Die Kette lag schimmernd vor ihm auf dem Tisch, filligran und edel.
Ineinander verschlungene Blätterranken in Silber, zwischendrin verziert mit grünen Diamanten und einem größeren, weißen in der Mitte.
Er hatte sie gestern natürlich nicht mehr an seine Verlobte gegeben, in all der Aufregung.
Draco war mit Blaise ausgegangen, hatte so getan, als sei überhaupt nichts passiert, denn er wusste, Blaise kannte ihn zu gut, er hätte sofort Fragen gestellt und nicht locker gelassen, wenn Draco die Verabredung sausen gelassen hätte.
Also hatte er versucht, sich vollkommen normal zu geben.
Allerdings war er so durcheinander, dass er sich einen Feuerwhisky nach dem anderen hinunter schüttete und unter Blaise' besorgtem Blick schließlich auch zu mindestens einem Schädelspalter griff.
Wieviel genau er getrunken hatte, konnte er nicht mehr sagen, denn ab einem bestimmten Punkt hatte er einen kompletten Blackout. Vermutlich hatte Blaise ihn sicher nach Hause gebracht.
Heute Mittag war er mit dem schlimmsten Kater seit einem halben Leben aufgewacht und hätte am liebsten in Ausnüchterungstränken gebadet. Wie gut, dass er frei hatte.
Nach seinem Erwachen war er sich einen Augenblick sicher, dass er geträumt hatte.
Ein verrückter Traum, in dem seine Verlobte eine Verräterin war und Hermine Granger in seinem Haus aufgetaucht war. Er war sich sicher, sein Unterbewusstsein hatte im Schlaf einfach seine Sorgen verarbeitet. Es konnte nicht wahr sein.
Er brauchte etliche Sekunden, um zu begreifen, dass er nicht geträumt hatte.
Astoria war der Maulwurf. Sie unterstützte den Orden. Sie hatte Hermine Granger ins Manor gelassen.
Draco hatte sie überwältigen können. Ja, er hatte eins der wichtigsten Mitglieder des Ordens gesichert - und wieder frei gelassen.
Die Erkenntnis hatte dazu geführt, dass er sofort hellwach gewesen war.
Er hatte sie wieder freigelassen, bei Salazar!
Auch jetzt noch brachte die Erinnerung ihn dazu, sich die Haare zu raufen.
Er musste vollkommen den Verstand verloren haben.
Seufzend nahm er die Kette in die eine und seinen Zauberstab in die andere Hand.
So, wie er gestern versucht hatte, das beste aus der Situation für sich herauszuholen, würde er dies nun auch mit diesem Schmuckstück tun.
Am Abend zuvor hatte er Astoria auf alles, was ihr heilig war, schwören lassen, dass sie mit keinem Mitglieds des Ordens mehr Kontakt aufnehmen und den Orden auch auf andere Weise nicht mehr mit Informationen versorgen würde. Er drohte ihr, dass er ihre gesamte Familie nach Askaban bringen würde, egal ob unschuldig oder nicht, wenn sie es wagen würde, es doch zu tun.
Draco sagte sich, dass dies die sicherste Lösung sei.
Er ließ Granger nur aus diesem einen Grund gehen - weil er wusste, dass in Bezug auf den Orden nicht lange gefackelt wurde und einfach zu leicht der Verdacht aufkommen könnte, dass er selbst auch etwas mit der Sache zu tun hatte. Natürlich hätte es auch sein können, dass man ihn als Held gefeiert hätte, weil er Potters Schlammblut auslieferte. Aber es war eben eine fünfzig-fünfzig Chance, sagte er sich. Genau, es ging ihm einzig und alleine um seine Sicherheit. Um nichts anderes!
Es spielte nun auch keine Rolle mehr.
Astoria und er selbst würden nie wieder darüber sprechen. Der Abend hatte niemals stattgefunden, sagte er zu seiner Verlobten.
Und nun war das Schmuckstück dran.
Ursprünglich sollte das Geschenk tatsächlich einfach eine Wiedergutmachung darstellen.
Sollte er es nun tatsächlich auch noch anders nutzen?
Sein kurzes Zögern, die leichten Gewissensbisse ärgerten ihn maßlos.
Einen Augenblick starrte er die Kette in seiner Hand an, dann berührte er sie beinahe sanft mit seinem Zauberstab und sprach leise die nötigen Zauber.„Ja, bitte?"
Er hatte kurz vor ihrer Schlafzimmertür gezögert, ehe er schließlich doch geklopft hatte.
Nun betrat er das Zimmer und erblickte sogleich Astoria, die mitten im Raum stand und ihm erwartungsvoll, aber auch leicht beunruhigt entgegen blickte.
