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Marshall schalt sich selbst, dass er sich doch gefälligst zusammenreißen sollte. Rose kam in den Arbeitsklamotten aus dem Umkleideraum und er schwor bei allem, dass keine Angestellte oder Kollegin je so sexy aussah, wie Rose gerade in dem Moment. Sie schien sich aber nicht sonderlich wohl zu fühlen, denn immer wieder zupfte sie an dem Shirt und zog es nach unten, als ob sie etwas bedecken wollte. Er konnte sich aber nicht erklären, was das sein sollte. Es war wirklich alles perfekt an ihr.
Er nahm sich vor, dass er ihr das nächste Mal ein weiteres Shirt geben würde. Der Anblick war zwar wirklich nett, sehr nett sogar, aber er wollte nicht, dass sie sich unwohl fühlte.
Sie schaute schnell nach Archie, der in seinem Büro saß und wirklich seine Hausaufgaben erledigte. Dann kam sie zu ihm.

„Also gut. Wie kann ich helfen?"
Er nickte und holte seinen Schreibblock hervor.
„Sie kennen sich hier besser aus als ich. Was ist denn hier angebracht für den Weihnachtsball?"
Rose überlegte eine Weile.
„Ihr Onkel kreierte immer eine Art Buffet, dass mit herzhaften und süßen Speisen bestückt war." Ihr Blick wurde traurig. „Eigentlich freuten sich immer alle darauf, denn es war immer sehr lecker, doch letztes Jahr..."
Er nickte.
„Tante Sue bekam im November letzten Jahres die Krebsdiagnose. Ich denke, dass hat meinen Onkel so umgehauen, dass er nicht mit vollem Elan an die Arbeit ging."
Sie nickte.
„Deswegen hat kein Bewohner etwas gesagt, dass es schlecht war. Ich kann mir denken, dass er gedanklich irgendwo anders war."
Marshall sah auf seinen Schreibblock.
„Ich frage mich, warum ihm niemand half. Er hat genug Mitarbeiter."
Rose lächelte ihn an.
„Der Weihnachtsball war immer eine Sache von seiner Frau und ihm. Er wollte nicht, dass seine Angestellten Überstunden deswegen machen müssen. Lieber arbeitete er bis in die Nacht alleine."
Marshall verstand das auch. Mittlerweile hatte er alle Angestellten kennengelernt. Die zwei Bäcker, die jeden Morgen in aller Frühe anfingen zu arbeiten, waren Familienväter und der Schlafrhythmus deckte sich nicht immer mit den Schulzeiten der Kinder. Eine junge Frau, die von ihm das Konditorhandwerk lernen wollte, unterstützte ihre Eltern, die eine Ranch besaßen, die nicht gerade viel abwarf.
Onkel Harry hatte sie alle aufgenommen, als ob er Mitleid mit ihnen hatte.
„Nun, diese Tradition will ich beibehalten, auch wenn ich keine Frau habe."
Sie lachte.
„Sie haben mich, Marshall. Ich bin zwar keine gute Köchin, aber ich gebe mein Bestes."
Er grinste sie an.
„Das genügt erst einmal. Also. Was essen die Bewohner dieser wunderschönen Stadt denn gerne?"


                                                                                           ****

Er musste zugeben, dass es ihm Spaß machte, mit Rose und später auch mit Archie zu arbeiten. So etwas hatte er sich auch bei seiner Ex-Frau vorgestellt.
Zuerst hatten sie Ideen zusammengetragen, was man zubereiten konnte und Archie als unabhängige Jury gefragt, was er dazu meinte. Wie erwartet gefiel dem Jungen alles, was sie vorschlugen.
Danach sortierte er alles danach, was man zuerst produzieren konnte. Er beschloss, zuerst die Torten zu machen, weil er diese einfrieren konnte und sie auch die meiste Arbeit darstellten.
Sie tüftelten noch etwas an dem Zeitplan, während Archie, wie versprochen, einen Teig kneten durfte und kleine Brötchen formte, die Marshall noch in den Ofen schob.
Nachdem sie alles wieder gereinigt hatten, gingen Rose und Archie nach Hause. Marshall musste zugeben, dass es auf einmal viel zu still war.
Er sortierte noch einmal die Arbeitsblätter und befestigte sie ans Board, dass er für solche Aufträge in seinem Büro befestigt hatte.
Er lehnte sich gegen seinen Schreibtisch und betrachtete noch einmal alle Zettel, die ordentlich aufgereiht an der Wand hingen.
Es war ein guter Plan. Eine gute Mischung zwischen aufwendigen Köstlichkeiten und einfachen Sachen, die schnell gemacht waren. Und Rose war ein Ass, wenn es um das Kalkulieren der Preise ging. Auch wenn er einen Teil von der Stadt bezahlt bekam, würde er bei seinem vorherigen Plan sehr ins Minus geraten, doch Rose hatte es geschafft, alles so zu gestalten, dass es noch im Rahmen blieb. Außerdem gab sie ihm einige Tipps, wie er alles beim Finanzamt abschreiben konnte.
Er war sehr zufrieden, doch irgendwie wollte er noch nicht die Treppen nach oben gehen, wo sein leeres Appartement auf ihn wartete. Dort war es noch ruhiger, als hier in der Backstube, wo wenigstens die Kühlschränke brummten.
Er zog sich um und zog seine Winterjacke an, um noch einen kleinen Spaziergang zu unternehmen.
Es war noch Zeit, bis er sich Schlafen legen musste, um morgens fit in der Backstube zu sein.
Als er nach draußen kam, verzog er sein Gesicht. Gestern hatte es angefangen zu regnen, und die letzten dreckigen Schneereste waren verschwunden. Laut dem Wetterbericht, sollte es auch keine weiße Weihnacht geben, was er sehr schade fand. Auch deswegen war er in den Norden gezogen. Er mochte Schnee, was nicht jeder in seiner Familie verstand.
Seufzend zog er die Kapuze tiefer ins Gesicht und joggte zum Park, der zwar klein war, aber wenigstens beleuchtet.
Eine Weile lief er den Weg entlang und versuchte, an nichts zu denken. Doch immer wieder kamen ihm die Stunden mit Rose und Archie in den Sinn.
Es war wirklich so, wie er es sich immer vorgestellt hatte. Seine Familie hatte immer so zusammengearbeitet und er hatte sich das auch mit Kendra gewünscht. Wie sie zusammengekommen waren, konnte sich Marshall nicht mehr richtig erklären. Es war wohl auf einer der wenigen Partys, auf die er gegangen war. Kendra war hübsch und er hatte sich gerne mit ihr unterhalten. Sie trafen sich auch nach der Party weiter und er verliebte sich in Kendra, die ihm nach einer Weile auch ihre Liebe gestand. Es dauerte eine lange Zeit, bis sie beschlossen, dass es Zeit war, zu heiraten. Doch Marshall beschlich mehr und mehr das Gefühl, dass sie beide sich gar nicht richtig kannten, obwohl sie so lange zusammen waren. Ihre Berufe kamen sich immer mehr ins Gehege. Wenn Kendra nach Hause kam, schlief Marshall schon und wenn er aufstand, lag sie im Tiefschlaf. Es gab nur wenige Tage, die sie zusammen verbringen konnten. Irgendwann akzeptierte er es, dass Kendra alleine ausging, weil er einfach keine Zeit dazu hatte. Wenn er ehrlich war, versuchte er nach einer Weile nicht einmal mehr, sich Zeit für Partys zu nehmen. Sie lebten sich auseinander und es kam, wie es kommen musste: Kendra verliebte sich in einen anderen Mann.
Er legte ihr keine Steine in den Weg.
Sie passten eben nicht zusammen.
Marshall wollte ihrem Glück nicht im Weg stehen. Er war in der ersten Zeit natürlich enttäuscht und es war vielleicht auch die Macht der Gewohnheit, dass eben immer jemand zu Hause war, die ihn zuerst böse werden ließ. Es war richtig, dass sie sich trennten und als ein Jahr später die Scheidung rechtsgültig wurde, waren sie beide erleichtert. 
Er kam wieder an der Bäckerei an und schaute nach oben, wo sich immer noch das leere Apartment befand, dass auf ihn wartete.
Leise seufzte er und kramte seinen Schlüssel hervor.
Es half ja nichts.
In einigen Stunden würde ihn sein Wecker wach machen und er würde wieder zur Arbeit gehen.
Das hörte sich ziemlich trostlos an, doch das war es nicht. Marshall wusste, dass am Abend Rose wiederkommen würde. Und darauf freute er sich schon sehr.

°⨳°·..·°⨳°⊹٭ Ich wünsche Euch allen einen wunderschönen Nikolaustag. ٭⊹°⨳°·..·°⨳°

Winterwonderland - Adventskalender 2023Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt