22. Dezember

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Melomakarona-MomenteHm, ob ich das essen dürfte? Es waren Mandeln auf blauem Hintergrund abgebildet, aber ob es nun Mandelmilch oder rohe Mandeln waren? Die Kekse sahen auf jeden Fall verdammt lecker aus

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Melomakarona-Momente
Hm, ob ich das essen dürfte? Es waren Mandeln auf blauem Hintergrund abgebildet, aber ob es nun Mandelmilch oder rohe Mandeln waren? Die Kekse sahen auf jeden Fall verdammt lecker aus...
Ich ertappte mich, wie ich mich nach Camina umdrehte. Sie hockte vor den Mehlsorten und schien sich nicht zwischen Vollkornmehl und stinknormalem Weizenmehl entscheiden zu können.
Zögernd strich ich die Verpackung glatt und biss mir in die Wange. Was nun?
Ich traute mich nicht, schon wieder meine Austauschpartnerin zu fragen, geschweige denn sie zu stören. Obwohl ich schon seit einigen Monaten hier war, lag eine gewisse unangenehme Distanz zwischen uns. Nicht, dass ich sie nicht mögen würde. Um ehrlich zu sein, mochte ich sie ein wenig zu sehr. Und ich das machte mir Angst. Doch sie... irgendetwas an mir schien sie zu nerven.
Hin und wieder redeten wir abends, wie die besten Freunde und ich bekam fast schlechtes Gewissen gegenüber meinem ehemaligen besten Freund Alex, mit dem ich nie so offen war. Sie fragte mich nach deutschen Wörtern und Sätze und ich fragte sie nach griechischen aus. Aber das passierte auch nur tief in der Nacht. So tief in der Nacht, dass ich am nächsten Tag mich fragte, ob ich all diese Konversationen geträumt hatte.
Während dem Tag waren wir deutlich reservierter. Die Camina vom Tag ging mir aus dem Weg, ließ sich auf keine langen Gespräche ein. Die Camina letzer Nacht hatte gegiggelt und mich gefragt, wie man „Ich liebe dich" auf Deutsch sagte.
Und ich hatte sie schon bei drei anderen Produkten gefragt, langsam wurde es peinlich. Warum hatte ich mich noch mal entschieden, vegan zu leben?
Leise dudelte „Last Christmas" im Hintergrund. Caminas Bruder hüpfte aufgeregt um seine Schwester herum, er freute sich schon auf das Singen heute Abend. Ihn konnte ich leider auch nicht darum bitten, er könnte es mir nicht übersetzen.
Camina strich sich unschlüssig eine ihrer gefärbten Strähnen aus dem Gesicht und bückte sich erneut, um einen Spiegel hochzuheben und ihn fachmännisch zu betrachten. In diesem kleinen Laden auf dem Land gab es wirklich von allem etwas.
Bildete ich es mir ein, oder glitten ihre Augen langsam über mein dort reflektiertes Gesicht und hielten meinen Blick fest? Ich wandte mich ab.
Ich sah dann am anderen Ende des Ganges einen Jungen in meinem Alter und ergriff meine Chance. Er erinnerte mich an einen guten Freund und ich spürte, dass er mir helfen würde. Ich wusste es einfach.
„Hey, weißt du, ob das hier vegan ist?", sprach ich ihn auf Englisch an und wedelte mit der Packung vor seinem Gesicht.
Er zuckte mit den Achseln. „Ich weiß es nicht. Sorry."
Frustriert war ich, doch ich lächelte tapfer. „Okay. Γεια σου, αγάπη μου!" Stolz, etwas auf Griechisch zu sagen, nickte ich ihm zu.
Doch es erziehlte nicht dieselbe Wirkung, wie wenn Caminas Vater es seinen Kindern sagte.
Verblüfft blieb der Blonde stehen. Er öffnete seinen Mund, schloss ihn wieder und flüchtete förmlich aus dem Laden.

Ich hörte hinter mir ein ersticktes Lachen. Verwirrt drehte ich mich um und merkte erst jetzt, wer die ganze Zeit hinter mir stand.
„Du hast gerade meinem Ex Tschüss Schatz gesagt ", zischte sie in mein Ohr.
Ich wollte am liebsten auf der Stelle tot sein. Das schien sie mir anzusehen und ihre Gesichtszüge wurden weich. Meinen zweiten Gedanken („Ex? Guuuut!") konnte ich schon besser für mich behalten.
Zu meiner Überraschung klopfte Camina mir auf die Schulter. „Alles gut. Konntest du ja nicht wissen. Um ehrlich zu sein, ist es das Witzigste, was mir seit Monaten passiert ist." Aufmunternd lächelte sie mir zu und zog mich mitsamt ihrem Bruder, der an mir auf einmal förmlich klebte, aus dem Laden. Erleichterung hatte sich noch nie so gut angefühlt.
Der Rückweg verging wieder einmal quälend langsam und verschwiegen, doch zumindest kühlte ich etwas ab und konnte die verschneite Landschaft genießen.
Bei meiner Gastfamilie zuhause angekommen, zerrte mich Caminas Bruder Alastor sofort wieder nach draußen. „Er will mit dir von Nachbar zu Nachbar gehen und singen ", klärte seine Mutter Athina mich auf.
Ich wollte gerade von meiner bisher unerfolgreichen Karriere als Sänger erzählen, doch sie winkte ab. „Überlasse ihnen das Singen ruhig. Es ist amüsanter zu zu hören, habe ich mir sagen lassen." Ich habe früh gelernt, dass Athinas Ratschläge ziemlich gute waren, und auch diesmal sollte sie Recht behalten.
So zog ich mit einer Gruppe aufgeregter kleiner Kinder von Haus zu Haus und beobachtete jedes Mal staunend, wie selbst die Erwachsenen, die ich als Schrecksschrauben eingestuft hatte, mit voller Liebe den Kleinen lauschten. Mit Glöckchen und Trommeln gingen am 24. Dezember die Kinder von Haus zu Haus, um traditionelle Weihnachtslieder – sogenannte Kalanda – zu singen und die Geburt Christi zu verkünden, das hatte mir Athina noch erzählt. In ihren kleinen Händen sahen die Glöckchen so zart und verletzlich aus.
Es war schön gewesen. Zum ersten Mal fühlte ich mich richtig hier. Wieder im Haus der Familie Makris wurde ich von Camina schon erwartet.
„Deine Eltern haben vor einer Stunde angerufen. Dein Vater meinte, Anrufe zweimal pro Tag würden sie etwas stressen. Sie rufen jetzt nur noch abends an. Aber vor allem verstärkt es... deine Abhängigkeit von ihnen?" Es war süß, wie sie die Augen zusammenkniff, um ja nichts von den Worten meiner Eltern zu vergessen. „Sie haben dich lieb und wünschen dir frohe Weihnachten. Wenn du sie brauchst, darfst du natürlich immer anrufen. Vielleicht rufst du sie jetzt zurück?"
Keinen Anruf morgens mehr, der mir für den Tag Kraft in dem fremden Land spendet? Ich konnte mein Seufzen nicht unterdrücken. Ohne meine Familie und Freunde aus Deutschland bin ich doch mehr aufgeschmissen als erwartet. Es tat weh, so weit von ihnen entfernt zu sein. Es ist anstrengender als gedacht Englisch reden zu müssen und meine Versuche griechisch zu sprechen waren ja immer ein reines Fiasko gewesen.
Mein Heimweh verstärkte sich seltsamerweise um die Weihnachtszeit herum drastisch. Ich vermisste meine Eltern und meine Schwester. Und ich vermisste noch jemanden. Alex, meinen ehemaligen besten Freund. Ein Engel unter Menschen, doch wir sind auseinander gegangen, als er immer beliebter wurde und ich mich von ihm und seinen coolen neuen Freunden distanzierte. Ich muss ihm zugutehalten, dass er seinen Prinzipien treu geblieben ist und kein fieser Mensch geworden ist. Doch ich bin ihm nicht treu geblieben.

24 Lichter | 2023Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt