3. Gleis neundreiviertel

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Gleis neundreiviertel
Die letzten zwei Wochen waren wie im Flug vergangen und meine Mutter und ich hatten die letzte Zeit richtig genossen. Zwar war die Leere, die mein Vater hinterlassen hatte immer noch deutlich spürbar, jedoch schien es mit jedem Tag leichter zu werden, aufzustehen und den Tag zu beenden. Am ersten September wachte ich schon bei Sonnenaufgang auf und als ich mich erinnerte, was heute für ein Tag war, konnte ich nicht anders, als anfangen zu strahlen. Morgen um diese Uhrzeit würde ich in Hogwarts aufwachen. Ich wartete bis meine Mutter wach war – den Koffer hatten wir bereits zwei Tage zuvor gepackt – dann stand ich auf um sie zu begrüßen. Zu meiner Überraschung schien es ihr nicht allzu gut zu gehen. Sie hatte Schatten unter den Augen und auch ihr Lächeln schien matt und freudlos. Als sie beim Frühstück schweigend den Tagespropheten las, brach ich das Schweigen: «Mum, ist... Alles ok?»-«Hm, Was?» Meine Mutter sah mich verwirrt an und mein Mut sank. Kleinlaut murmelte ich: «Nichts...» Meine Mutter lächelte schwach. «Denk bitte daran, Kath. Am Samstag ist Vollmond.» Schlagartig wurde mir übel und ich spürte wie das Blut aus meinem Gesicht wich. Meine Mutter nahm meine Hand. «Alles wird gut, Süße. Sprich einfach noch mal mit Dumbledore, okay?» Ich nickte und stand auf. Meine Mutter schwang ihren Zauberstab und das Geschirr begann sich, in der Spüle selbst zu waschen und zu verräumen. Als ich in mein Zimmer trat, thronte Aphrodite, mit einem Brief am Bein, auf meinem Bett. Ich lachte und nahm ihren Brief ab. Sie flog in Ihren Käfig und ich verschloss ihn. «Tut mir leid, Sweety. Aber ich darf dich erst in Hogwarts wieder freilassen.» Aphrodite blinzelte mich kurz an, dann steckte sie den Kopf unter den Flügel und schlief ein. Ich öffnete den Brief und heraus purzelten zwei tote Mäuse. Ich musste einen Schrei unterdrücken. Mit vor Ekel verzerrter Miene warf ich die Mäuse aus dem Fenster und las wütend den Brief.

Hey, Kath!
Na, gefällt dir unser Geschenk? Wir dachten, wieso schicken wir dir nicht einmal etwas Schönes! Ginny war jedoch nicht so begeistert als wir die Mäuse in ihre Schuhe gesteckt haben... Manche Leute verstehen einfach keinen Spaß! Wir sind alle total aus dem Hüttchen! Endlich nach Hogwarts! Treffen wir uns beim Hogwarts Express? Für einen Brief wird es wohl nicht mehr reichen, jedoch hoffe ich dass wir uns bald wiedersehen!
George und Fred

Schnaubend rollte ich den Brief zusammen. Manche Leute verstehen keinen Spaß! Wohl eher keinen Weasley-Spaß! Ich setzte mich noch einmal auf mein Bett und ließ meinen Blick durch mein Zimmer schweifen. Mein großer schwarzer Koffer war voll. Ich musste dort ja schließlich ein Jahr bleiben. Ich hatte noch eine Umhängetasche die ich von meinem Vater bekommen hatte, bei mir. Dort drin waren: Ein Buch, etwas zu trinken, zu essen und ein kleines Foto von meinem Vater, meiner Mutter und mir.
«Katherine! Kommst du?» Ich ging zur Treppe und rief von dort aus: «Der Koffer ist zu schwer!» Ich hatte mich bereits umgezogen. In eine enge Jeans, ein rotes T-Shirt und meine Haare offen. Natürlich.

