten, das Pulsieren als Wellen um sie herum wahrzunehmen.
Er hatte gelernt, diese Stäbe zu schätzen und zu fürchten.
Weiterhin flog er direkt über ihren Köpfen, seine Krallen waren keine Manneslänge von ihren mit Kapuzen bedeckten Häuptern entfernt. Obwohl sie alle drei von dunklen Umhängen verhüllt waren und ihre Gesichter hinter Masken verbargen, wusste er genau, welcher von den dreien sein Menschenfreund war – er hätte ihn immer und überall erkannt.
Die drei Menschen gingen mit raschen, ausgreifenden Schritten durch die Nacht. Ihre schweren Stiefel machten dumpfe Geräusche auf dem gepflasterten Boden, ihre Umhänge wehten hinter ihnen her und erinnerten durch ihre Schwärze fast an seine Schwingen, die ihn durch die Luft trugen.
Er wusste, was ihr Ziel war.
Als sie es erreichten, stieß er herab und landete auf einem Mauervorsprung.
Er beobachtete, wie die drei Menschen ihre Kapuzen zurückschlugen und die Masken abnahmen.
„Wir sind fast zu spät“, sagte der mit dem strohblonden, wilden Haar. Der, der meinte, der Anführer der drei zu sein.
„Noch pünktlich“, sagte knapp der Ruhige und fuhr sich mit der Hand durch die Locken.
Sein menschlicher Gefährte sagte nichts. Der Blick seiner stechenden Augen war fest auf das Gebäude gerichtet, das fast kinnlange, schwarze Haar war ordentlich frisiert, der Kopf stolz erhoben.
„Lasst uns reingehen“, sagte der Strohblonde.
Da sein Menschenfreund weder antwortete noch sich rührte, machte er mit einem Krächzen auf sich aufmerksam, woraufhin alle drei jungen Männer ihre Aufmerksamkeit auf ihn richteten.
„Schick das Scheißvieh weg, es bringt uns irgendwann noch in Teufels Küche“, knurrte der selbsternannte Anführer.
„Das Scheißvieh, wie du es nennst, hat uns schon oft genug den Hintern gerettet“, gab sein Mensch kühl zurück.
Trotzdem machte er eine auffordernde Handbewegung in seine Richtung, um ihm verstehen zu geben, dass er ihnen nicht ins Gebäude folgen konnte.
Gleichzeitig huschte der Blick seiner grauen Augen unauffällig hoch zu einem der linken, oberen Fenster.
Natürlich verstand der Vogel sofort.
Mit einem kräftigen Stoß hob er vom Mauerwerk ab und flatterte in die Höhe, um auf dem Fenstersims des geöffneten Fensters zu landen, welches sein Gefährte ihm zugewiesen hatte.
Im Innern konnte er eine Versammlung in schwarze Umhänge gehüllter Gestalten sehen, die an einer langen Tafel saßen.
Am Kopfende saß der Dunkle.
Er spürte, wie sich beim Anblick dieses Mannes sein Gefieder sträubte.
Einst war der Mann gutaussehend gewesen, doch verstörende, schwarzmagische Rituale hatten sein Gesicht merkwürdig verfremdet.
Der Vogel am Fenster schüttelte sich und wandte den Blick ab.
Er musste nicht lange warten, bis die drei jungen Männer den Raum betraten, sich kurz vor dem Mann am Kopfende verneigten und am Tisch Platz nahmen.
„Wie schön, da sich nun auch die Jüngsten eingefunden haben“, eröffnete der Dunkle das Gespräch. Der Vogel am Fenster konnte seine Stimme nur schwer ertragen. Irgendetwas daran klang nicht menschlich, sondern nach einer zerstörten Seele. „können wir beginnen. Berichterstattung?“
Schweigend lauschte der Dunkle einem nach dem anderen, während diese von ihren Patrouillengängen berichteten.
Schließlich kamen auch der Strohblonde, der Lockenkopf und des Vogels Gefährte an die Reihe.
„Der Orden rüstet weiterhin auf“, sagte der Strohblonde, der zwischen dem mit den Locken und dem menschlichen Freund des Vogels saß. „Die Auroren unterstützen sie, wo sie nur können. Viel konnte ich nicht herausfinden, aber dass das Ministerium den Auroren die Erlaubnis erteilt hat, die Unverzeihlichen gegen uns einzusetzen, ist ja kein Geheimnis mehr.“
„Sollen sie es ruhig versuchen“, schnaubte einer der Älteren abfällig.
„Meiner Meinung nach sollten wir schnellstmöglich dafür sorgen, dass der Leiter der magischen Strafverfolgung aus dem Weg geräumt wird“, sagte ein bulliger Umhangträger und sah dabei aufmerksam und beinahe ein wenig gehässig den jungen, strohblonden Mann an, fast so, als erwarte er von diesem eine Gefühlsregung.