Natürlich, die Momente, in denen er sie in ihrem Flügel aufgesucht hatte, konnte man an einer Hand abzählen. Außerdem hatten sie in den letzten beiden Tagen zwei sehr unangenehme Situationen miteinander geteilt. Natürlich war sie misstrauisch, weil er plötzlich bei ihr auftauchte.
„Entschuldige die Störung", sagte er höflich. „Ich wollte dir nur kurz etwas geben."
„Ok?", sagte sie, und es klang fast wie eine Frage.
Sie verstand nicht, worauf das ganze hier hinauslaufen sollte.
Draco griff in seine Hosentasche, zog das Kästchen hervor und öffnete es, ehe er es in Astorias Richtung hielt.
„Ich hoffe, sie gefällt dir."
Ihre Augen weiteten sich überrascht und sie trat näher.
„Oh Draco", hauchte sie. „Sie ist wunderschön!"
Er streckte ihr das Kästchen noch mehr entgegen.
„Es ist... Eigentlich wollte ich sie dir gestern schon geben, aber naja... Du weißt ja... Jedenfalls, nun bekommst du sie. Als kleine Entschuldigung, wegen meines Verhaltens den Abend zuvor, auch wenn es natürlich nichts wirklich entschuldigt."
Sie sah - deutlich widerwillig - von der Kette auf und blickte ihm fragend ins Gesicht, was er ihr bei seinem Gestammel nicht verdenken konnte.
„Wie bitte?"
„Bei Merlin, ich möchte mich entschuldigen, Astoria. Mein Verhalten vorgestern war... Naja, es war nicht in Ordnung. Absolut nicht."
„Oh!", machte sie nur.
Einen Augenblick schien sie tatsächlich sprachlos.
Gut, seine Entschuldigung war keine Meisterleistung gewesen, aber Astoria schien ihm das ganze trotzdem hoch anzurechnen.
„Möchtest... möchtest du sie umlegen?"
Sie strahlte, als sie nach dem Schmuckstück griff und er ärgerte sich, dass er kurz wieder einen Anflug von schlechtem Gewissen verspürte.
Er wischte das Gefühl gedanklich wütend beiseite.
Astoria betrachtete die Kette in ihrer Hand, dann sah sie Draco an und lächelte: „Danke!"
Ehe sie rasch zu ihrem Schminktisch ging und sich niederließ, um sich selbst dabei zu beobachten, wie sie sich die Kette umlegte.
Beinahe gebannt sah Draco dabei zu, wie sie den Verschluss schloss.
Sie hatte nichts bemerkt.
Er sah dabei zu, wie Astoria ihre blonde Haarpracht, die nach vorne gefallen war, beiseite schob, um die Kette an ihrem Hals eingehend betrachten zu können. Dabei lächelte sie versonnen.
Draco trat dicht hinter sie, blieb hinter ihr stehen und sah sie ebenfalls im Spiegel an.
Kurz amüsierte er sich innerlich.
Immer wieder faszinierend, wie man Frauen mit teurem Schmuck glücklich machen konnte, dachte er.
„Sie sieht bezaubernd an dir aus", sagte er.
Ihr Blick löste sich von der Kette und sie blickte im Spiegel stattdessen Draco an.
Sie lächelte geschmeichelt.
Ja, das war wieder sein Terrain. Entschuldigungen waren nicht seins, aber Komplimente konnte er - wenn er wollte.
„Danke", sagte sie noch einmal.
Schließlich legte sie die Hände an den Verschluss der Kette, wie um ihn zu öffnen - Draco hielt kurz die Luft an - und dann wurde ihr Blick einen Moment lang merkwürdig leer, ehe sie die Hände wieder von der Kette fortzog.
Ihre Stirn legte sich in Falten.
„Was wollte ich gerade?", fragte sie Draco.
Seine Mundwinkel zuckten und er konnte ein triumphierendes Grinsen gerade noch so unterdrücken.
„Ich weiß nicht", sagte er ruhig. „Du hast nichts gesagt."
„Hm", machte Astoria nachdenklich. Dann ergänzte sie: „Ich habe mich wirklich sehr gefreut, Draco, danke. Ich trage die Kette auf jeden Fall, wenn wir zu der Veranstaltung bei Avery gehen. Aber jetzt werde ich sie erstmal..."
Ihre Stimme verlor sich und erneut wurde ihr Blick leer.
Sie blinzelte.
„Was?", fragte sie.
„Hm?", machte Draco in neutralem Ton und schob zufrieden seine Hände in die Hosentaschen.
„Wovon... habe ich eben geredet?", murmelte Astoria.
„Oh, davon, dass du die Kette bei Avery tragen willst. Kluge Entscheidung. Sie steht dir unfassbar gut. Ich finde, du solltest sie gar nicht mehr abnehmen."
Sie lachte ehrlich amüsiert und geschmeichelt.
„Lieb, dass du das sagst." Ihre Hände wanderten in ihren Nacken. „Ich werde sie trotzdem erstmal..."
Sie brach ab und wieder zog sie die Stirn kraus.
„Ich..."
Verwirrt blickte sie Draco im Spiegel an.
„Ja?", fragte er.
„Ach nichts, ich..."
Nachdenklich berührte sie die Kette an ihrem Hals.
„Sie ist wirklich schön", murmelte sie.
„Das stimmt", bestätigte Draco und dann setzte er, immer noch möglichst neutral, hinzu: „Alles in Ordnung, Astoria?"
„Was?"
Wieder blickte sie ihn an.
„Ja. Ja natürlich. Alles in Ordnung. Es ist nur... Ich habe gerade das Gefühl, dass mit ein wichtiger Gedanke entfallen ist, weißt du?"
„Ach?", fragte Draco und versuchte, jede Zufriedenheit aus seiner Stimme zu verbannen. „Naja, dann war es wohl nicht so wichtig, und wenn doch, fällt es dir schon wieder ein."
Astoria blinzelte und blickte wieder sein Spiegelbild an.
„Ja. Ja, da hast du vermutlich Recht. Jedenfalls, noch mal danke für das Geschenk."
Draco lächelte charmant.
„Gern geschehen, Astoria."
Er wandte sich ab und verließ leise vor sich hin pfeifend den Raum.In der kommenden Woche war Draco angespannt und gereizt. Ein Treffen mit Theo sagte er ab - verschieben war vorerst nicht möglich, da Theo sehr eingespannt war und mit wichtigen Todesser-Aktivitäten beauftragt wurde - und seine Verabredung mit Blaise verschob er auf Ende der Woche.
Er wollte nicht, dass einem seiner Freunde womöglich auffiel, wie zerstreut er war.
Ständig überprüfte er, ob jemand ihn merkwürdig ansah oder sich ansonsten verdächtig verhielt, denn Draco hatte die vollkommen irrationale Angst, es könnte herauskommen, was er getan hatte.
Aber das war unmöglich. Niemand außer ihm und Astoria wusste von der Sache mit Granger, und Astoria würde wohl kaum jemandem erzählen, was geschehen war.
Außerdem wirkten seine beiden Zauber auf der Kette wunderbar und gab ihm so zumindest ein gewisses Maß an Kontrolle, was Astoria anging.
Es war also alles gut.
Die Woche näherte sich dem Ende und Draco nahm sich fest vor, sich vollkommen normal beim bevorstehenden Treffen mit Blaise zu verhalten.
Merlin, er hatte schon ganz andere Sachen vertuscht oder vor anderen verborgen. Auch das hier würde niemand jemals erfahren.
Immer wieder redete er sich ein, dass es für seine Sicherheit die beste Entscheidung gewesen war, Granger laufen zu lassen.
Aber eine kleine, böse Stimme in seinem Innern flüsterte ihm ständig zu, dass er sich mal wieder eine Chance hatte entgehen lassen, genau wie damals auf dem Astronomieturm mit Dumbledore sowie im Manor mit Potter.
Er ignorierte die Stimme, erstickte sie im Keim.
Denn im Grunde wusste er, was geschehen würde, wenn er dieser Stimme Raum geben würde.
Es würde eine Tür öffnen für Astorias Worte, die immer wieder in seinem Kopf herumgeistern wollten.
Er hatte keine Zweifel, verdammt!
Genauso wie Astorias Worte unterdrückte er die überraschend intensive Erinnerung an das Gefühl von Grangers Stab in seiner Hand und dem magischen Wispern, was von ihm ausgegangen war, begleitet von diesem neugierigen Tasten nach seinem Geist.
Verflucht, er war gut darin, Dinge in seinem Innern wegzuschließen, und dieser verhängnisvolle Abend gehörte nun einfach dazu, fertig.
Immer noch etwas konfus schloss er seine Bürotür und machte sich via Fahrstuhl auf den Weg in die Eingangshalle des Ministeriums, wo Blaise auf ihn warten wollte.
Wie immer herrschte hier zum Ende der Arbeitszeit hin reges Treiben, aber sie hatten einen festen Treffpunkt ausgemacht, den Draco auch sofort aufsuchte.
Blaise war noch nicht da, was ungewöhnlich war.
Allerdings blieb ihm nicht viel Zeit, darüber nachzudenken.
„Draco Malfoy", ertönte hinter ihm eine strenge Stimme.
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Masks and Mirrors (Dark Dramione)
ФанфикMasken und Spiegel, Jäger und Gejagte, Schatten und Licht. Und irgendwas dazwischen. Manchmal gibt es einen grauen Übergang zwischen Freund und Feind. Klar ist: Traue niemandem! - Dark Tale - Dramione, irgendwie