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„Bleib stehen, Archie. Du kannst doch nicht einfach davonlaufen!"
Das konnte Archer Harris, der von den meisten nur Archie genannt wurde, sehr wohl. Er war auf einer Mission. Und niemand konnte ihn aufhalten. Auch seine Tante Lilly nicht, die ihn heute mit in die Stadt genommen hatte, um noch einige Weihnachtssachen zu kaufen.
Archer war spät dran und eigentlich war er schon bei Santa Clause gewesen, um ihn seine Weihnachtswünsche ins Ohr zu flüstern. Doch er hatte da etwas Wichtiges vergessen.
Seine Mum!
Seine Mum war die liebste Mum, die man sich vorstellen konnte. Sie lächelte immer und wurde auch nie böse, wenn er etwas anstellte.
Na ja, zumindest nicht immer, aber sie schimpfte so gut wie nie mit ihm, aber sie sah ihn traurig an, wenn er etwas angestellt hatte, was beinahe noch schlimmer war.
Sein Dad war weg, als Archer noch nicht einmal geboren war. Er kannte seinen Dad nicht einmal, aber er wusste, dass er seiner Mum sehr weh getan hatte, und deswegen konnte Archer ihn nicht leiden.
Seine Mum und er lebten schon immer auf der kleinen Farm am Rande der Stadt. Zumindest nahm Archie das an. Die Farm gehörte seinem Grandpa, aber er war schon gestorben. Seither betrieb seine Mum mit ihren beiden Schwestern alles. Sie sorgten dafür, dass es immer das beste Obst und das beste Gemüse wuchs und das verkauften sie dann auf den Märkten. Er wusste, dass sie alle schwer schufteten und im Herbst war seine Mum immer so müde, dass es schon manchmal geschehen war, dass sie in seinem Bett eingeschlafen war, während sie ihm eine Geschichte vorlas.
Das musste besser werden.
Seine Mum sollte nicht mehr so sehr arbeiten müssen, dass man dunkle Ringe unter den Augen sah.
Sie sollte wieder lachen und fröhlich sein.
Und glücklich.
Er rannte weiter durch die verschneiten Straßen und endlich sah er das Kaufhaus vor sich. Nur noch einige Schritte, dann...
„Vorsicht!"
Archer stolperte und fiel beinahe auf die Nase, doch zwei Arme bewahrten ihn davor, ganz schmutzig zu werden.
Er sah auf und keuchte leise.
Das war mal ein großer Mann, der ihm da geholfen hatte.
„Entschuldigung, Sir.", murmelte er leise.
Der Mann lachte leise und stellte ihn auf die Füße.
„Du hast es aber sehr eilig, junger Mann."
Er sah in die Richtung, in der Archer gelaufen war und nickte dann.
„Ich verstehe. Du willst zu Santa."
Archer nickte.
„Ja. Ich war zwar schon bei ihm, aber ich habe vergessen, mir etwas für Mum zu wünschen."
Der Mann nickte ernst.
„Das ist ein sehr wichtiger Grund. Dann will ich dich nicht aufhalten."
„Archie!"
Archer verdrehte die Augen, als er seine Tante Lilly auf ihn zustürmen sah. Sie war zwar meistens lieb, aber im Moment sah sie aus wie ein böser Drache. Kaum das sie ihn erreichte, packte sie ihn an der Jacke und hockte sich vor ihn hin. Ihre Augen wurden auf einmal wieder sanft und Archer tat es leid, dass er einfach so ausgerissen war.
„Du kannst doch nicht einfach davonlaufen, Liebling. Ich habe deiner Mum versprochen, dass ich auf dich aufpasse."
Archer senkte den Kopf, aber der Mann schien ihn retten zu wollen.
„Es tut ihm bestimmt leid, nicht wahr Archie? Aber er hat eine sehr dringende Aufgabe."
Archer hob wieder den Kopf, während Tante Lilly sich erhob und den Mann skeptisch beäugte.
„Ach ja?"
Sie schaute ihm ins Gesicht.
„Was für eine Aufgabe soll das denn sein?"
Der Mann beugte sich herunter und legte Archer eine Hand auf die Schulter.
Man, er war wirklich sehr groß.
Verschwörerisch zwinkerte der Kerl seiner Tante Lilly zu.
„Er hat vergessen, Santa einen Wunsch für seine Mum zu sagen. Das ist eine sehr wichtige Mission."
Tante Lilly grinste Archer an.
„Warum hast du mir das nicht gesagt, Archie. Da bin ich doch immer dabei. Aber zuerst muss ich noch einige Sachen erledigen und dann..."
Archer schnaubte.
„Ich muss mich aber beeilen. Bald ist Weihnachten und ich will Santa nicht stressen."
Lilly seufzte.
„Das weiß ich doch, Liebling. Aber ich muss einkaufen, sonst haben wir in den nächsten Tagen nichts zu essen im Haus."
Archer verzweifelte beinahe.
Der Supermarkt war immer überfüllt und es war zu laut. Und außerdem musste er immer seinen Tanten hinterherrennen, weil sie es immer eilig hatten. Einkaufen im Supermarkt machte keinen Spaß.
Der Mann beugte sich wieder nach vorne.
„Ich mische mich nicht gerne ein, aber kennen sie Jason Baker?"
Archer und Lilly nickten.
Wer kannte Jason Baker nicht? Er besaß die größte Bäckerei in der Stadt und Archer war schon oft mit seiner Mum in dem kleinen Café gesessen, um eine heiße Schokolade zu trinken. Im Sommer gab es dort auch das beste Eis. Die Kuchen und Leckereien waren so lecker, dass sich Archer schon bei dem Gedanken daran mit der Zunge über seine Lippen strich.
Der Mann lachte.
„Also Archie kennt ihn bestimmt, wie ich sehe. Nun, Jason ist mein Onkel. Mein Name ist Marshall Baker. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, kann Archie nach dem Besuch bei Santa dort auf Sie warten. Ich habe dann auch ein Auge auf ihn."
Lilly runzelte skeptisch die Stirn.
„Ich kenne Ihren Onkel, aber nicht Sie. Sind sie denn auch ein Bäcker?"
Er nickte.
„Das bin ich. Ich werde bald Onkel Jasons Bäckerei übernehmen."
Er neigte sich zu Lilly.
„Sie kennen mich nicht, aber ich werde wirklich gut auf ihn aufpassen."
Lilly sah zu Archer herunter, der seinen besten Flehblick aufsetzte, um seine Tante zu überzeugen, dem Plan zu zustimmen.
„Bitte, Tante Lilly. Ich bin doch schon sechs Jahre alt. Ich werde brav auf dich in der Bäckerei warten."
Sie seufzte.
„Nun, gut. Einverstanden."
Kaum hörte Archer die Worte, rannte er schon los und erreichte bald das Kaufhaus. Entschuldigungen vor sich hinmurmelnd, schlängelte er sich durch die Menge, bis er endlich den Platz erreichte, wo Santa mit seinen Elfen auf die Kinder warteten. Leise seufzte er, als er bemerkte, dass kein anderes Kind da war. Nun, es war generell sehr ruhig. Es gab keine Kinder, die Elfen waren auch nicht da, nur Santa saß auf dem Sessel und lächelte ihm entgegen als ob er auf ihn warten würde.
Einen Moment fragte er sich, warum Santa so anders aussah. Sein runder Bauch war zwar noch da, aber er hatte seinen roten Mantel nicht an. Doch als er Archer sah, wurde sein Lächeln breiter, was Archer sofort ein warmes Gefühl im Bauch bescherte.
„Archer Harris. Du warst doch erst bei mir. Hast du etwas vergessen? Noch ein Spielzeugauto, das du für deine Sammlung brauchst?"
Archer schüttelte den Kopf.
„Ich wünsche mir einen Dad!"
Santa nickte ernst und winkte ihn zu sich. Obwohl er schon groß war, hob ihn Santa mit Leichtigkeit auf seinen Schoß.
„Dann erzähle mal. Soll ich deinen Dad dazu bringen, wieder zu euch zu kommen?"
Archer schüttelte den Kopf.
„Nein. Ich will einen Dad, der meine Mum wieder glücklich macht und keinen, der sie zum Weinen bringt. Und der neue Dad soll ihr helfen. Sie ist immer so müde und traurig. Und ich will, dass sie wieder lächelt. Ich meine, so richtig."
Santa nickte.
„Das wird nicht einfach werden, Archer. Das ist so eine komische Sache mit den Herzensangelegenheiten, weißt du? Deine Mum soll sich ja verlieben und eigentlich bin ich dafür nicht zuständig."
Archer sah ihn flehend an.
„Kannst du es trotzdem versuchen? Wenn es hilft, will ich auch keine Geschenke zu Weihnachten."
Santa kratzte leicht an seinem Bart.
Das ging wirklich lange. Am liebsten hätte Archer ihn gefragt, ob es denn wirklich so unmöglich war, doch dann lächelte Santa breit und klopfte auf die Armlehne.
„Weißt du was? Ich werde es versuchen. Aber sei mir nicht böse, wenn es dieses Jahr nicht funktioniert. Es ist nicht mehr lange bis Weihnachten und es ist ein hartes Stück Arbeit. Selbst für mich."
Archer ließ seine Schultern hängen.
„Es wäre aber toll. Mum ist voll lieb und sie verdient einen Mann, der gut zu ihr ist."
Santa nickte ernst.
„Na klar. Ich versuche mein Bestes. Aber Herzensangelegenheiten brauchen eben ihre Zeit."
Archer umarmte ihn kurz, hüpfte von seinem Schoß und nickte ihm zu, bevor er wieder ging.
„Du schaffst das schon, Santa! Ganz bestimmt."

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