Eine andere Welt

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Draco schreckte aus dem Schlaf auf.
Es war früher Morgen, trotzdem war er vollkommen gerädert, denn er hatte schätzungsweise nur drei Stunden geschlafen.
Es hatte nicht viel gefehlt und man hätte ihn tags zuvor gewaltsam aus der Krankenstation entfernen müssen.
Er hatte einige nicht sehr respektvolle Dinge zu Pomfrey gesagt, weil sie sich weigerte, ihn und Black zu Hermine zu lassen. Aber es hatte nichts genutzt und schließlich hatte er eingesehen, dass er der Heilerin vertrauen musste und Ruhe gerade das war, was Hermine am meisten half.
Draco hatte regelrecht fühlen können, wie sein Magen sich umdrehte, als er hörte, dass Hermine vom Sectumsempra getroffen worden war. Umso erleichterter war er gewesen, als man ihm sagte, dass sie vollkommen geheilt werden konnte und nicht einmal Narben zurückbleiben würden, anders als bei ihm selbst und Theo. Sie beide waren nun für den Rest ihres Lebens mit feinen, weißen Narben über den gesamten Oberkörper gezeichnet.
Bis zum späten Abend war er immer wieder auf der Krankenstation erschienen, manchmal mit Black zusammen, manchmal hatten sie sich abgewechselt. Und manchmal hatte er einen von ihren Freunden zufällig dort getroffen, die aber genauso abgewiesen wurden und nicht zu ihr durften.
Irgendwann hatte er aufgegeben und war ewig wach in seinem Zimmer gewesen. Er hatte seinen Stab nicht abgelegt, in der Hoffnung, dass er so mitbekommen würde, wie es ihr ging und wann sie wach wurde, aber er fühlte nichts über die Stäbe. Was bedeutete, dass sie entweder immer noch schlief oder ihren Stab nicht bei sich trug.
Irgendwann war er zu Bett gegangen, hatte sich aber nur, unruhig vor Sorge, hin- und hergewälzt. Erst in den Morgenstunden war er eingeschlafen.
Seinen Stab hatte er dabei unter seinem Kopfkissen drappiert, und dieser hatte ihn nun geweckt - denn Hermine näherte sich offensichtlich.
Wie Draco gehofft hatte, zeigte der Zauberstab ihm an, dass sie wach war und ihren Stab bei sich trug, und eindeutig kam sie seinem Zimmer immer näher.
Rasch stand er auf und beeilte sich, seine Sachen überzuziehen.
Kaum, dass er damit fertig war, klopfte es auch schon an seiner Tür.
Er fühlte, sie war aufgebracht. Irgendetwas wühlte sie auf und machte ihr Sorgen.
Draco riss die Tür auf.
Da stand sie.
Sie war blass und wirkte müde, aber sie lebte, sie war offensichtlich gesund, sie konnte eigenständig gehen und war eindeutig geheilt. Das war alles, was zählte.
„Granger", sagte er.
Mehr nicht.
Er konnte sie nur anstarren wie eine Erscheinung.
Erst jetzt wurde ihm klar, was es mit ihm gemacht hätte, hätte er sie verloren.
„Ich... kann ich reinkommen?"
Draco wurde bewusst, dass es unhöflich war, sie einfach vor der Tür stehen zu lassen und anzustarren.
Er wünschte sich in diesem Moment nichts mehr, als dass es ihm leichter fallen würde, seine Gefühle irgendwie in Worte zu fassen.
„Bei Salazar, natürlich!", entfuhr es ihm.
Er machte ihr Platz, ließ sie in sein Zimmer treten, und kaum, dass er die Tür geschlossen hatte, trat er zu ihr und sah ihr aufmerksam ins Gesicht.
Sie sah nicht gut aus, absolut nicht.
Und wenn er schon nicht mit Worten ausdrücken konnte, was er empfand, so wollte er es zumindest mit Gesten versuchen.
Draco trat nah an sie heran, hob die Hand und strich ihr liebevoll eine Locke aus dem Gesicht.
„Granger, du siehst nicht gut aus. Hat Pomfrey dir keine Stärkungstränke gegeben? Verflucht, sie ist Heilerin, sie sollte so etwas wissen! Und an einen blutbildenden Trank hat sie hoffentlich gedacht? Ich-"
„Draco", unterbrach sie ihn, und er liebte es, wie sie seinen Namen aussprach.
Er hätte ihn immer wieder aus ihrem Mund hören können, wieder und wieder, und es wäre ihm auch nach dem hundersten Male noch wie Musik in seinen Ohren vorgekommen.
„Es ist alles gut, was das angeht. Poppy hat wie immer sehr gute Arbeit geleistet. Sie hat mich wunderbar geheilt."
„Gut", sagte Draco zufrieden. Und dann ergänzte er nach einem kurzen Zögern: „Ich bin wirklich unfassbar froh, dass es dir gut geht."
Kurz schienen ihre Augen zu strahlen.
Sie freute sich über seine Worte, und er konnte daraufhin nicht anders, als ihr erneut sanft eine Strähne aus der Stirn zu streichen.
Hermine wurde wieder ernst und das Strahlen in ihren Augen schien zu ersterben.
Mit einem raschen Blick fiel ihm so viel auf: Sie wirkte müde und traurig, sie hatte eindeutig Kummer, ihre Lippen wirkten spröde.
„Granger, was ist passiert?", fragte er eindringlich. „Hat dir jemand noch etwas anderes angetan? Du musst es mir sagen!"
Ihr Blick flackerte.
Draco war sofort klar: Er hatte Recht.
„Wer hat dir etwas angetan?", knurrte er.
Sie schüttelte leicht den Kopf.
„Es ist etwas anderes, was mir Kummer bereitet. Und ich möchte gerne mit dir darüber reden."
„Ok", bestätigte er sofort.
Draco konnte nicht umhin, sich irgendwie zu freuen, dass sie offensichtlich mit einem Problem zu ihm kam.
„Setz dich", bat er sie, aber sie schüttelte den Kopf.
„Ich bin zu unruhig, ich möchte bitte stehen", erklärte sie.
Er zuckte flüchtig mit den Schultern.
„In Ordnung, dann leg mal los."
Im nächsten Moment durchfuhr ihn die Vermutung siedend heiß.
Draco machte sich Sorgen, weil es ihr offensichtlich nicht gut ging, aber grundsätzlich war er bis eben noch ruhig gewesen.
Nun kam ihm mit einem abrupten Schreck der Gedanke, dass sie ihm mitteilen wollte, dass sie sich für Black entschieden hatte.
War es das?
Hätte er ihr seine Gefühle doch gleich beichten sollen, bevor er mit Black zu diesem Erkundungsflug aufgebrochen war? Hatte er einfach zu lange gewartet?
Wenn es so war, war er selber Schuld. Theo und Blaise hatten Recht gehabt. Er hatte einfach zu lange gezögert, er war zu ängstlich und verbohrt gewesen.
In diesem Moment wurde ihm klar: Er würde ihre Entscheidung akzeptieren müssen, aber er würde für immer bereuen, so ein Beziehungskrüppel zu sein und nicht eher zu seinen Gefühlen gestanden zu haben.
Er wusste plötzlich: Auch, wenn er es sich früher nie hätte vorstellen können, auch wenn er zu Schulzeiten die Mädchen, mit denen er zusammen gewesen war, bewacht hatte als wären sie sein Eigentum - es war ihm plötzlich lieber, Hermine würde sich gar nicht entscheiden als gegen ihn. Er konnte eher akzeptieren, sie nicht für sich alleine zu haben als ganz zu verlieren.
Er wollte, dass sie glücklich war. Und sie zu zwingen, eine Entscheidung zu treffen, würde sie unglücklich machen.
Rasch konzentrierte er sich auf die Stäbe und versuchte herauszufinden, ob er Recht haben könnte.
Aber alles, was er fühlte, war ihre Unruhe, ihre Angst und eine gewisse Verzweiflung.
„Hör zu", begann sie. „Ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen. Ich habe zwar noch keine Ahnung, wie es weitergehen wird und welche Entscheidung ich treffen werde, aber ich finde es fair und wichtig, dass ich dich informiere. Regulus weiß schon bescheid. Ich wollte es eigentlich euch beiden in ein paar Tagen, wenn ich mich etwas beruhigt habe, zeitgleich sagen, aber jetzt ist es leider so gekommen... Regulus weiß es aber auch erst seit gestern Abend."
Ihre Worte ergaben keinen Sinn für ihn. Draco hatte keine Idee, was sie meinen könnte. Nach wie vor fragte er sich, ob sie mit ihm und Black über diese merkwürdige Dreiecksbeziehung, die sie eingegangen waren, reden wollte.
Hatte sie tatsächlich eine Entscheidung für einen von ihnen getroffen?
Oder hatte sie beschlossen, sie beide nicht in ihrem Leben haben zu wollen?
Hermine holte tief Luft.
„Draco... Es ist etwas passiert. Es hat mir ziemlich den Boden unter den Füßen weggezogen. Im Moment fühle ich mich immer noch wie in einem merkwürdigen, beängstigenden Traum gefangen und wie gesagt - ich weiß noch nicht, wie es weitergehen wird."
„Granger, ernsthaft, du redest komplett in Rätseln. Könntest du bitte konkreter werden?"
Draco versuchte, nicht zu ungeduldig oder gar unfreundlich zu klingen, aber die Wahrheit war: Seine Nerven waren bereits zum Zerreißen gespannt, weil sein Hirn hundert Vermutungen zusammenreimte, was sie meinen könnte.
Hermine schluckte und wich seinem Blick kurz aus, ehe sie ihm, eindeutig mühsam, wieder in die Augen sah.
„Ich bin schwanger, Draco."
Verrückterweise nahm sein Kopf die Information im ersten Moment mit Erleichterung auf - sie hatte nicht gesagt, dass sie sich gegen ihn entschieden hatte.
Und dann überrollte ihn die wahre Bedeutung mit der Kraft des Hogwarts Expresses.
Er stolperte regelrecht zwei Schritte rückwärts, bis er mit voller Wucht gegen die kleine Kommode in der Nähe seines Bettes stieß.
Seine Hände, nein, sein ganzer Körper schien sich von jetzt auf gleich vollkommen taub anzufühlen.
Es konnte nicht wahr sein. Es durfte nicht wahr sein.
Und in der nächsten Sekunde, noch während er sie mit weit aufgerissenen Augen ansah, traf ihn die nächste Erkenntnis mit der Wucht eines Klatschers.
„Von... von wem?"
Draco begriff erst nach ein paar Sekunden, dass die Worte ihm entwichen waren,
Sie schluckte schwer.
Deutlich sah er, wie sich Tränen in ihren Augen bildeten.
„Ich weiß es nicht", wisperte sie.
Er spürte deutlich, wie seine Atmung sich beschleunigte. Sein Herz raste, als wäre er gerade stundenlang gerannt.
„Es könnte sein, dass es von mir ist."
Auch dieser Satz machte sich vollkommen selbstständig auf den Weg aus seinem Kopf auf seine Zunge.
Es war keine Frage gewesen, trotzdem sagte sie: „Ja."
Dracos Gedanken überschlugen sich.
Tausend Dinge gingen ihm gleichzeitig durch den Kopf, aber hauptsächlich ließ er den Abend mit Hermine Revue passieren.
Nein, er hatte nichts vergessen. Er hatte den Zauber gesprochen.
Und im selben Moment kamen ihm Zweifel.
Hatte er ihn deutlich gesprochen? Hatte er keine Silbe verschluckt?
Er war sehr sicher, was Verhütungszauber anging, er hatte sie bereits vor seinem ersten Mal gründlich geübt und dann etliche Male benutzt, wenn es dann tatsächlich ernst wurde. Aber dieses Mal, bei Hermine... Er erinnerte sich, dass er ihn schnell, atemlos und hastig gesprochen hatte. Denn er hatte sie gewollt, so sehr gewollt. Es war ihm nicht schnell genug gegangen. Trotzdem hätte er schwören können, dass er gründlich genug gewesen war.

Masks and Mirrors (Dark Dramione) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt