19. Blutmond

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Die Zeit schien im Schneckentempo vorwärts zu kriechen und doch kam der nächste Vollmond immer näher. Ich wurde zusehends nervöser, da meine Mum seit Tagen nicht mehr nach Hause kam. Wütend und zugleich besorgt beobachtete ich jeden Tag die Feuerstelle, las den Tagespropheten nach Neuigkeiten und schrieb ihr mindestens drei Briefe am Tag.
Doch sie antwortete nie.

Schließlich kam Vollmond.
Ich suchte mir eine verlassene Waldhütte, weit weg von meiner Stadt und packte mir am Nachmittag Proviant ein.
Ich nahm außerdem noch eine Lampe, eine Decke und meinen Zauberstab mit.
Schließlich packte ich noch meinen Geldbeutel mit ein, da ich mit dem Bus aus der Stadt fahren musste.
Mit geschultertem Rucksack und passenden Wanderschuhen trat ich schließlich aus dem Haus.

Ich stieg in den nächsten Bus und fuhr eine Stunde lang, bis ich bei einer verlassenen Bushaltestelle ankam. Diese grenzte an einem Parkplatz, wo sich zu meinem Entsetzen gerade eine Familie zum Campen vorbereitete. Mit klopfendem Herzen trat ich näher.
«Entschuldigen Sie?» Ein Mann sah auf und lächelte.
«Kann ich dir helfen?»
«Nein, ich wollte nur fragen, sie haben doch nicht vor, in dieser Waldhütte zu schlafen?» lachte ich nervös. Der Mann runzelte die Stirn.
«Doch wieso? Hatten sie vor, dort zu schlafen? Ich bin sicher, es ist genug Platz für uns alle da.» Er musterte mich freundlich, doch ich wusste dass seine Augen bei meinen Narben kurz verharrten.
«Nein, ich...» Ich dachte scharf nach, was sie zum Umdrehen bringen könnte.
«Ich habe nur eine Warnung bekommen. Über Wölfe.»
«Alles in Ordnung, Schatz?» Eine Frau trat an die Seite des Mannes und musterte mich freundlich.
«Ja, alles in Ordnung. Setz dich bitte wieder ins Auto. Der Arzt hat gesagt, du sollst dich nicht überanstrengen.» Die Frau lächelte liebevoll und strich zärtlich über ihren angeschwollenen Bauch. Als sie weg war, wandte sich der Mann wieder mir zu.
«Keine Sorge, ich habe ein Gewehr dabei. Bitte mach dir keine Sorgen.»
Damit wandte er sich ab und klopfte einen kleinen Jungen auf seine Schulter. Der kleine Junge schlug mit einem Stock auf einen Stein und schrie dabei: «Möge die Macht mit dir sein!»
Dann rannte er im Kreis einem Raumschiff imitierend. Und summte dabei eine Melodie.
Verzweifelt konnte ich der Familie nur zusehen wie sie im Wald verschwand. Die Zeit war zu knapp, als dass ich mir einen anderen Ort hätte suchen können.

Wütend auf mich selbst, dass ich die Gefahr nicht gesehen hatte, stampfte ich ebenfalls in den Wald.
Der Abend legte sich wie einen Mantel über die Welt und die Sonne versank als gleißender Feuerball im Westen. Ich hatte eine kleine Lichtung gefunden, welche einsam und verlassen mitten im Wald lag. Als es immer dunkler wurde, zündete ich meine Lampe an und breitete die Decke aus. Ich schrie einmal laut auf, nur um zu sehen ob mich jemand hörte. Doch außer ein paar Vögel welche erschrocken aufflatterten, geschah nichts.
Ich versuchte mich zu entspannen, verdrängte die Angst welche bei mir aufkeimte als ich meinen Blick über den dunklen Wald schweifen ließ. Dann stieg der Vollmond auf und ich erschrak als ich sah, dass er rot wie Blut war.

Meine Narbe begann zu brennen und schreiend kauerte ich mich zusammen. Schweißperlen glitzerten auf meiner Stirn und ich zitterte wie Espenlaub. Meine Knochen schienen in Flammen zu stehen. Ich riss mir meine Kleider vom Leib in der Hoffnung, die Hitze abzulegen, wie meine Kleidung doch sie blieb. Sie blieb und schien alles zu verbrennen.
Meine Stimme hallte wieder von den Bäumen und zum ersten Mal wollte ich gefunden werden. Bevor meine menschliche Seite etwas tun konnte, taumelte ich bereits in den Wald. Ich lief und lief, schrie dabei um Hilfe.
«Hallo? Bitte!»
Auf einmal sah ich Licht. Erleichtert taumelte ich darauf zu, doch ich flog hin. Denn meine Füße, veränderten sich bereits. Die Tür der Hütte ging auf und der Mann aus der Familie trat heraus. Seine Frau und sein Sohn drückten sich ängstlich gegen die Scheibe und spähten hinaus in die Dunkelheit.
Zu schwach um zu schreien, sank ich auf die Knie. Dabei hörte ich wie die Frau ängstlich zu ihrem Mann sprach.
«Ich bin mir sicher, ich habe jemanden schreien gehört.»
«Ich war mir auch sicher. Aber ich kann nichts sehen!»
Meine Knochen brannten und ich stieß einen letzten markerschütternden Schrei aus, dann erhob ich mich wobei mein dunkler Pelz im Licht des Blutmondes leuchtete.

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