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Park Jimin
Mittwoch, 11:55


«Die Zeit ist abgelaufen», verkündete die strenge Stimme Mr Mins. Die letzte Verbliebene meiner Klassenkameraden, ein stilles Mädchen, erhob sich seufzend und überreichte dem Mann widerwillig ihre Matheprüfung. Sie verliess mit hängendem Kopf das Klassenzimmer. Sogar von meinem Platz aus konnte ich die leeren Antwortfelder auf dem Prüfungsbogen erkennen und ich verzog mitfühlend das Gesicht.
Ohne Min Yoongi würde es mir genauso ergehen. Doch stolz blickte ich auf die letzte Gleichung, die ich eben noch gelöst hatte, und konnte meinem Lehrer ein lückenlos ausgefülltes Blatt aushändigen.
Ob die Lösungen, die ich mit krakeliger Schrift notiert hatte, auch korrekt waren, würde ich wohl erst in ein paar Tagen erfahren.

Ich erhob mich von meinem Platz, mein Hintern tat weh von den langen Minuten, die ich einfach reglos an meinem Tisch gesessen hatte. Die ganze Lektion war lediglich das Rascheln von Papieren und das Kratzen von Stiften zu hören, doch nach und nach hatte sich der Raum gelehrt.
Jetzt war es still, bis auf die Tritte meiner Sneakers auf dem Linoleum. Mit einer knappen Verbeugung überreichte ich das Blatt dem grossgewachsenen Mann und machte mich daran, meine Schulsachen zu verstauen und mich von Mr. Min zu verabschieden.

Mein Mathematiklehrer überflog die erste Seite meiner Papiere, was mich gebannt innehalten liess. Seine Mine war jedoch nicht zu deuten. Schon wollte ich also eilig aus dem Klassenzimmer schleichen, da hielt er mich auf.
«Jimin, kann ich dich bitte kurz für fünf Minuten sprechen?», ich stutze, setzte mich dennoch auf den leeren Stuhl, auf welchen mich mein Lehrer wies.

«Natürlich» sagte ich kleinlaut. Ich klemmte meine Finger unter den Oberschenkeln um sie davon abzuhalten, nervös an meinem selbstgeknüpften Armband herumzuspielen – ein Geschenk von Ahri.

Ich war noch nie so angespannt, wenn es um ein Gespräch mit meinem Lehrer ging. Doch die Situation hatte sich seit dem letzten Mal drastisch geändert. Mr. Min war nicht mehr nur mein Mathematiklehrer, sondern auch der Vater meines Nachhilfelehrers. Somit wusste ich Dinge über den Mann mir gegenüber, die seinen Schülern nicht bekannt sein sollten.
Beispielsweise, welches Rasierwasser der Mann brauchte, weil es mir beinahe entgegen fiel, als ich Pflaster für Yoongis Wunden suchte. Oder noch schlimmer: welche Farbe seine Badehosen hatte, was ich nur wusste, weil ich in der Küche dieses Mannes sass, mit ihm und seinem Sohn zusammen ass und mir die Fotos der letzten Strandferien am Kühlschrank nicht entgangen waren. Hellblau ...

Eilig versuchte ich dieses Hirngespinst wieder aus meinem Kopf zu verdrängen und mich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Mr. Min schien erst seine Gedanken zu ordnen, und mein Gehirn spielte erneut verrückt.

Bestimmt war ihm aufgefallen, dass Yoongis Stirn von einer fetten Beule verunstaltet war und er gestern mit aufgeschürften Knien und blutenden Handflächen nach Hause kam. Er musste bestimmt denken, ich würde seinem Sohn wehtun.

«Es geht um Yoongi», setzte der Mann an. Er sass nun mit mir auf Augenhöhe und sein Blick war ganz anders als der eines Mathelehrers, wenn er mit seinem Schüler über schlechte Noten sprach. Es war der Blick eines Vaters, der alles tun würde, dass es seinem Sohn gut ging.
Shit. Nervös wippte ich mit meinem Bein auf und ab.

«Er war gestern ziemlich aufgelöst», berichtete er und ich machte mich gefasst auf die anklagenden Worte. Auf den Befehl, mich von seinem Sohn fernzuhalten.
Ich nickte bloss, in Erinnerung daran, wie ich Yoongi am Abend zuvor zurückgelassen hatte.
«Ich weiss nicht, was zwischen euch vorgefallen ist, und es geht mich auch überhaupt nichts an», der Mann hob die Hände, wie um seine Worte zu verdeutlichen, «aber ich möchte, dass du etwas über ihn weisst.»

Meine Ohren rauschten, das war überhaupt nicht gut. Warum redete mein Lehrer mit mir über seinen Sohn. Bestimmt wäre Yoongi damit nicht einverstanden. Alles in mir wand sich dagegen, doch der Mann redete einfach weiter.
«Er zieht sich wieder in sein Schneckenhaus zurück. Das tut er immer.» Seine Stirn war in sorgenvolle Furchen gelegt, als würde es schon seit langer Zeit an ihm nagen. «Ich möchte dich nur bitten, nicht aufzugeben», der Mann holte tief Luft. «Ihn nicht aufzugeben.»

Stutzend sah ich hoch, fand aber keine Worte, also sprach Mr. Min weiter.
«Ich weiss, die Abmachung war, bis sich deine Noten verbessern und was mir Mrs. Cho heute in der Pause berichtet hat, sieht deine Geschichtsprüfung schon sehr vielversprechend aus. Aber –», Yoongis Vater stockte und schien nach Worten zu suchen, «Bitte lass meinen Sohn nicht fallen.»

Irgendetwas in meiner Brust schien zu zerreissen, bei dem Anblick meines Lehrers. Ein Vater, der sich sorgte, dem das Glück seines Sohnes mehr am Herzen lag als das eigene.
Ich räusperte mich. «Ich ... ähm ...». Hektisch fuhr ich mir durch die Haare.

«Es tut mir leid, habe ich dich damit so überfallen», setzte Mr. Min wieder an, als mir noch immer keine Worte über die Lippen kamen. «Du musst auch nichts dazu sagen. Ich glaube, da ging meine Sorge als Vater mit mir durch.» Ein nervöses Lachen seinerseits und der Mann erhob sich, blickte auf seine Uhr und richtete das Wort noch einmal an mich. «Es ist Zeit fürs Mittagessen.»

Ich erhob mich nickend und verbeugte mich tief vor dem Mann. «Danke, Mr. Min», murmelte ich und wandte mich ab. An der Tür aber blieb ich stehen und drehet mich noch einmal um.

«Mr. Min?», machte ich meinen Lehrer auf mich aufmerksam.
Der Mann hob den Kopf und sah mich neugierig über seine schmale Brille hinweg an. «Ich hätte es auch ohne Ihre Bitte getan. Min Yoongi ist mir wichtig», es fühlte sich seltsam an, dem Mann so offen meine Gedanken preiszugeben. «Ich werde ihren Sohn nicht aufgeben. Hatte es nie im Sinn.»

Mein Lehrer senkte dankend den Kopf und schon eilte ich durch den Flur, klaubte in meiner Hosentasche nach einem kleinen handgeschriebenen Notizzettel, während ich die Schüler nach einem ganz bestimmten Jungen absuchte.


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Ich habe noch ein paar Kapitel auf Reserve.
Ich gebe also mein Bestes, diese bis zum Ende meiner Ferien hochzuladen ;)

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