29. Erwischt

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Fünf Minuten später als ich sollte war ich bei Mario. "Guten Morgen, Hanna.", trällerte er absichtlich motiviert. "Genau. Guten Morgen.", murmelte ich sarkastisch und stützte mich auf der Bande ab. "Kommste rein? Ich will dir etwas zeigen."

Seufzend öffnete ich das Tor und trat ein. Le maître hatte eine mittellange Peitsche in der Hand und Vito am Halfter, was ich erst jetzt bemerkte. "Hallo, Großer.", begrüßte ich ihn kurz. "Salut ma petite.", gab er zurück und blies mir sanft seinen Atem ins Gesicht. Ich schenkte ihm noch ein kurzes Lächeln, bevor ich mich wieder Mario zuwandte.

"Was steht an?", wollte ich wissen? "Training. Mit akutem Sprechverbot.", erklärte er knapp. Innerlich seufzte ich. "Du solltest alle Methoden erlernen.", fügte er noch hinzu und zwinkerte belustigt. "Hmm. Ok.", murmelte ich und gab mir einen Ruck. "Also, wo fangen wir an?", fragte ich und kraulte Vito im Nacken.

"Ich nehme an, dein Pferd kennt die eigentliche Methode, wie man sich zu Verbeugen hat, noch gar nicht. Und wenn du auch nur ein Wort sagst...", er machte eine bedeutungsvolle Pause und zeigte hinter sich. "... auf der Bande liegt Panzertape. Ich muss es nur holen gehen. Also sei gewarnt, Hanna." Panzertape? Ich ahnte, was er damit vorhatte. Und es von der Haut abzuziehen, war sicherlich nicht leicht, das wusste ich. Vor allem war das schmerzhaft. Vielleicht wäre es also keine gute Idee, irgendetwas zu sagen.

Statt irgendetwas zu erwidern nickte ich nur. Dieses ultrastarke Klebeband brauchte ich nirgends an mir kleben. "Kennst du die Methode?", fragte Mario weiter und drückte mir mein Pferd, zusammen mit einer Gerte, die er vom Boden aufhob, in die Hand. Es war lange her, dass ich mit diesem Hilfsmittel ein Pferd berührt hatte. Ich hatte es in letzter Zeit nur als obligatorisches Mittel verwendet, um nicht so auszusehen, als würde ich den Pferden gar keine Hilfe geben. Denn das käme komisch, das wusste ich. Schließlich schüttelte ich noch den Kopf als Verneinung auf Marios Frage.

"Ok, dann diktiere ich dir die Schritte. Pass auf. Zuerst führst du dein Pferd in eine Ecke, damit du eine Begrenzung von der Seite und hinten an das Tier hast.", erklärte er den ersten Teil. Ich tat wie geheißen und positionierte meinen Falben in einer Ecke der Halle. Mein Pferd war konzentriert bei der Sache. Er stellte sich schon darauf ein, meine Körpersprache zu interpretieren.

"Steht er? Dann nimm den Strick etwas auf, damit er eine Begrenzung nach vorne hat und nicht nach vorne ausweichen kann. Anschließend tippst du ihn vorne am Fesselgelenk an. Nicht hinten, denn das ruft eine Reaktion nach vorne aus, aber wir wollen ja eine Reaktion nach hinten, sodass er den Huf nach hinten zieht. Führe das fort, damit er versucht, nach hinten auszuweichen. Wenn er merkt, dass das nicht mehr geht, wird er irgendwann von selber versuchen, den Kopf hinunter zu nehmen, also mach dir damit keinen Stress. Versuch es mal.", lautete seine nächste Anweisung. Sanft tippte ich also mit der Gerte an die Vorderseite von Vitos Fesselgelenk. Sofort gehorchte der Falbe mit dem Hochheben seines Beines, wusste jedoch noch nicht so richtig, was er damit anfangen sollte.

Kontinuierlich fuhr ich mit dieser Prozedur fort, hielt sein Bein oben, indem ich es immer und immer mit der Gerte berührte. Dann trieb ich ihn damit rückwärts, sobald er von selber seinen Huf in der Luft behielt. Der Falbe kapierte immer noch nicht wirklich, worauf ich hinauswollte, merkte jedoch schnell, dass er weiter nach hinten sollte. Als er dadurch automatisch sich kleiner machte, um das Bein weiter hinten zu platzieren, fiel bei ihm endlich der Groschen. Mit einem erleichterten Grummeln ließ er sich in der Verbeugung in den Sand fallen. Stolz lobte ich ihn, indem ich ihm den Hals klopfte.

"Sehr gut, Hanna.", lobte Mario. "Dann können wir direkt den nächsten Schritt machen und ihn zum Hinlegen bringen. Doch zuerst bringen wir ihn zum Hinknien. Versuch mal selber, einen Lösungsweg zu finden, wie du das machen willst. Aber nach wir vor ohne Reden."

Moondancer - Maître des ChevauxWo Geschichten leben. Entdecke jetzt