46. Nathalie // Moondancer

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Ich kam etwas näher, streckte ihm liebevoll meinen Kopf entgegen und begann vorsichtig mit den Lippen an seinem Hals zu spielen. Er lachte. „Das kitzelt!" Doch genauso wenig ließ er mich in Ruhe. Seine Hände wanderten kurz über meine Stirn und er gab mir einen sanften Kuss auf die Nase. „Ich liebe dich selbst als Pferd, weißt du das?", sagte er bestimmt, fing direkt danach aber wieder an zu kichern. „Das ist merkwürdig! Ich weiß genau, dass du es bist, ich sehe deine Augen, ich höre deine Stimme und du fühlst dich auch wie immer an. Das klingt so bescheuert, aber es ist so! Und trotzdem steht vor mir ein Pferd!" Er schob meinen Kopf etwas von sich weg. Unwillig schüttelte ich mich, sodass meine Mähne nur so durch die Gegend peitschte, ging dann aber einen Schritt nach hinten. „Soll ich dir meine Welt zeigen?", fragte ich leise. Ich hatte es so oft bei Marion gemacht, da würde es doch auch bei Marco klappen. „Prinzipiell hätte ich nichts dagegen, aber ich ahne, dass das zu viele Information auf einmal werden. Wobei ich schon wahnsinnig neugierig wäre, aber wirklich. Ich komme noch nicht einmal darauf klar, dass das wirklich du bist!", schmunzelnd krault er meinen Rücken. „Kein Problem. Aber steig trotzdem auf, ich will noch zu Mario. Er wartet auf dem Hof. Und wenn du jetzt mit deinen langsamen Menschenbeinen versuchst mit mir Schritt zu halten, wird das nichts!", belustigt stupste ich ihn gegen die Wange. „Lass mal lieber. Ich denke, das ist keine gute Idee.", versuchte er sich rauszureden, doch ich zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Mir egal, ich laufe dann aber voraus.", ich drehte mich noch einmal nach ihm um, ehe ich mich im Trab durch den Schnee zurück zum Hof kämpfte. Er joggte etwas hinter mir, ich konnte ihn hören. Also war noch alles so wie es sein sollte.

Wie erwartet stand mein Meister auf dem Hof und schien auf mich zu warten. Als ich in das Licht trat wurden seine Augen groß. „Nathalie?!", rief er erschrocken aus. „Nope, Hanna.", gab ich zurück und verlangsamte mein Tempo einige Meter vor ihm. „Du siehst aus wie sie...", murmelte er fasziniert und kam näher um mich von oben bis unten zu mustern. „Aber du bist deutlich kräftiger und dein Haar ist etwas dunkler als ihres. Nicht übel.", kommentierte er mein Aussehen mit geübtem Pferdetrainerblick. Doch dann bemerkte er die lange, weiße Narbe an meiner Hinterhand, die einige Nuancen heller war als mein normales Fell. „Was hast du da gemacht?", wollte er wissen und deute darauf. „Ich hatte einen Unfall in den Herbstferien. Anfang November, hast du das nicht mitbekommen?", erklärte ich. „Doch, aber ich habe es nicht für dramatisch gehalten wenn einen Monat später wieder alles verheilt war. Normalerweise ist man bei einem solchen Unfall, wie mir geschildert wurde, für mindestens ein halbes Jahr auf Krücken unterwegs." „Ich bin ein magisches Wesen. Bei uns heilt allgemein alles innerhalb von einer unnatürlichen Rekordzeit...", erklärte ich meine Theorie über meinen Heilungsprozess, welcher mir selbst schon überraschend schnell vorgekommen war. „Alles klar, dann stimmt es doch. Das habe ich auch schon irgendwo gehört." Ein Geräusch hinter mir ließ ihn herumfahren. „Ah, da bist du ja endlich.", sagte er zu Marco. „Gehst du bitte wieder rein?"

Ich konnte förmlich hören, wie der Junior mit den Zähnen knirschte, aber anstandslos der Bitte nachkam. Ansonsten hätte das nur wieder zu einem Streit geführt. Und den konnten Beide im Moment nicht gebrauchen. Wir sahen ihm hinterher, doch erst, als Mario sicher war, dass ihn niemand mehr belauschen würde, sprach er wieder. „Komm mit, Hanna. Ich möchte dir etwas zeigen.", begann er geheimnisvoll. Ich neigte etwas den Kopf und folgte ihm, als er voraus in den Schnee stapfte. Obwohl im Mondlicht alles gleich auszusehen schien, fand mein Meister seinen Weg sicher und bestimmt. Je tiefer wir den Wald betraten, desto unruhiger wurde ich. Was hatte er vor? Und warum sagte er nichts mehr?

Erst als wir gefühlt eine Stunde gelaufen waren, hielt Mario an. Er wirkte plötzlich abweisend, fast apathisch, als unter einer Tanne hindurch tauchte und vor einer kleinen Anhöhe stand. Da der Wald an dieser Stelle nicht sehr dicht war, hatte ich einen wunderbaren Blick auf den verschneiten Hügel. Es war kein besonders Großer, doch darauf war etwas, was mir seltsam bekannt vorkam, aber ich mit Sicherheit noch nie gesehen hatte. Ein altes, verwittertes Steinkreuz ragte etwas schief in die Luft. Es ging mir vielleicht bis zum Knie, hoch war es nicht. Schnee und Moos hatten es mit der Landschaft verschmelzen lassen, sodass ich es ohne genaueres Hinschauen nicht bemerkt hätte. „Geh dorthin. Und hör sie dir an.", brachte mein Begleiter hinaus. Mühevoll. Seine Stimme zitterte, er klang, als hätte er mit etwas zu kämpfen. Und die Kälte war das sicherlich nicht.

Moondancer - Maître des ChevauxWo Geschichten leben. Entdecke jetzt