Wenn dem so war, wurde er enttäuscht, denn dieser blickte nur gleichgültig und zuckte nicht einmal mit der Wimper.
„Er schickt jeden, der auch nur im Entferntesten mit uns Kontakt haben könnte, ohne Prozess nach Askaban“, ließ ein anderer verlauten. „Als würde uns das Angst machen. Er vergisst wohl, dass unsere Machtübernahme bereits vor zehn Jahren begonnen hat.“
Zustimmendes Gemurmel folgte.
„Trotzdem sollten wir achtsam sein“, meldete sich nun zum ersten Mal der schwarzhaarige Weggefährte des Vogels zu Wort. „Der Orden ist nicht zu unterschätzen.“
„Hört hört“, kam es von einem Mann mit längerem Haar am anderen Ende der Tafel. „Das frisch aus dem Ei gepellte Küken will uns warnen.“
Allgemeines, leises Gelächter folgte und die grauen Augen des jungen Mannes blitzten verärgert auf.
„Ich wollte damit nur sagen-“
„Lass gut sein“, unterbrach ihn der Dunkle, und selbst dessen Mundwinkel zuckten amüsiert. Deutlich sah der Vogel kurz Verärgerung über das Gesicht seines Freundes huschen. „Sag mir lieber: Hast du daran gedacht, mir für morgen wie abgesprochen einen Hauselfen zur Verfügung zu stellen?“
Das Gesicht des jungen Mannes glich wieder einer steinernen Maske, nichts war mehr zu sehen von der flüchtigen Gefühlsregung.
Er neigte leicht den Kopf.
„Ja, mein Lord.“
„Gut“, befand der Dunkle, ehe sein Blick über die Menge glitt und an einem hängen blieb, der den Kopf leicht gesenkt hatte und die Tischplatte anstarrte. „Dann lasst uns auf den Höhepunkt meiner Herrschaft anstoßen. Trinkt!“
Während alle gehorsam die Gläser vor sich in die Hand nahmen und der Aufforderung nachkamen, beobachtete der Dunkle weiterhin aufmerksam den Tischanstarrer, der ebenfalls an seinem Glas nippte.
„Was ist mit dir, Lincoln?“, sprach der Dunkle und der Angesprochene zuckte leicht zusammen. „So schweigsam heute?“
Der Vogel kannte diesen Mann vom Sehen, er zögerte in Kämpfen manchmal zu lange, erinnerte er sich.
„Mein Lord?“, hauchte er nun und sah auf wie eine verschreckte Maus, die man in die Enge getrieben hat.
Der Dunkle faltete die Hände wie zum Gebet und bedachte den Ängstlichen mit einem beinahe sanften Blick.
Alle Aufmerksamkeit am Tisch hatte sich ebenfalls auf den Angesprochenen gerichtet.
„Hat dir etwas die Sprache verschlagen, mein Freund?“, fragte der Dunkle und die Hand des Ängstlichen verkrampfte sich um sein Glas. „Oder hast du all deine Worte in Gesprächen mit Ministeriumsmitarbeitern verbraucht?“
Der Angesprochene wurde sichtlich blass.
„Mein Lord...“, murmelte er.
Am Tisch herrschte gespanntes Schweigen. Der Strohblonde lehnte sich gebannt vor.
„Wusstest du“, fuhr der Mann mit der seelenzerstörten Stimme wie im Plauderton fort. „dass die Liste giftiger Pflanzen weltweit unfassbar lang ist, Lincoln? Übrigens ist Gift in der Natur nichts Schlechtes. Für Pflanzen ist es ein reiner Abwehrmechanismus. Mit Gift löschen sie einfach nur das aus, was ihnen schaden würde. Und was einem schaden könnte, sollte man doch in jedem Fall eliminieren, nicht?“
Der Ängstliche zog die Hand von seinem Glas zurück, als hätte er sich daran verbrannt.
„Ich möchte noch erwähnen, dass es viele Pflanzengifte gibt, die innerhalb weniger Sekunden zum Tode führen.“
Während der Dunkle redete, sprang der als Lincoln bezeichnete so panisch auf, dass sein Stuhl lautstark umkippte.
Der Vogel trippelte unruhig auf dem Fenstersims umher.
„Bedauerlicherweise sind es häufig sehr schmerzhafte Sekunden.“
Nach dem Aufspringen stolperte der Mann hastig rückwärts, schien ihm doch nicht klar zu sein, dass er vielleicht vor den Menschen hier im Raum fliehen könnte, nicht aber vor dem, was da gerade durch seine Adern gepumpt wurde und was er selbst freiwillig getrunken hatte.
