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Park Jimin
Dienstag, 08:00 Uhr

Der Kloss in meinem Hals war mittlerweile so gross, dass ich noch nicht mal meine Freunde richtig grüssen vermochte. Ich schenkte Tae und Kookie lediglich ein knappes Nicken, als ich kurz vor Schulstart noch durch die Zimmertür schlüpfte und mich in die hinterste Reihe verkroch.
Sie tauschten einen ratlosen Blick und Kookie lächelte mich aufmunternd an.
Sie wussten nicht, was mich bedrückte, aber schienen es an meinen verweinten Augen bestimmt zu erkennen, dass irgendetwas vorgefallen war. Ich war mir nur noch nicht sicher, ob ich mich dazu überwinden konnte, meinen Freunden die ganze Geschichte zu erzählen.

Der Unterricht verstrich, ohne dass ich viel davon mitnahm und als es klingelte, erwarteten mich meine beiden Freunde bereits an der Tür.
«Hey Jimin», begrüsste mich Taehyung, legte einen Arm um meine Schultern und schweigend machten wir uns auf den Weg zum Mathematikunterricht.
Mir graute davor, Yoongis Vater entgegenzutreten. Ich hatte ihm versprochen, Yoongi nicht fallen zu lassen, hatte mir selbst geschworen, ihm nicht wehzutun, doch genau das hatte ich gestern getan. Ich hatte Yoongi meine Hand gereicht, sie ihm aber in dem Moment entzogen, als er endlich den Mut dazu hatte, sie zu ergreifen.

Mr. Min war noch nicht im Klassenzimmer, als wir den Raum betraten, also setzte ich mich auch hier in die hinterste Reihe. Jungkook und Taehyung gesellten sich zu mir und unterhielten sich leise über einen neuen Film, der bald ins Kino kommen sollte. Halbherzig lauschte ich dem Gespräch, hielt jedoch die ganze Zeit die Tür im Blick.

Pünktlich auf den Gong trat der grosse Mann in den Raum, stellte sich hinter sein Pult und liess den Blick durch die Klasse schweifen. Als er mich entdeckte, ruhten seine Augen etwas länger auf mir und es schien, als hätte sich sein Blick scheinbar unmerklich getrübt. Beschämt senkte ich den Kopf und starrte auf das leere Notizpapier, welches im Laufe des Unterrichts um keine Zahl bereichert wurde.



«Jimin, hast du dein hübsches Lächeln heute etwa zuhause gelassen? Wo ist unser Strahlemann geblieben?» Ich wusste, dass Jin es nur gut meinte, doch die Worte des Älteren trübten meine Stimmung nur noch mehr und ich konnte meinen Freunden kaum in die Augen schauen.
Mein Mittagessen hatte ich nicht angerührt, bis sich Namjoon schliesslich grosszügig dazu aufopferte, auch meinen Teller leer zu essen.

«Sagst du uns endlich, was los ist?» Bemerkte nun eben dieser. In seiner Stimme schwang Sorge mit und sofort kehrte der Kloss zurück. «Warum sitzt Yoongi am anderen Ende des Raumes? Was ist zwischen euch vorgefallen?»

Sechs Augenpaare wandten sich nun zu dem Jungen um, der allein am Tisch sass, die Kopfhörer auf den Ohren trug und wie noch vor wenigen Wochen den Leuten um sich herum keine Beachtung schenkte.
Es schmerzte mich, Yoongi so zu sehen. Zu wissen, wie seine Augen strahlen konnten, wenn er über Dinge redete, für die er brannte und wie hübsch sein Lächeln war, wenn er es wagte mir eines zu schenken.
Doch jetzt wieder diese matten Gesichtszüge zu sehen, die sich teilweise hinter seinen dunklen Haarsträhnen verbargen ...
Am liebsten hätte ich den Jungen einfach in den Arm genommen, und alles vergessen lassen, was gestern passiert war.

Es wurde still an unserem Tisch und als ich mich endlich von dem Jungen lösen konnte, blickte mich Hobi mit geneigtem Kopf an. Ohne Worte gab er mir den Mut, den ich brauchte, um meinen Freunden von dem Vorfall zu erzählen.

«Ich ... ich habe ihn gestern geküsst», meine Worte glichen eher einem Flüstern und endlich sah ich meine Freunde an, beobachtete genau ihre Reaktion. Jin warf Namjoon einen Blick zu, à la wusst' ich's doch, aber Taehyung und Jungkook sahen mich noch immer besorgt an.
«Und dass er jetzt hier nicht neben dir sitzt, bedeutet- », Tae redete nicht weiter und schien darauf zu warten, dass ich seinen Satz beendete.
«Es bedeutet, dass ich den Schwanz eingezogen habe und davongerannt bin wie ein kleiner Pisser.»
Sofort hörten auch Namjoon und Jin zu Grinsen auf.

«Ach Jimin», Kookie tätschelte mir sanft die Schulter und ich nickte ihm dankbar zu, bevor mein Blick wieder zu Yoongi wanderte. Doch ehe ich den Jungen mustern konnte, schob sich ein grossgewachsener Junge in mein Blickfeld.

«Wie gut du wohl küsst, dass so viele Tränen mit im Spiel sind.»
Ruckartig schreckte ich hoch und erkannte, wer da an unseren Tisch getreten war.

Jae trug seine Haare heute offen, nicht wie sonst im Nacken zu einem kleinen Knoten gebunden. Sie reichten ihm bis zur Schulter und waren in einem stumpfen platinblond gefärbt.
Hämisch grinste er uns an und augenblicklich verspannte ich mich. Meinen Freunden schien es nicht anders zu gehen. Kookie schielte beunruhigt zu seinem Freund rüber, welcher augenblicklich die Arme verschränkte und eine unbeteiligte Mine zur Schau stellte.
Ich versuchte, mir meine Nervosität nicht anmerken zu lassen. Hatte der Junge etwa unser Gespräch belauscht.

«Ich persönlich würde es ja gerne selbst ausprobieren, wann hast du Zeit, Jimin?» Redete Jae einfach weiter. Entweder ignorierte er die Tatsache, dass er bei uns unerwünscht war, oder er war einfach so strohblöd wie er aussah.
«Es interessiert uns nicht, was du denkst, also verschwinde.» Ich erlebte Hoseok selten so kalt, doch ihn jetzt so zu sehen, erfüllte mich mit so viel Dankbarkeit.

«Witzig, dachten doch gestern alle noch, ihr seid ein Paar, und heute würdigt ihr euch keines Blickes mehr», am liebsten hätte ich Jae das dämliche Grinsen aus dem Gesicht geprügelt, doch bevor ich etwas tat, das ich bereuen würde, legte mir Kookie sanft eine Hand auf den Unterarm.
Redete er wirklich von Yoongi und mir? Wir waren doch allein im Flur, keine Menschenseele hatte uns gesehen.

«Wovon auch immer du sprichst, tu uns den Gefallen und lass uns in Frieden», zischte ich also und wollte mich schon wieder abwenden, als er mir sein Handy unter die Nase hielt.
«Deine Ahnungslosigkeit kaufe ich dir nicht ab. Niemand vergisst so schnell solch einen Kuss.»

Meine Ohren rauschten, als ich das Bild betrachtete, welches auf seinem Bildschirm aufleuchtete. Entgegen meinen Erwartungen war nicht Yoongi darauf zu sehen, sondern Rosé und ich, wie sie mir gestern mit tränennassen Wangen einen sanften Kuss auf die Lippen drückte.
Ich blickte hoch und starrte meine Freunde einer nach dem anderen an. Sie alle wussten nichts von diesem Kuss, liessen es sich aber nicht anmerken und taten es so gelassen wie möglich als eine Kleinigkeit ab.

«Na, hat dein Hippocampus doch wieder geschaltet?», Jae stütze eine Hand in die Hüften und zwang sich ein gekünstelter Schmollmund auf. «Schade eigentlich, ich hatte wirklich gehofft, dass du eher auf ... », er tippte sich ans Kinn, als müsse er überlegen «mehr Maskulinität stehst. Ich würde dich sicherlich auch nicht von der Bettkante stossen Jiminshi

Bei den Worten wurde mir übel und ich wollte schon etwas entgegnen, doch Jae liess mich nicht zu Wort kommen. «Bestimmt denkt dein Yoongi dasselbe. Weiss er es schon? Sitzt der Loser darum wieder allein?»
Ich sprang auf, der Stuhl schabte dabei quietschend über das Linoleum und sofort wurde es im ganzen Raum still, alle Augen hatten sich auf uns gerichtet. Auch Hobi war aufgestanden, aber mehr, um mich daran zu hindern, eine dumme Tat zu begehen.
«Lass ihn da raus», zischte ich.

«Oho, so ist das also. Er weiss es gar nicht», ein fieses Grinsen zierte nun Jae's Gesicht. Er schaute nur kurz zu Yoongis Tisch, welcher nun ebenfalls seine Aufmerksamkeit auf uns gerichtet hat. «Dann wird es wohl Zeit, dass auch er es erfährt. Uuuund senden!»

Bevor ich den Jungen davon abhalten konnte, hatte er auf sein Handy getippt und es klingelte am anderen Ende der Mensa.

Ich konnte kaum atmen, in meinen Ohren rauschte das Blut, als ich zusah wie Yoongi langsam sein Handy in die Hand nahm und betrachtete, was Jae ihm zugeschickt hatte. Seine Augen weiteten sich nur kurz, doch dann legte er wieder die übliche unbeteiligte Maske über, doch selbst aus dieser Entfernung konnte ich den Schmerz in seinen Gesichtszügen erkennen.

«Ups, jetzt ist mir doch glatt der Finger ausgerutscht», Jae hatte sich mit gespieltem Entsetzen die Hand vor den Mund geschlagen, und ehe ich begriff, was er getan hatte, klingelte es in der ganzen Mensa und das Getuschel begann.

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