7. Sylvain

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Nach dem kalten Mittagessen, es gab Sandwiches, war es wirklich aufgeklart. Mit der Zeit waren sogar ein paar bekannte Gesichter aufgetaucht, die zum Training vorbeikamen.

Als ich nach meinem Käsebrot wieder aus der Küche trat, lachte mir zudem die Sonne entgegen. Meine Augen brauchten eine Weile, bis sie sich von der dunkleren Küche zu dem hellen Winternachmittag draußen umgestellt hatten. Blinzelnd versuchte ich, wieder etwas zu sehen und als sich die Umgebung allmählich verschärfte, erkannte ich zwei Gestalten, die an dem Geländer des Sandplatzes in der Mitte des Hofes lehnten. Noch während ich realisieren musste, wer die zwei waren, winkten sie mir schon zu. Eine junge Frau mit langen, braunen Haaren, die dringend wieder eine blonde Färbung benötigten und neben ihr ein ebenfalls junger Mann, mit braunen, schulterlangen, zurückgegeelten Haaren, die von einem dunkelblauen Bandana aus der Stirn gehalten wurden. Beide trugen schwarze Reithosen, gefütterte Reitstiefel und dicke Outdoorjacken.

Marion und ihr Freund, Chris. Als ich das realisierte, breitete sich ein strahlendes Lächeln auf meinem Gesicht aus und ich bewegte mich schnell in ihre Richtung. Ich rannte nahezu. Dann fiel ich zuerst meinem ehemaligen Rivalen um den Hals, gab ihm gleichzeitig die Bises und begrüßte dann meine Freundin.

Lachend umarmte sie mich. "Und? Wie geht's?", begrüßte sie mich. "So wie immer... Und euch?" "Kann nicht klagen.", meinte Chris grinsend, legte Marion einen Arm um die Schulern und zog sie an sich, um ihr einen Kuss auf die Schläfe zu geben. Sie schmunzelte, schob ihn dann aber vor sich. "Nicht vor Hanna", entschuldigte sie sich leise. Ihr Freund hob fragend eine Augenbraue, doch wieder blockte meine Freundin ab, indem sie nur den Kopf schüttelte. Ich warf ihr einen dankbaren Blick zu, sie hatte nicht vergessen, wie ich zu Pärchen stand. Natürlich war ich nicht dagegen, um Gottes Willen, natürlich nicht! Ich konnte es nur nicht mit ansehen, ohne immer wiede daran erinnert zu werden, was mein Schicksal war. Und das schmerzte.

"Sollen wir eigentlich mal die Pferde richten gehen?", wollte ich schließlich wissen, um vom Thema abzulenken. "Oh ja, das sollten wir wirklich.", ging Marion darauf ein und schüttelte Chris Arm von ihrer Schulter, der dort immer noch geruht hatte. Allerding nahm sie direkt seine Hand und zog ihn daran zielstrebig in Richtung Stall. Ich hatte eine gewisse Ahnung, wer in dieser Beziehung die Hosen anhatte, so wie ich den Beiden kurz nachsah, ehe ich ihnen folgte.

"Ich hoffe, Triste ist noch frei.", kommentierte meine Freundin, während sie kurz einen Blick nach links und rechts warf. "Dein Apfelschimmel vom letzten Jahr Kaltenberg?", fragte ich neugierig. "Ja, genau. Er ist wunderbar zum reiten... Und ich nehme an, nach deinem Pferd brauche ich gar nicht fragen, oder?", schmunzelte sie. "Nein. Unser Goldstück steht bei den anderen Jungpferden am rechten Ende des Stalls. Und es geht ihm ziemlich gut, soweit ich weiß. Heute Morgen konnte ich kurz nach ihm sehen, als wir seine Altersgenossen auf die Weide gebracht hatten.", grinste ich zurück. "Achso, du schläfst ja auch hier, oder?", erinnerte sich Marion wieder. "Stimmt.", bestätigte ich. "Dann hast du ja alle Zeit der Welt, um dich an einen der Söhne von unserem Chef ranzugraben, um für die nächste Generation Stuntreiter zu sorgen.", stichelte Chris dazwischen. Ich streckte ihm die Zunge raus "Lustig, Christophe. Lustig.", meinte ich sarkastisch. "Wieso? Das ist doch die beste Gelegenheit?", piesackte er weiter. Ich schenkte ihm einen 'Ernsthaft?!'-Blick und ließ die Sache auch damit offen im Raum stehen, indem ich einfach nach rechts davon marschierte, um meinen Hengst endlich zu satteln. Ich hörte noch, wie der Stuntreiter leise kicherte, doch ich achtete nicht weiter darauf.