Meine Mutter kam nach oben. «Lass mich das mal machen. Jetzt setz dich kurz aufs Bett.» Ich gehorchte. Meine Mutter rief meinen Drehstuhl zu sich, der sofort zu ihr rollte. Sie setzte sich darauf und sah mich ernst an. «Denk dran Süße, Hogwarts ist eine Schule. Dort wird es Freunde wie auch Feinde geben. Lass dich nicht auf das Niveau deiner Feinde. Okay?» Ich nickte. «Und noch etwas. Hol so viele Punkte für dein Haus wie möglich und mach dir viele Freunde. Aber pass auf. Manchmal sind drei beste Freunde mehr wert wie hundert Bekannte. Okay?» Ich nickte wieder, dabei biss ich mir aufgeregt auf die Unterlippe. Meine Mutter lächelte. «Mehr kann ich nicht sagen. Dass du auf dich aufpassen sollst und wieder heil nach Hause kommen, weißt du ja bereits.» Ich grinste meine Mutter bloß an, was Antwort genug war. Ich ließ meinen Blick noch einmal durch mein Zimmer schweifen. Hatte ich alles? Meinen Zauberstab trug ich bei mir. Direkt bei meiner Hose, ich musste nur nach hinten greifen und ich hatte ihn bereits in meiner Hand. Meine Mutter nickte und sagte bloß noch: «Gehen wir. Dein Zug fährt um elf. Und jetzt ist neun.»

Wir kamen um 10:15 Uhr an. Meine Mutter hatte den Koffer und den Eulenkäfig mit einem Schwebezauber in den magisch vergrößerten Kofferraum fliegen lassen und nun saß ich neben ihr, aufgeregt auf meinen Fingernägeln kauend und aus dem Fenster starrend. Als wir endlich ankamen, sah ich auch schon viele Leute die mit riesigen Koffern und Eulenkäfigen oder Katzen auf dem Arm in den Bahnhof liefen. Nachdenklich betrachtete ich die Menschen, die fortan mit mir auf einer Schule sein würden. Einige sahen freundlich aus, wiederrum andere sahen so aus als würden sie niemanden mögen außer sich selbst. Und alle wirkten so groß und einschüchternd. Jeder hatte schon seinen Freund oder seine Freundin. Jedoch wusste ich, die Zwillinge würden mich nicht beiseitelegen, also stieg ich schnell aus dem Auto. Meine Mutter war merkwürdig still geworden. Und auf einmal dämmerte es mir, weshalb sie so still war. «Mum, nur weil ich nicht mehr daheim bin, heißt es dass du ganz alleine bist, okay? Frag doch hin und wieder mal Mr. Oder Mrs. Weasley ob sie etwas mit dir machen.» Meine Mutter schien erleichtert. «Danke, meine Süße. Komm, sonst bekommst du keinen Platz mehr im Zug.» Ich nahm meine Umhängetasche und Aphrodite und meine Mutter zog den Koffer. Irgendwann holte ich meine Zugfahrkarte heraus. Sie war golden und hatte vorne darauf eine rote Dampflok. «Mum... Wie genau komme ich zu einem Gleis dass neundreiviertel heißt?» Meine Mutter grinste mich an. «Das wirst du gleich sehen.» Auf einmal blieb meine Mutter vor einem Pfahl stehen. Es war ein dicker Pfahl aus massivem Stein. Oben links hing eine Ziffer mit neun und rechts eine mit zehn. «Mum? Wieso stehen wir hier und gucken den Pfeiler an?»-«Das ist der Eingang zum Gleis neundreiviertel.» Ich riss meine Augen ungläubig auf. Dann sah ich auch schon, wie zwei Jugendliche mit Koffern und Eulenkäfigen schwatzend an uns vorbeiliefen, direkt auf die Wand zu. Dann – wo sie eigentlich hätten aufschlagen sollen – verschwanden sie. Es war als wären sie in den Pfahl hinein gegangen. «Alles ok?» Meine Mutter sprach sanft in mein Ohr und ich holte tief Luft. Dann nickte ich. Meine Mutter sah unauffällig nach links und rechts um zu sehen, ob ein Muggel gerade hinsah. Dann nickte sie mir zu und gemeinsam liefen wir auf den Pfahl zu. Dann, als ich dachte wir müssten aufschlagen- wurde es schwarz um mich herum. Und auf einmal stand ich auf der anderen Seite des Pfahls doch anstatt den Bahnhof Kings Cross zu sehen befand ich mich auf einem anderen Bahnsteig. Ich lief um die Ecke und blieb sogleich stehen. Mein Mund klappte auf. Eine rote Dampflok stand dort, abfahrbereit und wunderschön anzusehen. Über ihr hing ein Schild auf dem stand: Gleis neundreiviertel Hogwarts Express. Ich fing an zu strahlen und meine Mutter führte mich mehr in die Menschenmenge. Ich hatte noch nie so viele Zauberer und Hexen auf einem Ort gesehen. Eltern verabschiedeten sich von ihren Kindern, Eulen kreischten um die Wette und manche Jugendliche fielen sich erfreut in die Arme. Als ich eine bekannt aussehende rotköpfige Familie erkannte, ging ich lächelnd auf die Weasleys zu.

Als Mrs. Weasley mich erkannte, nahm sie mich fest in den Arm, nur um gleich danach dasselbe mit meiner Mutter zu tun. Ginny hatte sich am Bein von Mr. Weasley festgeklammert. Sie weinte. «Aber Daddy, bitte! Ich würd bestimmt brav sein!» Mr. Weasley versuchte nun auch Ron zu beruhigen der ihn ebenfalls nervte. «Komm schon, Daddy. Ich sehe bestimmt für die aus wie elf!»-«Ginny, bitte. Steh auf. Es dauert ja nicht mehr lange. Und Ron- reiß dich zusammen! Du weißt das es nicht geht!» Fred und George standen etwas abseits. Sie machten einen leicht verlorenen Ausdruck und grinsend ging ich auf sie zu. «Fred! George!» Als die Zwillinge mich sahen, fingen sie an zu grinsen. «Kath!»-«Hey, Jungs. Wie geht's?» Sie grinsten und sagten gut. «Wo sind Charly und Percy?»-«Percy hängt irgendwo bei seinen Streberfreunden ab und Charly versucht es, glaube ich bei einem Mädchen.» Ich lachte. Als jemand mit einer Schriller-Pfeife pfiff, entstand plötzlich Bewegung beim Bahnsteig. Meine Mutter kam auf mich zu, mit Tränen in den Augen. «Süße, dein Koffer und Aphrodite sind schon im Zug. Pass gut auf dich auf.» Ich lächelte leicht. Ich hatte einen schweren Kloß im Hals und sah meine Mutter zögerlich an. Dann umarmte ich sie und sie gab mir noch einen Kuss. Dann flüsterte sie mir ins Ohr: «Dein Vater wäre so stolz!» Tränen stiegen mir in die Augen, doch bevor sie austreten konnten, hatten Fred und George mich gepackt und zum Zug gezerrt. Ich winkte meiner Mutter noch schnell, dann stiegen wir ein. Die Türen schlossen sich, der Zug fuhr an und dann beschleunigte er, bog um die Ecke und dann verschwand der Bahnhof Kings Cross.


Fred und George sahen mich abwartend an. Ich drängelte mich etwas durch und suchte nun den engen Gang zwischen Zugwand und Abteiltüren ab. «Was suchst du?» fragte Fred mich. Ich sah nicht über die Schulter. «Ein leeres Abteil.» Schließlich fanden wir eins und wir ließen uns seufzend nieder. Hinter dem großen Fenster zogen zuerst Häuser vorbei, die jedoch immer spärlicher wurden. Ich öffnete meine Umhängetasche und holte mein Essen und Trinken heraus. Die Zwillinge und ich hatten uns aufgeregt unterhalten, bis die Abteiltür auf einmal aufging. Charly stand dort, grinsend. «Hey, Kath!» Ich sprang lachend auf und umarmte ihn. «Na, freust du dich?»-«Und wie! Obwohl ein paar Sorgen mach ich mir schon um Mum...» Charly winkte ab. «Die kommt klar. Sie muss ja auch arbeiten, ist ja nicht so, als würde sie den ganzen Tag nur rumhängen.» Ich nickte. Fred und George hatten sich angefangen zu streiten. «Vergiss es! Ich schlafe oben!»-«Nein, ich!» Nun begannen sie, sich zu prügeln. Ich lachte und auch Charly schüttelte den Kopf. Dann beugte er sich zu mir rüber und flüsterte: «Eigentlich sind es keine Doppel- sondern Einzelbetten. Sie prügeln sich völlig grundlos. Aber, psst!» Ich lachte lauf auf und Charly verließ augenzwinkernd das Abteil. Irgendwann hatten sich Fred und George beruhigt. Beleidigt wollten sie sich nur wieder hinsetzen, wenn ich zwischen Ihnen saß.

Nach einer halben Stunde war es, als wäre nie etwas passiert. Aufgeregt sah ich aus dem Fenster. Die Abteiltür wurde wieder aufgeschoben. Dieses Mal war es eine etwas ältere Frau die einen Wagen schob, der bedeckt war mit Süßigkeiten. Ich sprang sofort auf und kaufte mir etwas. Fred und George sahen mich mit roten Backen an. Die Familie Weasley hatte nicht besonders viel Geld weshalb sie sich keine teuren Sachen leisten konnten. Doch ich teilte meine Süßigkeiten mit ihnen und bald sanken wir, vollgestopft bis obenhin, zurück.

Als die Sonne tief am Himmel stand, kam Percy herein, schon in seinem Schulumhang. «Ich habe gerade mit dem Lokführer gesprochen. Wir sind bald da, also solltet ihr euch vielleicht schon einmal umziehen.» Aufgeregt schickte ich die Zwillinge hinaus. Sie wollten unbedingt drinnen bleiben. «Vergesst es!»-«Aber du hast doch eh noch nix!» sagte George grinsend, was ihm eine Ohrfeige einbrachte. Erschrocken und doch erstaunt und bewundernd musterten sie mich. Ich wurde rot. Dann gingen sie beide, lächelnd. Ich ließ die Schalosien hinunter, sodass niemand spicken konnte. Dann zog ich mich um. Als ich mich später in der Spiegelung des Fensters betrachtete, fand ich dass ich gar nicht einmal so schlecht aussah. Auf einmal begann meine Narbe im Genickt zu brennen. Ich schlug erschrocken die Hand darauf. Ich sah bebend aus dem Fenster. In meiner ganzen Vorfreude hatte ich vergessen dass am Samstag Vollmond sein würde, weshalb der Mond jetzt schon sehr voll aussah. Die Sonne war gerade untergegangen und der Mond der schon seit Mittag dastand, wurde mit jeder Sekunde heller. Und mit jeder Sekunde wurden meine Schmerzen größer. Schnell trank ich einen Schluck Wasser und dann ging es wieder etwas. Es klopfte an der Abteiltür und zitternd öffnete ich die Tür. Fred und George standen da. Fred sagte gerade: «Siehst du, sieht hat noch was a-» er brach ab und sah mich mit großen Augen an. Ängstlich warf ich meine Haare zurück. Sah man schon etwas? Doch George sah mich genauso an. Zitternd fragte ich: «Was ist denn los?» George lächelte. «Ich hab mich geirrt. Die Schuluniform steht dir echt gut.»

Als der Zug dann endlich hielt traten die Schüler hinaus auf den dunklen Bahnsteig. Auf einmal hörten sie eine dunkle Stimme. «Erstklässler zu mir!» Wir drehten uns um und erblickten den größten Mann den ich jemals gesehen hatte. Er war doppelt so groß wie ein ausgewachsener Mann und er hatte wildes dunkles Haar und einen struppigen Bart. Seine dunkle Stimme schallte mächtig über die Menschenmenge hinweg. Einige riefen: «Hallo, Hagrid!» Und er antwortete immer freundlich und mit einem Lächelnd dass unter seinem Bart kaum zu sehen war. Als Fred, George und ich jedoch näher traten konnte ich sehen, dass seine Augen gütig und belustigt wie zwei schwarze Perlen auf uns herabblickten. «Ah, ihr seid die Weasley Zwillinge, nicht wahr? Charly hat mir schon erzählt, dass man auf euch ein Auge haben müsse!» Die Zwillinge grinsten sich an, dann nahmen sie mich in die Mitte und alle Erstklässler folgten Hagrid der sie zu einem Seeufer führte. «Dann mal alles rein in die Boote! Und nur drei pro Boot!» Die Zwillinge und ich setzten uns in eines und die Boote fuhren langsam an. Als wir um eine Ecke bogen, sahen wir auf einmal auf der anderen Seite des Sees, ein großes, schwarzes Schloss mit Zinnen und Türmen leuchten. Es schien, als würde es dort hingehören. Der See spiegelte die ganzen Lichter und alle tuschelten aufgeregt. Dies war also Hogwarts, Schule für Hexerei und Zauberei.

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