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Marshall Baker schlüpfte durch den kleinen Durchlass, der das Café und den Verkaufstresen von der Backstube und der betrieblichen Küche  trennte.
Schnell zog er seine gefütterte Jacke aus und sperrte sie in seinen Spind, bevor er seine Hände wusch. Danach holte er Milch aus dem Kühlschrank und füllte sie in einen kleinen Topf.
Eigentlich war er nicht für so etwas zuständig,  da sie eine Maschine für die Zubereitung vin Kaffee und ähnliches hatten, aber er musste zugeben, dass ihn dieser Archie gefiel und seinen selbstgemachten Kakao verdiente. Er war sehr energisch gewesen und niemand konnte ihn aufhalten, weil er Santa um ein Geschenk für seine Mutter bitten wollte.
Das fand Marshall super. Er liebte seine Mutter ebenfalls und würde alles dafür tun, um auch sie lächeln zu sehen.

Leise seufzte er, als ihm einfiel, dass dies in den letzten Jahren kaum vorkam. Nun, er war nicht alleine schuld daran. Seine Scheidung vor einem halben Jahr und sein Entschluss, die Bäckerei seines Onkels zu übernehmen und damit ans andere Ende des Landes zu ziehen, machten sie bestimmt nicht sehr fröhlich, aber sie verstand Marshall auch.
Kendra war einfach nicht die richtige Frau für Marshall gewesen, obwohl er wirklich alles versuchte, um seine Ehe zu retten. Doch wer wollte schon mit einem einfachen Bäcker verheiratet sein, der mitten in der Nacht zur Arbeit musste und damit keine Zeit für Partys oder Ähnliches hatte. Und Kendra war nun mal ein Partygirl. Immer noch. Er konnte da nicht mithalten und sie konnte ihm nicht das geben, was er sich eigentlich wünschte.
Eine Familie.
Leicht schüttelte er den Kopf und rührte das Kakaopulver in die Milch und fügte noch einige Gewürze hinzu.
Marshall musste zugeben, dass er eigentlich vor allem floh, was ihn an seine gescheiterte Ehe erinnerte.
Aber es hatte auch etwas Gutes, dass er zu seinem Onkel gezogen war. Es gab Schnee hier. Im Moment zwar nicht so viel und das Wenige, was auf den Straßen und Wegen lag, sah nicht besonders hübsch aus, aber Marshall hoffte auf eine weiße Weihnacht.

„Mr. Baker?"
Marshall sah auf.
Chloe, eine der Angestellten seines Onkels, stand an der Tür.
„Da ist ein kleiner Junge, der nach Ihnen fragt. Ich kenne ihn. Es ist Archie Harris. Er ist eine kleine Nervensäge. Soll ich ihn davon jagen?"
Marshall runzelte die Stirn.
Davonjagen?
Nervensäge?
„Nein. Ich habe ihn eingeladen."
Chloe schnaubte leise.
„Ich sollte Sie warnen, Mr. Baker. Archie kommt von der Harris-Farm. Die wird von den Harris-Geschwistern geführt. Archies Mutter hat einen schlechten Ruf, seit sie schwanger und unverheiratet wieder hier auftauchte."
Chloe kam näher auf ihn zu.
„Die Harris-Schwestern suchen immer einen reichen Mann. Rose ist wahrscheinlich die Schlimmste, denn der Kerl, der sie schwängerte, soll ein reicher Mann gewesen sein, der früh genug erkannte, was für ein Flittchen Rose ist."
Marshall hob eine Augenbraue.
Wenn er eines nicht leiden konnte, dann waren es solche Behauptungen, die andere diffamierten.
Er kannte die Harris-Schwestern vom Hören. Sein Onkel schwärmte immer von den Äpfeln, die er bei ihnen einkaufte und Marshall sah auch an den Rechnungen, dass sie faire Preise verlangten. Das machte man doch nicht, wenn man auf Reichtum aus war, oder?
Er zuckte mit den Schultern.
„Ich bin nicht reich, also sollte ich so ziemlich sicher vor raffgierigen Frauen sein, die andere in den Schmutz ziehen. Außerdem glaube ich nicht, dass mein Onkel solche Reden zugelassen hat. Wir sind Dienstleister und haben unseren Kunden und Geschäftspartner Respekt entgegen zu bringen. Und dazu gehören eben auch Kinder, egal ob sie Nervensägen sind oder nicht. Und was diese Gerüchte über Rose Harris angeht, so will ich nicht, dass so etwas in meinem Geschäft die Runde macht. Ich kenne diese Frau nicht und kann nicht behaupten, dass sie hinter mir her ist."
Er sah, wie blass Chloe auf einmal wurde und grinste innerlich, denn sie war hinter ihm her, seit er aufgetaucht war.
„Und nun werde ich meinen Gast abholen."
Ohne weiter auf seine Angestellte zu achten, kam er nach vorne zum Verkaufsraum und sah Archie schon in der Ecke stehen. Seine Nase hatte er in den Kragen seiner Jacke gesteckt und die Hände tief in die Taschen gegraben. Er sah nicht glücklich aus und Marshall hatte so eine Ahnung, dass Chloe damit zu tun haben könnte. Er nahm sich vor, mit seinem Onkel zu reden, denn er konnte in Zukunft nicht mit Angestellten arbeiten, die andere Menschen schlecht behandelten. Schon gar nicht Kinder.
Als er den Jungen erreichte, hockte er sich vor ihm hin.
„Na, du? Hast du Santa getroffen?"
Archie nickte, hob sein Gesicht aber nicht an.
„Wie wäre es nun mit einer Tasse heißen Kakao? Oder willst du etwas anderes trinken?"
Marshall hatte nicht daran gedacht, dass Archie vielleicht keinen Kakao haben wollte, doch der Junge hob etwas seinen Kopf und Marshall sah seine Augen aufleuchten. Das war wohl ein Ja.
Er grinste ihn an, stand auf und reichte ihm seine Hand.
„Dann wollen wir mal. Deine Tante wird auch bald hier sein."
Archie nahm vertrauensvoll seine Hand, sah aber skeptisch zu den Tischen, die alle voll besetzt waren.
„Es gibt keinen Platz für mich.", murmelte er leise.
Marshall lachte.
„Für dich habe ich einen Spezialplatz. Da dürfen nur ganz besondere Gäste hin und das bist du. Ein besonderer Gast."
Er nahm ihn mit in die Bäckerei und nahm die Jacke ab.
„Besondere Gäste müssen sich aber die Hände waschen, auch wenn wir hier nicht backen."
Archer bekam große Augen.
„Ich darf in die Küche?"
Er nickte und wunderte sich darüber, dass Archie fast andächtig sprach und vor allem die Küche zu kennen schien. Die Küche war nur ein kleiner Teil der Bäckerei und hier wurden im Sommer Sandwiches und solche Sachen vorbereitet, die man für ein Picknick benötigte. Jetzt benutzte sie niemand, was Marshall zu ändern gedachte.
„Du kennst die Küche?"
Archie nickte heftig.
„Mrs. Baker hat früher hier so leckere Sachen gekocht. Ich habe sie gerne gemocht."
Marshall schloss einen Moment die Augen, als er an seine Tante dachte, die nicht mehr unter ihnen weilte.
„Ich mochte sie auch und sie hat wirklich ganz lecker gekocht."
Er holte zwei Tassen aus dem Schrank und füllte sie mit Kakao.
„Marshmallows oder Sahne?"
Archies Augen leuchteten.
„Beides ... bitte."
Marshall lachte und holte noch eine Zuckerstange aus den Schubladen, die er in die Sahne steckte.
Archie sah die Tasse ehrfürchtig an, bevor er den ersten Schluck nahm und ein wohliges Geräusch von sich gab.
„Das ist der beste Kakao, den ich je getrunken habe, Mr. Marshall. Aber das sage ich meiner Mum besser nicht."
Marshall grinste.
„Das würde ich auch nicht machen. Die Sachen von Mums sind immer besser als alles andere. Auch wenn es nicht so ist."
Er zog eine weitere Schublade auf.
„Hast du Hunger? Ich kann dir noch ein Sandwich machen, bevor deine Tante kommt."
Archie nickte heftig, was Marshall wieder zum Grinsen brachte.
Von wegen Nervensäge. Archie war ein klasse Junge, mit dem er bestimmt gerne Zeit verbrachte.
„Bist du auch ein Bäcker, Mr. Marshall?"
Marshall nickte.
„Ja, ich bin Bäcker und außerdem noch ein Konditor. Aber nenne mich nur Marshall. Den Mister brauchen besondere Gäste nicht sagen."
Archie nippte wieder an seiner Tasse.
„Was ist ein Konditor?"
Marshall beugte sich zu ihm.
„Magst du Torten? Oder Cake Pops?"
Das Nicken fiel nun heftig aus.
„Nun, ein Konditor macht so etwas. Ich kann wunderschöne Torten machen."
Archie stellte die Tasse auf die Anrichte.
„Kannst du auch mal eine Torte für meine Mum machen? Darüber würde sie sich bestimmt freuen."
Marshall nickte.
„Das lässt sich bestimmt machen."
Er schnitt das Sandwich diagonal durch und reichte es Archie.
„Aber nun iss. Du musst Hunger haben."

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