Ruckartig hob und senkte sich seine Brust, während er mit weit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit starrte.
Ein Albtraum, sagte er sich immer wieder. Es war nur ein Albtraum.
Trotzdem richtete er sich ruckartig auf und fummelte ungeduldig an der Muggellampe auf seinem Nachttisch herum, bis er den Knopf gefunden hatte, um sie anzuschalten.
Batterien, hatte George Weasley ihm erklärt. Das, was sie hier an Muggelgeräten nutzten, funktionierte mit Batterien, was immer genau das auch war. Gesehen hatte Draco diese mysteriösen Batterien schon. Scheinbar waren sie mit irgendeiner Energie gefüllt, die Magie ersetzte und somit Geräten Leben einhauchte. Strom wäre einfacher, hatte Weasley gesagt, Strom aus der Steckdose in den Wänden. Aber das müsste man irgendwie in der Muggelwelt anmelden, und dadurch würden sie auf sich aufmerksam machen. Mit Wasser war es wohl das gleiche. Daher hatten die Ordensmitglieder scheinbar einen naheliegenden Fluss magisch angezapft, so dass das Wasser ebenfalls magisch gereinigt wurde und in die Leitungen gelang.
Es war nicht wirklich interessant für Draco gewesen.
Es hatte ihn nur wieder daran erinnert, dass er fast gänzlich ohne Magie auskommen musste, und das nervte ihn.
Besonders seit gestern.
Er hatte es genau gespürt. Sein Stab – und vermutlich auch der von Theo und Blaise – wurde in dem Raum aufbewahrt, in dem Potter und die anderen ihnen von ihrem irrwitzigen Plan erzählt hatten.
Sein Herz verkrampfte sich regelrecht vor Sehnsucht danach, Magie endlich wieder vollkommen selbstverständlich einzusetzen.
Ihr könnt euch in der Muggelwelt verstecken und als Muggel leben, hatte Granger gesagt. Die Vorstellung machte ihn ganz krank.
Aber gerade hatte er andere Sorgen.
Draco sah an sich herab, an seinem Körper, der bis auf die enganliegende Boxershorts nackt war, da er es hasste, beim Schlafen irgendwelchen Stoff am Körper zu haben.
Sein Blick glitt über seinen Oberkörper, der von Narben übersät war – aus der Schulzeit, von Potters Sectumsempra, aber auch neue, durch Kämpfe mit dem Orden entstanden – und blieb schließlich an seinen Armen hängen.
Das Dunkle Mal wirkte wie immer plastisch und hob sich tiefschwarz von seiner hellen Haut ab. Ein Schaudern durchfuhr ihn, wie immer, wenn er es intensiver betrachtete, was er für gewöhnlich vermied.
Dann sah er auf seinen rechten Arm, der seit ein paar Tagen keinen Verband mehr benötigte. Pomfreys Heiltränke und Heilzauber, die sie immer wieder genutzt hatte, um das Brandmal zu behandeln, hatten ganze Arbeit geleistet. Die Heilsalbe, die seine Mutter beim täglichen Verbandswechsel aufgetragen hatte, hatte ihr übriges dazu getan.
Trotzdem würden die Buchstaben nun für immer auf seiner Haut leuchten – groß und feuerrot.
Blutsverräter.
In seinem Traum hatte er die Prozedur noch einmal durchlebt, so real, dass er sogar das Gefühl gehabt hatte, den Geruch von verbranntem Fleisch in der Nase zu haben.
Klar war, er würde vorerst nicht mehr schlafen können.
Er warf einen raschen Blick auf die kleine Uhr, die George Weasley ihm netterweise gegeben hatte und die, leise tickend, neben der Lampe auf dem Nachttisch stand.
Kurz nach eins, mitten in der Nacht.
Er brauchte nur Sekunden, um sich anzuziehen.
Eigentlich glaubte er, dass er einfach das Bedürfnis hatte, ein wenig über das Gelände zu stromern, bis er wieder müde wurde, aber seine Schritte lenkten ihn automatisch zu dem Gebäude, in dem gestern dieses hirnverbrannte Gespräch über den Zeitumkehrer stattgefunden hatte.
Draco war sich hundertprozentig sicher, dass die Tür verschlossen sein würde.
Sie war es nicht.
Einen Augenblick erstarrte er, die Klinke der nur leicht geöffneten Tür in der Hand.
Das Bedürfnis, in die Nähe seines Stabes zu gehen, war nahezu übermächtig. Er hatte ihn gerufen, gestern, während des ganzen Gesprächs mit dem Orden, und nur die Tatsache, dass er über viele Jahre so an seiner Selbstbeherrschung gearbeitet hatte, hatte dazu geführt, dass er sich nichts hatte anmerken lassen.
Draco war sich sicher, dass die Stäbe seiner Freunde im gleichen Raum waren und es ihnen ähnlich ergangen sein musste.
Ja, er sehnte sich nach dem vertrauten Wispern seines Zauberstabes, wenn dieser an seinem Gürtel hing.
Niemand hatte ihm verboten, dieses Gebäude zu betreten, also warum sollte er es nicht tun? Vermutlich war der Raum sowieso abgeschlossen und wenn nicht, würde er einfach einen Moment genießen, in der Nähe seines Stabes zu sein und dabei die Zeitungsartikel lesen, die an eine Pinnwand geheftet worden waren. Sie hatte bereits tags zuvor seine Aufmerksamkeit erregt.
Leise schlich er durch den dunklen Gang, absolut sicher, dass er sich Ärger einhandeln würde, wenn ihn jemand überraschte, und trotzdem wie innerlich getrieben.
Als er sich dem Besprechungsraum näherte, wurde ihm klar, warum die Tür nicht verschlossen gewesen war.
Die Tür zum Raum stand offen und Licht fiel auf den dunklen Flur.
Jemand war im Besprechungsraum.
Mitten in der Nacht.
Und offensichtlich alleine, denn Draco hörte keine Stimmen.
Klar war, er würde seinen Plan nicht umsetzen können.
Klar war aber auch, dass er zumindest wissen wollte, wer sich da nachts um diese Uhrzeit immer noch in dem Raum herumtrieb.
Draco schlich durch den stillen Gang. Immer noch war aus dem Raum nichts zu hören, die Person war also offensichtlich tatsächlich alleine.
An der geöffneten Tür angekommen lugte er vorsichtig um die Ecke.
Seine Vorsicht war unbegründet, denn die Person, die sich alleine im Besprechungsraum aufhielt, stand mit dem Rücken zur Tür am Tisch und war offensichtlich in irgendetwas versunken.
Ein Buch, vermutete Draco, denn die Person war niemand anders als Hermine Granger.
Schon immer neigte Draco dazu, viele Details auf einem Blick wahrzunehmen, und seine Ausbildung zum Hunter hatte dies noch verstärkt.
So war es jetzt auch bei Granger.
Er war sich hundertprozentig sicher, dass auch sie nicht hatte schlafen können, denn sie trug irgendwelche lächerlichen Sandalen, in denen sie barfuß war, sowie eine weite Jogginghose und ein Trägertop. Offensichtlich alles Klamotten, die sie schnell übergeworfen hatte, nachdem sie es, genau wie Draco, nicht mehr im Bett ausgehalten hatte. Das Haar fiel ihr noch wirrer als sonst offen über die Schultern.
Er würde den Rückzug antreten. Sie hatte ihn nicht bemerkt und das sollte selbstverständlich auch so bleiben.
Gerade, als er sich aus seiner stillen Haltung lösen und zurück zu seinem Zimmer schleichen wollte, verlagerte Granger ihr Gewicht auf einen Fuß und lehnte sich leicht zur Seite. Und dadurch bekam Draco Sicht auf das, was sie in den Händen hielt und aufmerksam betrachtete.
Es war verdammt noch mal kein Buch.
Draco fühlte den Zorn heiß in sich hochkochen und es trat ein sehr seltener Fall ein, denn normalerweise behielt er stets einen kühlen Kopf.
Nun ging sein Temperament von jetzt auf gleich mit ihm durch.
„Was zur Hölle machst du da?“
Er hatte es noch lauter gesagt, als er beabsichtigt hatte, und war mit einem raschen Schritt im Raum.
Granger fuhr zu ihm herum, behielt dabei aber in der Hand, was sie betrachtet hatte.
Dracos Zauberstab.
Mit raschen Schritten stürmte er auf sie zu.
Granger schien vollkommen perplex und erwachte erst zum Leben, als er sie erreicht hatte.
Sie machte einen halben Schritt rückwärts, stieß mit ihrem Hintern gegen den Tisch und hob erschrocken beide Hände, wie um ihn abzuwehren.
Ihre freie Hand schoss vor, als er sich dicht zu ihr beugte, um ihr den Stab zu entwenden, und statt nach seinem Stab zu greifen, packte er blitzschnell ihr Handgelenk, da sie offensichtlich versuchen wollte, nach ihm zu schlagen.
Sie keuchte auf, so fest drückte er zu.
„Leg ihn weg“, knurrte er leise, sein Gesicht nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt.
Überdeutlich konnte er seinen Stab spüren – ein freudiges Pulsieren, da er seine Gegenwart wahrnahm.
„Bist du wahnsinnig?“, entfuhr es Granger. „Was-“
Er verstärkte den Druck auf ihr Handgelenk und ließ sie damit schmerzvoll aufstöhnen.
„Wie kannst du es wagen, ihn anzufassen?“, fuhr er sie an und erst da schien sie zu begreifen, was er meinte.
Er brodelte vor Zorn.
Grundsätzlich war es in seinen Kreisen eine immense Grenzüberschreitung, unerlaubt den Zauberstab eines anderen mit der bloßen Hand zu berühren, aber in diesem Moment kochte noch etwas anderes in ihm hoch, was so tief in ihm verwurzelt war, dass es einfach die Kontrolle über ihn übernommen hatte.
Granger führte ihre Hand mit dem Stab hinter sich, und klappernd fiel er auf den Tisch, wo er ein Stück weiterrollte, ehe er zum Liegen kam.
Dann wollte ihre Hand über den Tisch gleiten, und erst da begriff er, dass ihr Stab ebenfalls auf dem Tisch lag und sie danach greifen wollte.
Während er immer noch ihr Hangelenk fixierte, schoss seine andere Hand instinktiv vor, knallte auf ihre Hand, was sie aufquieken ließ, und fixierte sie gewaltsam auf dem Tisch.
„Fass nie wieder meinen Stab an, hast du mich verstanden?“, knurrte er.
Der Gedanke war in seinem Kopf, und er hatte einfach keine Kontrolle darüber: Ein Schlammblut hatte es gewagt, seinen Zauberstab zu berühren.
„Was ist in dich gefahren?“, fauchte sie und versuchte, Hand und Handgelenk zu befreien, woraufhin er seinen Griff noch mehr verstärkte. „Lass mich los!“
„Hast du mich verstanden, habe ich gefragt!“, grollte er zornig. „Niemand fasst unerlaubt meinen Zauberstab an, erst recht kein-“
Er brach ab.
„Oh, sprich ruhig weiter, Malfoy“, zischte Granger. „Nur keine falsche Scheu. Es wäre nicht das erste Mal, dass du mich so nennst.“
Die Worte holten ihn in die Realität zurück.
Es war, als würde sein Blick sich klären. Und ja, vermutlich war er tatsächlich vor Zorn getrübt gewesen.
Er nahm erst jetzt wirklich wahr, wie nah er ihr war. Ihre Körper trennten nur wenige Zentimeter. Sie sah zu ihm auf, der Blick ihrer dunkelbraunen Augen voller Wut. Aber er sah auch etwas anderes darin. Angst.
Ihre Brust hob und senkte sich schnell, und durch ihr vorheriges Zappeln fiel ihr Haar wirr in ihr Gesicht.
Sie wirkte kampfbereit, aber gleichzeitig war da eine nüchterne Erkenntnis in ihrem Blick: Das Wissen, dass sie ihm gerade vollkommen ausgeliefert war.
Er lockerte leicht seinen Griff, woraufhin ihr Blick überrascht flackerte, allerdings wollte er sie aber noch nicht gänzlich loslassen, war er sich doch sicher, dass sie sofort nach ihm schlagen würde.
„Das wollte ich nicht sagen“, behauptete er.
Sie schnaubte.
„Lügner“, spie sie.
Er schwieg.
Was hätte er auch sagen sollen?
Besudelt. So hätte es seine Familie genannt, so würden es die anderen Todesser nennen und auch die meisten Unantastbaren.
Ein Schlammblut hatte seinen Zauberstab besudelt.
Sie nutzte die Situation, seine Unachtsamkeit, und riss ihre Hände los.
Sie schlug ihn nicht, starrte ihn nur wütend an.
Seine eine Hand lag nun neben ihr auf dem Tisch, dort, wo er bis eben noch ihre Hand fixiert hatte. Die andere Hand ließ er langsam sinken.
Immer noch atmete sie schwer, der Schreck hatte ihre dunklen Augen noch nicht ganz verlassen. Aus irgendeinem Grund bewegte sie sich aber nicht weg, starrte ihn unverwandt an. Ob sie befürchtete, er würde sie wieder packen, wenn sie versuchen würde, Abstand zwischen sie zu bringen?
Draco wusste, es wären Worte der Entschuldigung angebracht, aber wenn ihm etwas schwer fiel, dann sich zu entschuldigen.
Statt dessen stieß er sich mit seiner Hand vom Tisch ab und machte einen Schritt rückwärts.
Granger atmete erleichtert aus.
„Was machst du hier, mitten in der Nacht?“, fragte Draco.
Granger starrte ihn fassungslos an.
„Fragst du mich das gerade ernsthaft?“, entfuhr es ihr. „Ich meine, du schleichst hier heimlich rum und greifst mich grundlos an, und da fragst du mich, was ich hier mache?“
Draco sog laut die Luft durch die Nase ein.
„Ich habe sehr heftig reagiert, ich weiß“, gab er zu. „Anscheinend ist es für dich normal, einfach die Stäbe anderer Leute anzutatschen, aber in meinen Kreisen ist das eben etwas sehr Verwerfliches. Konntest du vermutlich nicht wissen.“
Er hörte selbst, dass das nicht im Ansatz nach einer Entschuldigung klang, obwohl es eigentlich als solche gedacht war, sondern einfach überheblich.
Dementsprechend fiel ihre Reaktion aus.
„Nein, das einfache Volk weiß so etwas nicht, tut mir leid“, gab sie spitz zurück.
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Masks and Mirrors (Dark Dramione)
FanfictionMasken und Spiegel, Jäger und Gejagte, Schatten und Licht. Und irgendwas dazwischen. Manchmal gibt es einen grauen Übergang zwischen Freund und Feind. Klar ist: Traue niemandem! - Dark Tale - Dramione, irgendwie