Vito streckte erwartungsvoll den Kopf aus dem Fenster zur Stallgasse, als er meine Schritte hörte. "Hallo, meine Kleine.", begrüßte er mich liebevoll. Ich nahm seine weiche Nase zwischen meine Hände und drückte ihm einen sanften Kuss darauf. "Hallo, Großer. Bist du bereit für einen kleinen Ausritt?", wisperte ich als Begrüßung. "Natürlich. Ich bin immer bereit, wenn du mich darum bittest." Er ging respektvoll ein paar Schritte zurück, um mir Platz zu machen, damit ich die Tür öffnen konnte. Kurz umarmte ich ihn, genoss den kurzen Moment der Vollständigkeit. Denn meine Seele war nur vollständig, mit ihm. Er war ein Teil meines Geistes. Vielleicht ähnlich wie die Sache mit den Horkruxen aus Harry Potter? Nur das es positiv war und nicht negativ. "Bist du sauber?", nuschelte ich irgendwann. Momentan wollte ich den Hals meines Falben nämlich nicht loslassen, um Putzzeug zu holen. Vielleicht war ich auch einfach zu faul, die Wärme meines Pferdes aufzugeben, um über den halben Hof zu rennen. "Ich glaube nicht, ich habe mich vorhin noch einmal am Stroh den Rücken schubbern müssen.", enttäuschte er mich. "Meh.", grummelte ich und ließ ihn schlussendlich los, um meiner Pflicht nachzugeben.

In der Sattelkammer brauchte ich eine Weile, bis ich mich in diesem riesigen Raum zurecht gefunden hatte, doch dann machte ich auch schon Vitos hübsches Sattelzeug aus. Seine Trense hängte ich über die Schulter und bevor ich den Sattel nahm, füllte ich meine Hände erst noch mit ein paar Bürsten. Den Sattel legte ich dann über meine Unterarme. So vollgepackt lief ich zu meinem Falben zurück und hängte die Trense an den Haken, wo auch sein Halfter hing. Den Sattel musste ich auf den Boden legen und die Bürsten nahm ich mit in seine Box, wo ich gleich auch anfing, meinen Falben auf Hochglanz zu polieren. Es dauerte nicht so lange, bis er von allen Resten der Sägespäne und den Strohpartikeln befreit war. Insgesamt brauchte ich genau 25 Minuten, bis ich mit einem gesattelten Vito auf dem Hof stand, auf dem bereits einige der anderen Reiter warteten. Chris war zum Beispiel schon fertig und zusammen mit Rango zog er ein paar Kreise um uns herum, um sich und das Pferd warmzuhalten. Noch während ich aufstieg, kam auch Mario auf Quichote, einem Apfelschimmel mit einer Mähne bis zu den Beinen. Doch sie war zu dicken Zöpfen geflochten, sodass das Haar nicht im Weg war.

"Sind schon alle da?", fragte er, während er gleichzeitig versuchte seinen Hengst zu beruhigen, der unruhig von einem Bein auf das Andere tänzelte. Man konnte förmlich spüren, wie er gespannt darauf wartete, endlich die ersten Hilfen von dem Meister zu bekommen.

"Fast.", antwortete ein Reiter, den ich noch nie vorher gesehen hatte. Sein erster Eindruck ließ mich innerlich klein werden und Vito ging durch meine Anspannung sofort einige Schritte zurück. Er hatte dichtes, schwarzes Haar, das ihm bis über die Ohren zerzaust auf dem Kopf hing. Seine durchdringenden, blauen Augen strahlten etwas magisches aus, was ich nicht beschreiben konnte. Dieses einfache Wort, welches aus seinem Mund gekommen war, reichte, um mich dazu zu bringen, am liebsten umzudrehen und davonzurennen. Er schien nicht einmal alt. Vielleicht Mitte zwanzig. Wer zur Hölle war das?

Ich war wie gefesselt von ihm. Sein starrer Blick schien mich gefangen zu halten, obwohl er mich noch nichtmal bermerkt hatte. So bekam ich auch nicht mit, wie Marion plötzlich neben mir auftauchte. "Hanna?", fragte sie leise, was mich urplötzlich zurück in die Realität katapultierte. "Hör auf, Sylvain so anzustarren.", ermahnte sie flüsternd. "Sylvain?", wiederholte ich verwirrt den merkwürdigen Namen des Reiters. "Ja, er ist ein wenig bizarre, ständig für sich, aber ein unheimlich guter Reiter. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sogar fast sagen, er ist ebenfalls ein Moondancer. Aber er scheint mehr das Tier unter sich zu befehlen, nicht auf dieser freundschaftlichen Basis wie du es tust.", erklärte sie. "Er ist auf jeden Fall keiner von meiner Art, aber es gehen enorme Kräfte von ihm aus." noch immer konnte ich meinen Blick nicht von diesem Typen abwenden. Doch plötzlich schien seine umherziehenden Augen mich zu erfassen und für eine kurze Weile schien er in meinem Blick festzuhalten, mich zu analysieren. Gleichzeitig spürte ich eine gewaltige Macht am Rande meines Bewusstseins. Sofort drückte ich Vito meine Fersen in den Bauch und gab ihm die Hilfen, nach hinten auszuweichen. So löste ich diese intensive Verbindung, die kurz zwischen uns bestanden hatte und tat alles daran, meinen Geist von ihm zu entfernen. Doch ich schaffte es nicht ganz. Für einen kurzen Augenblick verbanden sich seine Energieströme mit meinen, ehe ich ihn mit einer geballten Ladung an Macht wieder aus mir hinausschleuderte. Noch für einen letzten Moment lieferten wir uns ein Blickduell, wobei ich hier deutlich den blauen Energiekreis um seine Pupillen ausmachen konnte. Er war auf jeden Fall in irgend einer Weise magisch. Aber was war er?

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Auf dem Bild ist Sylvain zu sehen.

Moondancer - Maître des ChevauxWo Geschichten leben. Entdecke jetzt