Weit kam er nicht, denn schon im nächsten Moment begann er heftig zu zittern, ehe er zusammenbrach und sich krampfhaft auf dem Boden schüttelte, während ihm gurgelnde Laute entwichen und Schaum aus seinem Mund hervorquoll.
„Hat jemand einen Bezoar zur Hand?“, fragte der Dunkle beiläufig, die Hände immer noch ruhig gefaltet. „Niemand? Nein? Schade.“
Einige am Tisch beobachteten regelrecht fasziniert, wie der am Boden Liegende immer heftiger krampfte und die Augen in den Höhlen verdrehte, während andere den Blick abwandten und nicht zu wissen schienen, wo sie hinsehen sollten.
Irgendwann nahm das Zucken ab, hörte schließlich ganz auf, und der Ängstliche rührte sich nicht mehr.
„Nun, meine Freunde“, sagte der Dunkle zufrieden. „Wir können froh über gewisse Verwandtschaftsverhältnisse sein. So erfahren wir doch immer, was im Ministerium passiert und wer dorthin die falschen Kontakte pflegt, nicht wahr?“
Mit einem leichten Lächeln sah er den Strohblonden an, dessen Mundwinkel kurz zuckten, ehe er, beinahe stolz, nickte.
Der Lockenkopf zu seiner Linken starrte immer noch die reglose Gestalt am Boden an und schluckte ein paarmal. Der Blick des Schwarzhaarigen zu seiner Rechten huschte kurz zu dem Strohblonden, als er begriff, wer für den Tod des Mannes verantwortlich war. Sein Gesichtsausdruck war dabei undeutbar.
„Und wir können froh sein, keine weiteren Verräter in unseren Reihen zu haben“, fuhr der Dunkle fort. „Es wäre doch wirklich schade, noch mehr Gift verschwenden zu müssen. Aber der Abend ist noch jung. Trinkt!“
Zum Teil wurden die Gläser nun etwas vorsichtiger an die Lippen gesetzt, aber niemand wagte es, der Aufforderung nicht nachzukommen.
Keine halbe Stunde später brachen die Versammelten auf. An dem auf dem Boden Liegenden ging man vorbei, als sei er gar nicht da.
Der Dunkle trat nah an des Vogels Gefährten heran, der den Raum ebenfalls verlassen wollte.
„Auf ein Wort“, sagte er zu diesem.
Die beiden unterschiedlichen Männer warteten, bis der Raum sich geleert hatte.
„Mein Lord?“
Abwartend sah der Schwarzhaarige den Gastgeber an.
„Sag mir, mein Freund: Dieser Elf, den du mir zur Verfügung stellst – er untersteht ausschließlich deinem Befehl?“
„Ja, mein Lord. Er ist der älteste Elf in unserer Familie. Er wurde mir kürzlich zusammen mit einigen anderen Besitztümern zu meiner Volljährigkeit geschenkt und ist nun vollkommen in meinem Besitz.“
„Gut. Und du hast niemandem davon erzählt, dass du ihn mir borgst?“
„Nein, mein Lord.“
Die beiden sahen sich kurz an und keiner von beiden blinzelte.
„In Ordnung. Du kannst gehen.“
Der schwarzhaarige junge Mann verneigte sich flüchtig und verschwand durch die Tür.
Der Vogel erhob sich in die Lüfte und kreiste kurz über dem Gelände.
Dann landete er im Geäst eines der Bäume auf dem Grundstück und beobachtete, wie die dunklen Gestalten, die das Gebäude verlassen hatten, nach und nach mit einem leisen, ploppenden Geräusch verschwanden.
Sein Menschenfreund war der letzte, der zurückblieb.
Nachdenklich blickte er auf das Haus, in dem immer noch der Dunkle verweilte.
Mit einem Krächzen holte der Vogel ihn aus seinen Gedanken.
Der junge Mann lenkte seinen Blick auf das schwarze, gefiederte Tier und hob leicht einen Arm an.
Augenblicklich erhob er sich in die Luft und landete auf dem angebotenen Arm.
Kaum, dass seine Krallen den Stoff des Umhangs berührten, fühlte er das vertraute Ziehen, ehe alles um ihn herum in einem wirbelnden Nebel verschwand.
Mit einem leisen Knall verschwanden Mann und Vogel.
Still lag das Gebäude und das umliegende Grundstück in der Dunkelheit da, gleichgültig beleuchtet von den Sternen, die es nicht kümmerte, was hier geschehen war und noch geschehen würde.
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Masks and Mirrors (Dark Dramione)
FanfictionMasken und Spiegel, Jäger und Gejagte, Schatten und Licht. Und irgendwas dazwischen. Manchmal gibt es einen grauen Übergang zwischen Freund und Feind. Klar ist: Traue niemandem! - Dark Tale - Dramione, irgendwie