~ Prolog ~

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Berlin, Januar 2016

Nico

Die kalte Nachtluft brennt in meiner Lunge. Sternenhimmel über mir.

Laufen laufen laufen laufen, immer weiter. Ich vergrabe meine zitternden Hände in den Taschen meines viel zu dünnen Hoodies. Schneeflocken rieseln vom Himmel und verfangen sich in meinen dunklen Haaren. Berlin ist grau um diese Jahreszeit.

Ich weiß genau was sie sagen wird, wenn ich vor ihrer Türschwelle stehe. Ich sehe ihren Blick, erleichternd und sauer zugleich. „Sieh an, Herr Santos also auch wieder hier." Sie wird es mit ironischem Unterton, gekräuselten Lippen äußern. Und mich später wieder küssen, als hätte ich nicht eine Woche in einem improvisierten Tonstudio gepennt und doch wieder mehr Musik, als sie im Kopf gehabt.

Straßenlaternen werfen gelbes Licht auf den vom Eis glitzernden Gehweg. Laufen laufen laufen laufen, immer weiter. Drei Straßenecken weiter, dann wäre ich da. Bei ihr. Endlich wieder zuhause. Im Warmen.
Doch meine Füße tragen mich woanders hin. Insgeheim verfluche ich mich dafür. Nicht schon wieder, denke ich, oder warum denn immer noch? Ich biege ab, gerade aus, einmal um die Ecke. Bin halb außer Atem, brauche Luft, dabei gibt es davon hier draußen doch genug.

Meine Schritte beschleunigen, bis sie abrupt halten. Breite Fensterfront, schwaches Licht, reges Treiben. Viele Gesichter. Ich kenne einige, doch suche nach dem einen, ganz bestimmten. Schließlich wandert mein Blick nach oben. Ein Balkon, zugezogene Gardinen, tiefschwarze Dunkelheit. Mein letzter Blick fällt auf den Namen des Lokals, bevor ich mich zum gehen wende. Berlin ist grau um diese Jahreszeit.

5, 3, 1 - Wie ein Countdown an Silvester in meinem Kopf, die Minuten, bis ich mit kaltem Finger die schrille Klingel betätige, die knarzenden Stufen des dunklen Treppenraums hinaufsteige, aufrichtig und stark, anstatt müde und gebrochen wirke.
Und ihr wieder gegenüber stehe.

„Sieh an, Herr Santos also auch wieder hier." Mitternacht. Sie trägt roten Lippenstift und ihr schönstes Kleid. Lächelnd mustert sie mich. Mich,  mit meinen Augenringen und verflecktem Hoodie.

„Dass du auch keine Jacke anziehst!", sie schüttelt den Kopf, „Komm rein." Ich schweige, wie ich es gerne tue, um schwierigen Unterhaltungen aus dem Weg zu gehen. Ich schweige, als ich mir die Schuhe ausziehe und mich aufs Sofa schmeiße, als wäre ich nie weg gewesen. Das Klavier in der Ecke. Es kommt mir nicht mehr so vertraut vor. Vielleicht ist es eingestaubt, vielleicht sollte ich es mal putzen.

Ihr Parfum steigt mir in die Nase. Ich mochte es schon immer, heute kitzelt es unangenehm im Rachen. „Haben wir noch was vor heute? Du siehst wundervoll aus!", endlich bekomme ich Worte heraus. Setze sogar ein Lächeln hinterher. Ihres ist jedoch nur zaghaft und weit, viel zu weit entfernt von echt. Sie setzt sich neben mich, greift nach meiner eiskalten Hand und haucht mir „Ich habe dich so vermisst" ans Ohr, dass mir schwindelig wird.

Unser Kuss ist intensiv, leidenschaftlich. Ich hasse mich dafür, dass ich ihn genieße, dass ich sie so sexy finde, sie in ihrem Kleid, ihre Lippen. Sie mit ihren Augen, die viel mehr wollen, als das sie jemals bekommen werden.

This is what you get when you fall in love
No one ever said how good it hurts
I tried it once, but it's once too much
You end up gettin' burned

Ich spiele mit dem Feuer. Ich weiß es, bereue es. Und tue doch nichts. Ohne sie würde ich endgültig versinken. In dieser Großstadt mit meinen Problemen untergehen.

Es ist so erbärmlich.

🌊RIDE ~ [Nico Santos FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt